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PolitikTürkei

Türkei-Wahl: Endspiel für Erdogan?

14. Mai 2023

In der Türkei finden an diesem Sonntag historische Wahlen statt. Zum ersten Mal seit 20 Jahren könnte Staatspräsident Erdogan abgewählt werden. Die wichtigsten Fragen und Antworten zur Wahl am Bosporus.

Wahlkampfplakat für Präsident Erdogan im türkischen Bursa
Wahlkampfplakat für Präsident Erdogan im türkischen BursaBild: Murad Sezer/REUTERS

An diesem Sonntag werden in der Türkei ein neuer Präsident und ein neues Parlament gewählt. Nach 20 Jahren im Amt geht der aktuelle Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan nicht als klarer Favorit ins Rennen. Für die Präsidentschaftswahlen stehen offiziell drei Kandidaten zur Auswahl. Das Kopf-an-Kopf-Rennen werden sich aber Erdogan und sein Herausforderer Kemal Kilicdaroglu liefern.

Erdogan in Umfragen knapp hinten

In allen seriösen Umfragen liegt Kilicdaroglu vorne. Den drei jüngsten Erhebungen zufolge würde er rund 49 Prozent aller Stimmen erzielen; Erdogan liegt bei rund 45 Prozent. Ultranationalist Sinan Ogan, der noch als Außenseiter im Rennen ist, kommt auf rund zwei bis fünf Prozent.

Die Umfragen wurden jedoch durchgeführt, bevor der vierte Präsidentschaftskandidat Muharrem Ince am Donnerstag seine Kandidatur zurückzog. Sein Rückzug könnte für das Wahlergebnis entscheidend sein. Es ist zu erwarten, dass die meisten Stimmen für Ince an seinen ehemaligen Parteigenossen Kilicdaroglu gehen. Laut Umfragen hätte Ince bis zu zwei Prozent der Stimmen auf sich vereinen können.

Kann er Erdogan nach 20 Jahren ablösen? CHP-Spitzenkandidat Kemal KilicdarogluBild: Murad Sezer/REUTERS

Sollte im ersten Wahlgang keiner der Kandidaten mindestens 50 Prozent aller Stimmen bekommt, wird der nächste Präsident der Türkei durch eine Stichwahl am 28. Mai ermittelt.

Sorge vor Wahlfälschung

Bei den Wahlen sind nach offiziellen Angaben mehr als 64 Millionen Menschen stimmberechtigt. Davon leben knapp 3,5 Millionen im Ausland. Von den in Deutschland lebenden 1,5 Millionen Wahlberechtigten gaben über 732.000 ihre Stimmen ab. Laut türkischer Wahlbehörde sind bei den Wahlen auch 167.000 Menschen mit syrischer Herkunft sowie rund 66.000 weitere in der Türkei lebende Ausländer wahlberechtigt. Bis auf die prokurdische HDP treten alle Parteien mit dem Wahlversprechen an, Flüchtlinge so schnell wie möglich zurückzuschicken.

In der vergangenen Woche rief Kilicdaroglu seine Unterstützer dazu auf, im Fall eines möglichen Wahlsieges nicht auf den Straßen zu feiern - aus Sorge vor möglichen Auseinandersetzungen mit gewaltbereiten Regierungsanhängern. Zudem warnte die Opposition auch vor Desinformation, die von Regierungskreisen bewusst verbreitet werde. Mehrfach hatte Erdogan der Opposition im Wahlkampf "Gottlosigkeit", die "Unterstützung von Terrorismus" oder eine "Steuerung durch die terroristische PKK" vorgeworfen. Gefälschte Wahlbroschüren, die angeblich von der Opposition kommen und die Beschuldigungen untermauern sollten, waren in den vergangenen Tagen auf türkischen Straßen zu finden.

Erdbeben, Flüchtlinge, Wirtschaftskrise: Die Türkei hat mit vielen Problemen zu kämpfenBild: CAN CELIK/DHA

Zudem hatte AKP-Innenminister Süleyman Soylu kurz vor der Wahl die Idee eines "parallelen Auszählungsverfahrens" ins Spiel gebracht, durch das Ergebnisse möglicherweise manipuliert und gefälscht weitergegeben werden könnten. Auf diese Pläne machte die Opposition die Öffentlichkeit aufmerksam. Erst kurz vor der Wahl wurden sie von der Hohen Wahlkommission (YSK) abgelehnt. 

Opposition verspricht Parlamentarismus

Es geht bei dieser Wahl vor allem um das politische System des Landes. Das wichtigste Wahlversprechen der Opposition lautet, das von Erdogan in den vergangenen Jahren immer weiter ausgebaute Präsidialsystem wieder zurückzuschrauben und zum Parlamentarismus zurückzukehren.

