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Energiewende kein Industriekiller

Richard A. Fuchs, Berlin 20. Mai 2016

Deutsche Unternehmen klagen über zu hohe Energiepreise. Viele energieintensive Firmen drohen mit Abwanderung. Ob die Gefahr real ist, ließ sich bislang nicht belegen. Eine Studie zeigt: Horrorszenarien sind konstruiert.

Deutschland Dresden VW Phaeton Produktion wird eingestellt
Bild: picture-alliance/dpa/R. Hirschberger

Ein Vorwurf steht im Raum: Die Energiewende zwingt deutsche Unternehmen mit hohem Stromverbrauch dazu, ins Ausland abzuwandern. Lobbyvertreter der energieintensiven Industrien werden nicht müde, ein düsteres Bild vom Industriestandort Deutschland zu zeichnen. Mehr Ökostrom, das bedeute mehr Unsicherheit, höhere Produktionskosten und folglich weniger Investition hierzulande. Eine Studie legt jetzt nahe, dass die Realität vermutlich anders aussieht.

Im Auftrag der European Climate Foundation haben das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) und das Freiburger Ökoinstitut den Energiekostenindex für die deutsche Industrie (EKI) vorgelegt. Mit dem Zahlenwerk prüfen die Forscher nach, wie stark die monatliche Energierechnung energieintensive Unternehmen tatsächlich belastet. Sie haben dafür amtliche Statistiken mit wissenschaftlichen Modellrechnungen kombiniert.

Energiekosten um 20 Prozent geschrumpft

Das Ergebnis gleicht einer wissenschaftlichen Ohrfeige für viele Energiewende-Horrorszenarien. Der Grund: Statt mehr zahlen Unternehmen inzwischen im Schnitt deutlich weniger für ihre Energierechnung. Verglichen mit dem Jahr 2010 geben die Unternehmen im Schnitt rund elf Prozent weniger für Energie aus - und besonders energieintensive Betriebe aus den Sektoren Papier, Zement, Glasproduktion oder Chemie sparen demnach sogar rund 20 Prozent monatlich bei Energiekosten ein.

Mehr Differenzierung gefordert: Felix Matthes vom ÖkoinstitutBild: Öko-Institut

Die Forscher führen die um 320 Millionen Euro monatlich geschrumpfte Energierechnung zu einem großen Teil auf die Abschläge bei Öl- und Gas zurück. Aber das Ergebnis bedeute eben auch, dass die Mehrkosten der Ökostromförderung sich nicht - wie vielfach befürchtet - als Preistreiber für die Industrie entpuppt hätten, sagt Forschungsleiter Felix Matthes vom Ökoinstitut Freiburg.

Der Strompreis muss kalkulier bleiben

Für Vertreter eben jener energieintensiven Branche ist damit noch nicht das gesamte Bild beschrieben. Michael Niese von der Wirtschaftsvereinigung Metalle, einem Lobbyverband deutscher Metallverarbeitungsunternehmen, sieht darin nur den Beweis: "Ohne die geltenden Ausnahmeregelungen für Unternehmen bei der EEG-Umlage würde das ganze anders aussehen". Bislang sind mindestens 2000 energieintensive Unternehmen von der Zahlung der Ökostromförderung ausgenommen.

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Die Sonderabatte bei der EEG-Umlage auf den Strompreis werden gewährt, damit ein Stahlkocher in Deutschland keine Mitarbeiter entlässt, um mit einem vergleichbaren Werk im kanadischen Ontario preislich mithalten zu können. Bezahlt werden die Industrierabatte durch die Privatverbraucher, die mit ihrer monatlichen Stromrechnung den Fehlbetrag begleichen – was sich im Jahr auf immerhin vier bis fünf Milliarden Euro aufsummiert.

Ohne diese Ausnahmeregeln wäre die Energiewende ein Industriekiller, sagt Michael Niese standfest und fordert mehr Planbarkeit ein. "Viele Entlastungen sind nicht verlässlich". Gerade deshalb schreckten viele Unternehmen weiter vor Neubauprojekten in Deutschland zurück.

Strahlt da ein Industriekiller in der Sonne? Solarpark in Templin in Mecklenburg-VorpommernBild: BELECTRIC.com

Wer viel braucht, spart auch viel

Eine Behauptung, die beim Blick in den neuen Energiekostenindex nicht für alle energieintensiven Unternehmen gleichermaßen gilt. Der Index unterteilt die Branche in jene Unternehmen, die wie Walzwerke, Stahlgießereien oder Autofabriken einen extrem hohen Stromverbrauch aufweisen. Davon zu trennen seien mittel und wenig energieintensive Betriebe, darunter fallen Pharmahersteller oder Textilfabrikanten.

Die Unterschiede, wie groß der Anteil der Energie an den gesamten Produktionskosten ist, sind gravierend. So gehen die Forscher davon aus, dass ein Pharmahersteller im Durchschnitt bis zu neun Prozent seiner gesamten Produktionskosten für Energie aufwenden muss. Bei einem Walzwerk oder einer Autofabrik könnten diese Werte bereits bei rund 19 Prozent und darüber liegen. Anders verhält es sich bei Sportgeräteherstellern, die oft ebenfalls von großzügigen Rabatten auf ihre Stromrechnung profitieren. Bei diesen als energieintensiv eingestuften Herstellern liege der Energiekostenanteil an der Produktion bei knapp vier Prozent.

Matthis Machnig, Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium und damit von Amts wegen für die Umsetzung der Energiewende verantwortlich, warnt dagegen. Einige Chemieunternehmen müssten bis zu 45 Prozent der Produktionskosten für Energie aufwenden, so Machnig. Steige die Belastung hier, würde automatisch an anderer Stelle gespart. "Es darf keine Investitionslücke geben."

Für Felix Matthes vom Ökoinstitut heißt das: "Wir müssen stärker unterscheiden, weil die eine Industrie gibt es nicht". Als Faustregel könne aber gelten: Je höher der Anteil der Energiekosten für ein Unternehmen, desto höher waren zuletzt auch die möglichen Einspareffekte.

Droht hier die Deindusrialisierung? Viele Chemieunternehmer befürchten genau das.Bild: picture-alliance/dpa

Mehrkosten für Klimaschutz überschaubar

Vertreter von Umweltverbänden wittern hinter Aussagen wie dieser die Möglichkeit, die energieintensive Branche stärker an den Mehrkosten der Erneuerbaren Energien zu beteiligen. Seit Jahren liefern sich Lobbyvertreter verschiedener Lager hierzu eine erbitterte Verbalschlacht. Dabei wollen manche die Rabatte ganz streichen, die anderen dagegen sogar ausdehnen.

Sonya Peterson, Klimaexpertin vom Institut für Weltwirtschaft in Kiel, hält die Belastung energieintensiver Unternehmen durch Klimaschutz "für mehr als machbar". Negative Auswirkungen auf die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen macht sie derzeit nicht aus - bei keiner der verschiedenen Untergruppen. Dennoch sei die Frage, wie sich der Preis für Strom weiter entwickle, entscheidend, sagt die Klimaökonomin. Der Grund: Bei der Weltklimakonferenz in Paris wurde eine weitgehende Dekarbonisierung der Wirtschaft beschlossen - weshalb mittelfristig Öl, Gas und Kohle durch Strom aus Wind- und Solaranlagen ersetzt werden soll. Die Frage, ob Ökostrom tatsächlich Arbeitsplätze gefährdet, dürfte damit eine Konstante in Deutschlands Wirtschaftsberichterstattung bleiben.

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