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Fehlende Bauteile gefährden Windkraftausbau in Deutschland

7. Februar 2024

Deutschland will die Strommenge aus Offshore-Windanlagen bis 2030 fast vervierfachen. Dieses Ziel sehen Experten in akuter Gefahr - unter anderem weil wichtige Teile für den Ausbau der Netzinfrastruktur fehlen.

Ein Windpark nördlich von Helgoland im März 2023.
Windräder auf See liefern große Strommengen, und der Wind weht stetiger als an Land. Bild: Christian Charisius/Pool/REUTERS

Bundeskanzler Olaf Scholz scheint optimistisch: Die Koalition aus seiner SPD mit den Grünen und der FDP will die Energiewende weiter voranbringen. Trotz aller Haushalts-Probleme, trotz einer immer sperriger werdenden Bürokratie, trotz der Mutlosigkeit in weiten Teilen der deutschen Gesellschaft. Am vergangenen Montag sagte Scholz auf einer Veranstaltung an seinem Wohnort in Potsdam: "Wenn wir das hinkriegen, was wir uns vorgenommen haben, und ich bin da zuversichtlich, dann brechen wir mit 200 Jahren industrieller Tradition und Wohlstandsgewinn, die auf Kohle, Gas und Öl beruhen."  

30 Prozent des Stroms noch aus Gas und Kohle

Genau darum geht es: Weg von Öl, Kohle und Gas. Aktuell werden allerdings immer noch rund 30 Prozent des deutschen Stroms aus der Verbrennung von Kohle und Gas gewonnen. Immerhin fast die Hälfte steuern Windanlagen zur Stromgewinnung bei. Geht es nach dem Willen der Regierung, dann soll vor allem durch große Anlagen weit draußen auf Nord - und Ostsee der Sprung in eine klimaneutrale Stromversorgung geschafft werden.  Derzeit drehen sich rund 1500 Windräder auf hoher See, wo der Wind stärker weht, und das vor allem stetig. Solche Anlagen sind bis zu 300 Meter hoch. Alle Räder zusammen liefern derzeit rund 8,5 Gigawatt Strom. Bereits 2030 sollen es 30 Gigawatt sein.

Bundeskanzler Olaf Scholz will an den ehrgeizigen Windausbauzielen festhaltenBild: Ebrahim Noroozi/AP Photo/picture alliance

Vervierfachung bis 2030: zu ehrgeizig?

Fast die vierfache Menge also. Um das zu erreichen, bleiben noch gerade mal sechs Jahre Zeit. Vertreter der Windbranche mahnen jetzt an, dass das Erreichen schwierig werden könnte. So seien, heißt es in einer Erklärung des Bundesverbands Windenergie (BWE), im vergangenen Jahr gerade mal 27 Anlagen neu ans Netz gegangen. Und mehrere Branchenverbände der Windenergie schreiben in einer gemeinsamen Erklärung: "Für die Erreichung der gesetzlichen Ausbauziele muss der Zubau bis 2030 drastisch anziehen."

"Ein Signal der Unsicherheit!"

Es gibt einen aktuellen Grund, warum die Industrievertreter die Ausbauziele in Gefahr sehen: So wies das Bundesamts für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH) in einem Schreiben darauf hin, dass momentan Verzögerungen bei einigen Netzanbindungen in der Nordsee von bis zu zwei Jahren drohten. Grund seien Engpässe beim Bau von Konvertern. Stefan Thimm ist der Geschäftsführer des Bundesverbandes der Windparkbetreiber Offshore (BWO). Er kommentiert das Behörden-Schreiben so: "Sollte sich diese Situation bestätigen oder sogar verschärfen, stellt dies die gesetzlich vereinbarten Ausbauziele in Frage und sendet ein Signal der Unsicherheit in die Wertschöpfungskette."

