Englisch ist besser
28. November 2002Noch heute prägen deutsche Namen den Alltag in Chile: Cafés und Restaurants heißen Dresden, Bayern oder Berlin. Eisenwarenhandlungen, Apotheken, Fotogeschäfte und Arztpraxen gehören Inhabern mit deutschen Namen. Straßen sind nach den deutschen Pionieren benannt.
Mitte des 19. Jahrhunderts startete die chilenische Regierung eine regelrechte Werbekampagne in deutschen Zeitungen. Sie suchte vor allem katholische Bauern, die mit der Aussicht auf politische Stabilität und Steuerfreiheit nach Südamerika gelockt wurden. Von dieser Aussicht waren in den deutschen Fürstentümern nicht nur die Bauern begeistert. "Sie kamen aus der Industrie, sie waren Handwerker, sie konnten Körbe flechten oder Hüte machen", sagt die Historikern Andrea Minte, die sich mit der Geschichte der deutschen Einwanderer in Chile beschäftigt hat.
Keine geschlossene Gruppe
Die Deutschen, die nach monatelanger Fahrt in Chile an Land gingen, waren keineswegs eine in sich geschlossene Gemeinschaft. Katholisch, wie von der chilenischen Regierung ursprünglich gewünscht, waren auch nicht alle. Die unterschiedlichen Konfessionen lebten bald in rivalisierenden Gruppen.
Die Lutheraner schotteten sich ab und gründeten, nachdem die erste Kirche gebaut war, eigene Schulen. Den Katholiken hingegen war die neue Heimat weniger fremd. Immerhin gab es für ihre Kinder bereits katholische Schulen. Beide Gruppen integrierten sich schließlich schnell - und drängten ihre Muttersprache in den Hintergrund, sagt Historikerin Minte. Sie selbst leitet heute eine der deutschen Schulen in Chile und kennt die Vorlieben ihrer Schüler: "Unsere Kinder sprechen besser Englisch als Deutsch, weil die Jugend immer mehr Interesse an der englischen Kultur hat, an den Vereinigten Staaten und England."
Deutsch ist Luxus
Englisch ist für die Jugendlichen ein Muss, Deutsch bedutet Luxus. An Mintes Schule werden rund 300 Schüler unterrichtet. Doch die Schulleiterin sorgt sich um die Zukunft: "Wir bräuchten viel mehr Unterstützung, viel mehr deutsche Lehrer." Sie wisse zwar um die finanziellen Schwierigkeiten, in denen Deutschland momentan stecke. Aber ohne Hilfe aus dem Ausland stünden einige Schulen bald vor dem Aus. Bei dem Lehrermangel, der zur Zeit in Deutschland herrsche, kämen heute viel weniger Pädagogen nach Chile als früher. Und die, die kämen, seien nicht immer die Besten.
Zu wenig Deutschlehrer
Der deutsch-chilenische Bund hat das Problem inzwischen selbst in die Hand genommen. Er hat ein eigenes Lehrerbildungsinstitut gegründet. Trotzdem bleibt Minte skeptisch. 150 Jahre nach der Ankuft der ersten Deutschen in Chile habe die deutsche Kultur ihre beste Zeit hinter sich. "Wenn wir diese kleinen Deutschen Schulen nicht mehr halten können, dann wird die Sprache und Kultur wirklich ganz verschwinden."