Seit ihrer Gründung 1923 war die türkische Republik laut Verfassung eine parlamentarische Demokratie. Doch nach dem Wunsch von Erdogan sollte dies geändert werden. Mit den Wahlen 2018 wurde die Einführung des Präsidialsystems vollzogen. Seitdem steht der Präsident auch der Regierung vor. Das Amt des Ministerpräsidenten gibt es nicht mehr.

Die Opposition verspricht eine Rückkehr zum Parlamentarismus von Staatsgründer Kemal AtatürkBild: Umit Bektas/REUTERS

Der Staatspräsident wird für fünf Jahre vom Volk direkt gewählt und hat im neuen System weitreichende Kompetenzen. Er ernennt und entlässt Minister sowie hohe Staatsbeamte nach seinem Ermessen und leitet auch das Kabinett. Er erlässt Präsidialverordnungen und kann viele Posten in der Justiz, im Finanz- oder Bildungswesen eigenständig besetzen. Auch die wichtigsten Ämter im Geheimdienst oder bei der mächtigen Religionsbehörde Diyanet unterstehen direkt dem Präsidenten. Mit der Einführung des Präsidialsystems wurde auch das Gebot der Überparteilichkeit abgeschafft. Somit hat der amtierende Präsident Recep Tayyip Erdogan den Vorsitz seiner islamisch-konservativen Regierungspartei AKP beibehalten können. Seitdem gibt es kaum noch eine Trennung von Amt und Mandat.

Hat das Parlament eine Bedeutung?

Auch wenn mit der Einführung des Präsidialsystems die Zahl der Abgeordneten von 550 auf 600 erhöht worden ist, hat Erdogan das türkische Parlament in die Bedeutungslosigkeit verbannt. Es kann zwar weiterhin Gesetze beraten und verabschieden, dennoch hat das Regierungslager mit seiner dominierenden Mehrheit jedes Vorhaben der Opposition im Parlament blockiert und nur seine politische Agenda durchgedrückt. Auch die Forderungen der Opposition wie etwa die Gründung von Untersuchungsausschüssen nach großen Katastrophen oder Korruptionsvorwürfen hat die Regierung mit ihrer Mehrheit stets verhindern können. Auf Anfragen der Opposition hat die Regierung in den meisten Fällen nicht einmal reagiert.    

Welche Allianzen gibt es?

Bei den Parlamentswahlen spielen drei Wahlbündnisse eine entscheidende Rolle: Erdogans "Volksallianz", das "Bündnis der Nation" vom größten Oppositionsblock und das von der prokurdischen HDP geführte "Bündnis für Arbeit und Freiheit".

Zu Erdogans Volksallianz gehören neben der AKP seit Jahren die ultranationalistischen Parteien MHP und BBP. Vor kurzem trat dem Bündnis auch "Die Neue Wohlfahrtspartei" bei, die von der islamistischen Milli-Görüs-Ideologie kommt. Außerdem wird Erdogans Allianz unterstützt von der radikalislamistischen prokurdischen Partei HÜDAPAR, die der Terrororganisation Türkische Hizbullah nahesteht.

HDP-Anhänger bei einer Kundgebung in Istanbul. Gegen die pro-kurdische Partei läuft ein VerbotsverfahrenBild: Francisco Seco/AP Photo/picture alliance

Die größte Oppositionsallianz besteht wiederum aus sechs sehr unterschiedlichen Parteien, die Kemal Kilicdaroglu hinter sich vereinen konnte. Als Präsidentschaftskandidat genießt er unter weiten Teilen der Regierungskritiker Respekt. Auch das kurdisch-sozialistische "Bündnis für Arbeit und Freiheit" ist für Kilicdaroglu, gehört allerdings nicht zur Allianz.

Treibende Kraft des dritten Bündnisses ist die prokurdische Partei HDP. Gegen sie läuft ein Verbotsverfahren. Tausende ihrer Mitglieder sitzen wegen mutmaßlichen Terrorvorwürfen im Gefängnis, fast alle HDP-Bürgermeister wurden abgesetzt. Ex-Parteichef Selahattin Demirtas, der seit sieben Jahren im Hochsicherheitsgefängnis sitzt, führt vom Gefängnis aus eine wirksame Kampagne gegen Erdogan und seine Regierung. Auch er rief die kurdischen Wähler dazu auf, Kilicdaroglu zu wählen.

Burak Ünveren Redakteur. Themenschwerpunkte: Türkische Außenpolitik, Deutsch-Türkische Beziehungen.
Elmas Topcu Reporterin und Redakteurin mit Blick auf die Türkei und deutsch-türkische Beziehungen@topcuelmas