Eine komplizierte Infrastruktur

Dass der Strom auf hoher See durch die Windräder produziert wird, ist eine Sache. Genauso wichtig aber sind die riesigen Kabel, die den Strom an Land bringen. Und die großen Konverter, die aus Wechselstrom Gleichstrom machen, damit der Strom dann durch lange Leitungen aus Deutschlands Norden in den industriestarken Süden und Westen gelangen kann. Experten schätzen, dass dazu rasch eine Fläche von insgesamt 270 Fußballfeldern in den Häfen bereitgestellt werden muss. Die Geschäftsführerin der Stiftung "Offshore-Windenergie", Karina Würtz, sagt über die Bedeutung dieser enormen Investitionen: "Die Seehäfen sind die zentralen Drehkreuze der Offshore-Windenergie. Ob als Basishäfen für den Bau und den späteren Rückbau der Windparks als Servicehäfen für den Betrieb und auch die Wartung, als Lagerplatz oder als Produktionsstandort – sie nehmen vielfältige Funktionen im Bereich der Offshore-Windenergie ein."

Falsche Prioritäten? Bundeskanzler Scholz und Vizekanzler Robert Habeck (Grüne, ganz rechts) eröffnen im Dezember 2022 ein LNG-Terminal in Wilhelmshafen.Bild: Axel Heimken/AFP/Getty Images

Die Niederlande und Dänemark sind schneller

Würtz beklagt, dass andere Länder schneller und effektiver an dieser Infrastruktur arbeiten würden. "Während sich die niederländischen und dänischen Häfen Eemshaven und Esbjerg in den vergangenen Jahren stark auf den Offshore-Wind-Bereich ausgerichtet und den deutschen Häfen auch große Marktanteile abgenommen haben, haben sich Letztere verstärkt anderen Geschäftsfeldern zugewandt", sagt sie. 

Greenpeace: "Scholz setzt falsche Prioritäten"

Und die Konkurrenz ist groß, die Fachfirmen etwa für den Konverter-Bau sind heiß begehrt. Denn viele Länder wollen jetzt bei der Offshore-Technik Fahrt aufnehmen, nicht nur Deutschland. Für die Umweltorganisation Greenpeace setzt die Regierung hier falsche Schwerpunkte, wenn sie etwa viel Geld in Flüssiggasterminals, sogenannte LNGs, investiert. Martin Kaiser, Energie -und Klimaexperte von Greenpeace, sagt der DW: "Anstatt völlig unnötige LNG-Terminals  in einer schwindelerregenden Geschwindigkeit durchzupeitschen, sollte sich Olaf Scholz mit seiner 'Deutschland-Geschwindigkeit' auf die Realisierung von Offshore-Windparks konzentrieren, um die entstandenen Verzögerungen beim Ausbau schnellstmöglich aufzuholen."

Rügen: Umweltschützer protestieren gegen LNG-Terminal

03:41

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Es könne nicht sein, dass fehlende Konverter-Stationen, die dazu gebraucht werden, Wechselstrom in Gleichstrom umzuwandeln, der Grund dafür seien, "dass Deutschland die Ausbauziele der dringend notwendigen erneuerbaren Energien wegen falscher Prioritätensetzung des Kanzlers verfehlt", sagt der Greenpeace Klimaexperte. 

Habeck fordert neue Schulden, die FDP wehrt das ab

Die Regierung hatte solche LNG-Terminals nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine errichtet,  weil kein russisches Gas mehr nach Deutschland fließt und das Land nun aus gleich mehreren Staaten Flüssiggas importiert. Und vor allem: Es fehlt der Regierung an Geld, das sie nur durch zusätzliche  Schulden aufbringen könnte. Das wiederum verhindern die gesetzlichen Vorgaben, die neue Schulden eigentlich strikt verbieten.

Möglich wäre ein Sondervermögen, wie es das etwa für den Ausbau der Bundeswehr gibt. Der für den Klimaschutz zuständige Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne)  setzte sich in der vergangenen Woche im Bundestag für ein solches Sondervermögen ein, um strukturelle Probleme wie beim Ausbau der Windkraft zu lösen. Aber sein Vorschlag wurde von der Opposition, aber auch vom Koalitionspartner, der wirtschaftsnahen FDP, sofort zurückgewiesen.

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