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PolitikNahost

Entführt in den Iran

7. August 2020

Ende Juli wurde der Deutsch-Iraner Dschamschid Scharmahd vom iranischen Geheimdienst offenbar aus Dubai entführt. Nicht zum ersten Mal sendet der Iran auf diese Weise eine Botschaft an seine Kritiker.

Das jüngste veröffentlichte Foto von Dschamschid Scharmahd zeigt ihn mit einer Augenbinde
Bild: Tasnim

Das jüngste veröffentlichte Foto von Dschamschid Scharmahd zeigt ihn mit einer Augenbinde. Angelegt hat sie ihm der iranische Geheimdienst, nachdem er den deutsch-iranischen Softwareunternehmer offenbar aus den Vereinigten Arabischen Emiraten entführt hatte.

Veröffentlicht wurde das Foto am vergangenen Samstag, als der Iran offiziell bekanntgab, er habe Scharmahd im Zuge einer "komplexen Operation" verhaftet. Scharmahd, hieß es weiter, befinde sich in "den mächtigen Händen" der iranischen Sicherheitskräfte.

Auf Anfrage der DW erklärte das Auswärtige Amt, man habe Kenntnis über den Fall. "Nach unseren Informationen besitzt der Betroffene neben der iranischen auch die deutsche Staatsangehörigkeit. Dementsprechend hat die deutsche Botschaft in Teheran bei den iranischen Behörden konsularischen Zugang zu dem Betroffenen erbeten. Dabei geht es auch um die Aufklärung der Umstände, unter denen der Betroffene verhaftet wurde. Für unsere Beurteilung des Vorgangs ist es wichtig, die Hintergründe zu kennen."

Über zwei Jahre verbrachten die Verhaftete in Teheraner Gefängnissen, unter anderem auch im berüchtigten Evin-GefängnisBild: picture-alliance/dpa

Appell der Familie

Offenbar wurde der im kalifornischen Glendora lebende Scharmahd Ende Juli aus Dubai in den Iran entführt. Nach einem Zwischenstopp dort hatte er zu Geschäftsterminen weiter nach Indien fliegen wollen. Die Trackingdaten seines Handys lassen vermuten, dass seine Entführer ihn am 29. Juli in den Oman verschleppten. Das Signal endete am 30. Juli. Zu diesem Zeitpunkt befand sich Scharmahd den Handy-Daten zufolge in der omanischen Hafenstadt Sohar. Von dort aus wurde er offenbar in den Iran gebracht.

Der Iran beschuldigt Scharmahd, einer der Köpfe hinter dem Anschlag auf eine iranische Moschee im Jahr 2008 gewesen zu sein. 14 Menschen wurden dabei getötet und über 200 verletzt. Scharmahd soll Mitglied der " Kingdom Assembly of Iran" gewesen sein, die für die Wiedereinsetzung der Monarchie im Iran eintritt. Scharmahds Familie erklärte gegenüber der Nachrichtenagentur AP hingegen, dieser habe nur als Sprecher der Gruppe gedient und nichts mit Anschlägen zu tun.

"Wir ersuchen jedes demokratische Land, jedes freie Land um Unterstützung", sagte Sharmahds Sohn gegenüber AP." Die Entführung verletze die Menschenrechte. "Man kann nicht einfach jemanden in einem Drittland ergreifen und dann ins eigene Land bringen."

Die Entführung von Scharmahd ist nicht der einzige Fall dieser Art. So erklärten die iranischen Revolutionsgarden im vergangenen Oktober, sie hätten Ruhollah Sam verhaftet, den Betreiber eines gegen das iranische Regime gerichteten Online-Portals mit mehr als einer Million Followern. Sam hatte in Frankreich politisches Asyl erhalten. Dort galt er als eine der bestgeschützten Personen des Landes.

Die iranischen Revolutionsgarden erklärten im vergangenen Oktober, sie hätten Ruhollah Sam verhaftetBild: picture-alliance/AP Photo/A. Shirband

Zum Verhängnis wurde Sam eine Reise in den Irak im Herbst vergangenen Jahres. Dort bemühte er sich offenbar um Finanzierung für ein neues Online-Portal. Der Iran-Spezialist Resa Moini von "Reporter ohne Grenzen" erklärte der "New York Times" gegenüber, Sam habe sich zu diesem Zweck mit dem prominenten schiitischen Geistlichen Ali al-Sistani treffen wollen. Dazu kam es nicht mehr. Vor dem Treffen wurde Sam offenbar in den Iran verschleppt.

