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Kretschmann: "Energiewende ist kein Kinderspiel"

Sabrina Weber13. März 2013

Winfried Kretschmann ist der erste von den Grünen gestellte Ministerpräsident. Im Interview zur Energiewende erläutert er, was sich die Bundesregierung von Baden-Württemberg abgucken könnte.

Der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Bündnis 90 / Die Grünen) antwortet am 12.03.2013 im Landtag in Stuttgart (Baden-Württemberg) bei einer Pressekonferenz auf Fragen von Journalisten. Nach einigen koalitionsinternen Debatten soll das Online-Bürgerportal der baden-württembergischen grün-roten Landesregierung in dieser Woche an den Start gehen. Das Kabinett fasste am 12.03.2013 einen entsprechenden Beschluss, wie Ministerpräsident Winfried Kretschmann in Stuttgart sagte. Foto: Bernd Weißbrod/dpa (Zu lsw: «Kabinett beschließt Beteiligungsportal - erst abgespeckte Version» vom 12.03.2013)
Bild: picture-alliance/dpa

DW: Baden-Württemberg ist unter anderem die Heimat von Daimler und Porsche - wie viel Druck kann und muss man als Ministerpräsident in einem so industrieintensiven Bundesland auf die Unternehmen aufbauen, um die Energiewende voranzutreiben?

Winfried Kretschmann: Es ist gar nicht notwendig, hier Druck aufzubauen. Die aktuelle wirtschaftliche Entwicklung ist von - zumindest mittelfristig - steigenden Rohstoffpreisen, Ressourcenknappheit, relativ hohen Energiekosten sowie einem veränderten Nachfrageverhalten geprägt. Diese Entwicklung lässt sowohl kleine als auch mittelständische Unternehmen und Großkonzerne weltweit von sich aus umdenken.

Die Entwicklung und der Einsatz umweltgerechter Produkte und Prozesse sowie grüner Technologien rücken zunehmend in den Mittelpunkt eines nachhaltigen unternehmerischen Handelns. Die Unternehmen zeigen dabei eindrucksvoll, wie die intelligente Verbindung von energieeffizienten Verfahren, umweltverträglichen Materialien und nachhaltigen Erzeugnissen in der industriellen Produktion die Wettbewerbsfähigkeit in sich dynamisch entwickelnden internationalen Märkten sichert.

Die Unternehmen haben dabei erkannt, dass es mit dem globalen Raubbau an den Lebenschancen künftiger Generationen durch unnötigen Ressourcenverbrauch und horrende Energieverschwendung nicht weitergehen kann. Und sie beweisen, dass es möglich ist, nach heutigem Kenntnisstand von Wissenschaft und Technik "gut zu leben", ohne unseren Planeten und seine Ressourcen zu erschöpfen.

Aufgabe der Politik ist es, Rahmenbedingungen zu schaffen, die diese Entwicklung fördern. Dazu gehört auch, die Umsetzung der Energiewende so zu organisieren, dass die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands als Wirtschaftsstandort nicht leidet.

Halten Sie das Modell der Energiewende für übertragbar auf andere Staaten und was könnte besser gemacht werden?

Deutschland ist im Vergleich der westlichen Industrieländer vergleichbarer Größenordnung das Land, in dem die Energiewende heute schon am weitesten gediehen ist. Nirgends gibt es einen breiteren Mix von Energieerzeugungstechnologien als bei uns: Deutschland ist Leitmarkt für ökologisch saubere Energieversorgung. Die erneuerbaren Energieträger haben bereits einen Anteil von etwa 25 Prozent an der Stromerzeugung. Und Deutschland ist trotzdem - oder vielleicht sogar deswegen - unter diesen Ländern wirtschaftlich am erfolgreichsten. Deshalb ist für mich das Modell der Energiewende nicht nur übertragbar auf andere Staaten, sondern wir müssen es dadurch, dass wir die Umsetzung der Energiewende in Deutschland noch besser organisieren und am Ende des Tages zum Erfolg führen, zum Exportschlager entwickeln.

Man hätte von vornherein dabei das Prozessmanagement besser gestalten müssen. Die Rivalität der mit der Energiewende befassten Ministerien in Berlin war und ist der Sache nicht gerade dienlich.

Was sind Ihrer Meinung nach die größten Herausforderungen, um die Energiewende umzusetzen?


Die größte Herausforderung für mich ist, bei der Diskussion um die Energiewende wegzukommen von der derzeit alles bestimmenden Sorge um die Bezahlbarkeit. Es darf nicht sein, dass diejenigen die Oberhand gewinnen, die versuchen, die Energiewende mit Horrorszenarien von dunkeln Städten, kalten Wohnungen oder gar mit dem Schreckgespenst einer Deindustrialisierung zu diskreditieren.

Es muss deshalb gelingen, viel mehr die Chancen der Energiewende ins Bewusstsein der Menschen zu rücken. Es muss allen vor Augen geführt werden, was wir für unsere Investitionen in die Energiewende bekommen: Wir bekommen ein Energiesystem, das uns schrittweise von Öl und Gas und damit auch von der Preisentwicklung dieser Güter unabhängig macht. Wir bekommen ein Energiesystem, das langfristig preiswerter ist als das bestehende fossile Energiesystem. Wir bekommen ein Energiesystem, das unsere Volkswirtschaft widerstandsfähiger und wettbewerbsfähiger macht. Wir bekommen ein Energiesystem, das den Klimawandel eindämmt. Wir bekommen ein Energiesystem, mit dem wir nicht mehr die Energie der Vergangenheit importieren müssen, sondern die Energie der Zukunft exportieren können. Wir bekommen ein Energiesystem, mit dem wir nicht mehr die Rechnung der Ölscheichs bezahlen, sondern selber Wertschöpfung generieren. Und wir bekommen ein Energiesystem, das dezentraler gestaltet, also näher bei den Menschen ist, und das deshalb ein großes Demokratisierungs- und Freiheitspotential beinhaltet.

Was kann sich die Bundesregierung in Bezug auf die Energiewende von Baden-Württemberg abgucken?

Die Energiewende ist ein Gemeinschaftsprojekt. Sie muss als eine gemeinsame Aufgabe und Herausforderung des ganzen Landes begriffen werden. Dazu gehört es, alle beteiligten Akteure bei ihrer Umsetzung einzubeziehen, die Anliegen, Sorgen und Wünsche aus Wirtschaft, Kommunen und Gesellschaft ernst zu nehmen und aufzugreifen.

Deshalb treffe ich mich regelmäßig mit Vertretern der Wirtschaft, der kommunalen Landesverbände, von Naturschutzverbänden, Gewerkschaften und Verbrauchern zu energiepolitischen Gesprächen. Kritische Fragen, zum Beispiel was Versorgungssicherheit und mögliche Strompreiserhöhungen anbelangt, werden offen angesprochen und mit Experten eingehend erörtert. Weiterhin haben wir beim Umweltministerium eine Monitoring-Gruppe Energiewende eingerichtet, in der Vertreter der baden-württembergischen Industrie- und Energiewirtschaftsverbände, des Handwerks, der Gewerkschaft und der Netzbetreiber auf der Grundlage eines indikatorbasierten Monitoring-Konzepts rechtzeitig politische Weichenstellungen vorbereiten sollen, um die richtigen Rahmenbedingungen für den Erfolg der Energiewende zu schaffen.

In einem Forum Energiewende vertiefen wir mit Landkreistag, Städtetag und Gemeindetag die Partnerschaft von Land und kommunaler Ebene bei der Umsetzung der Energiewende. In einem partnerschaftlichen und konstruktiven Miteinander werden die zu lösenden Aufgaben diskutiert sowie Wege und Lösungsansätze hinterfragt, um so eventuelle Probleme frühzeitig zu erkennen.

Im Übrigen haben wir immer auch die Chancen der Energiewende gesehen und unsere Hausaufgaben bei ihrer Umsetzung gemacht. So haben wir etwa das Landesplanungsgesetz geändert für den beschleunigten Ausbau der Windkraft, Förderprogramme zur Verbesserung der Energieeffizienz an Gebäuden und in Unternehmen aufgelegt, Eckpunkte für ein integriertes Energie- und Klimaschutzkonzept beschlossen, ein Gesetz zur Förderung des Klimaschutzes auf den Weg gebracht und die Haushaltsmittel für Energiewende und Energieforschung deutlich aufgestockt.

Bitte vervollständigen Sie diesen Satz: Die Energiewende wäre ein Kinderspiel, wenn...


allen klar wäre, welche Chancen sie für unsere Energieversorgung, unser Klima und unsere Volkswirtschaft bietet, aber auch dann bedarf es einer großen Anstrengung, ein Kinderspiel wird die Energiewende so oder so nicht.


Die Fragen stellte Sabrina Weber.

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