Im Juni dieses Jahres wurde der Blogger von einem Revolutionsgericht für schuldig befunden, Ende 2017 zu regierungsfeindlichen Unruhen aufgerufen zu haben. Das Gericht verhängte die Todesstrafe über den Angeklagten. Gegen das Urteil kann Berufung eingelegt werden. "Das Todesurteil im Fall von Ruhollah Sam ist ein politisches Urteil und kein juristisches" erklärte Anfang Juli die iranische Menschenrechtsaktivistin und Trägerin des Friedensnobelpreises 2003,  Schirin Ebadi, gegenüber der DW. "Er hatte keinen fairen Prozess."  

Einschüchternde Botschaft an die Opposition

Mit Verhaftungen wie der von Ruhollah Sam sendeten die Revolutionsgarden eine bedeutende Botschaft an die Oppositionskräfte inner- und außerhalb Irans, sagte im Oktober vergangenen Jahres ein namentlich nicht genannter moderater Politiker der "Financial Times": "Sie sind nicht sicher, wo immer sie sich befinden." Und noch etwas fürchtet der Politiker: "Wenn es den Revolutionsgarden gelingt, diejenigen im Iran ausfindig zu machen, die Sam mit Informationen versorgten, könnte es zu einer neuen Verhaftungswelle kommen."

Bereits länger zurück liegt die Entführung von Abdulmalek Rigi, dem Kommandanten der sunnitischen Terrorgruppe Dschundallah ("Soldaten Gottes"). Im Februar 2010 saß Rigi an Bord eines Flugzeugs, das sich auf dem Weg von Dubai nach Kirgistan befand. Als die Maschine den iranischen Luftraum überquerte, wurde sie von iranischen Kampfjets zur Landung gezwungen. Danach wurde Rigi verhaftet.

Die iranischen Behörden warfen Rigi unter anderem vor, für eine Reihe tödlicher Bombenanschläge sowie Angriffe auf Armee- und Polizeieinheiten in der iranischen Provinz Sistan-Belutschistan verantwortlich zu sein. Vier Monate nach seiner Entführung wurde Rigi hingerichtet.

Die Berichte freigelassener Entführter geben einen Eindruck von den zermürbenden Haftbedingungen. So wurde im Juli 2009 der amerikanische Journalist Shane Bauer zusammen mit zwei Begleitern an der irakisch-iranischen Grenze verhaftet. Die drei waren auf einem Ausflug unwissentlich auf iranisches Territorium geraten. Dort wurden sie festgenommen und anschließend der Spionage beschuldigt. Über zwei Jahre verbrachten sie in Teheraner Gefängnissen, unter anderem auch im berüchtigten Evin-Gefängnis in Teheran. Mehrere Monate befanden sich die Angeklagten in Isolationshaft.

Im 2009 wurde der Journalist Shane Bauer zusammen mit zwei Begleitern an der irakisch-iranischen Grenze verhaftetBild: picture-alliance/dpa/Press TV Handout

"Einzelhaft", schreibt Bauer in einem zusammen mit seinen Begleitern verfassten Text für das Magazin "Mother Jones, "ist die allmähliche Auslöschung all dessen, von dem man annahm, dass es die eigene Person ausmacht. Man denkt, man sei immer noch man selbst. Aber wie kann man das wirklich wissen, wenn man es nicht an einem Gegenüber überpüfen kann? Würde ich es bemerken, wenn ich verrückt werde? Je länger ich alleine bin, desto langsamer wird mein Geist. Ich möchte nur alles vergessen."

"Wir sind alle verrückt"

Ähnliches berichtete Nizar Zakka gegenüber der Zeitschrift "The Atlantic." Der libanesische Anwalt und Menschenrechtsaktivist, der im Besitz einer permanenten Aufenthaltserlaubnis für die USA war, reiste im September 2015 auf Einladung der iranischen Regierung zu einer Konferenz nach Teheran. Nach der Konferenz verschwand er während der Rückreise zum Flughafen. Im Oktober 2015 wurde bekannt, dass die iranischen Revolutionsgarden Zakka gefangen hielten. Im November wurde seine Haft offiziell bestätigt. Im Juni 2019, nach knapp vier Jahren, kam Zakka dank libanesischer Vermittlung frei.

"Wir sind alle verrückt", habe Zakka während der Haft den Mitgefangenen erzählt. "Wir wissen es nur nicht, weil wir alle gemeinsam verrückt geworden sind. Aber wenn wir rauskommen, werden wir feststellen, dass wir verrückt sind, weil alle, die draußen sind, nicht verrückt sind."

Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika
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