Erbeben, Tsunamis, Feuer, Unfälle: Bilder von Katastrophen sind heute allgegenwärtig. Aber bereits im frühen 17. Jahrhundert waren Künstler von den Schreckensszenarien fasziniert und verarbeiteten sie in ihrer Kunst.
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"Entfesselte Natur: Das Bild der Katastrophe seit 1600"
Faszination Katastrophe. Ob in der Natur oder im politischen Kontext - Menschen ergötzen sich seit über 400 Jahren an Katastrophen. Die Hamburger Kunsthalle zeigt nun in ihrer neuen Ausstellung über 200 Exponate dazu.
Bild: Hamburger Kunsthalle/bpk/Elke Walford
Jan Asselijn: "Bruch des St. Anthonisdeichs nahe Amsterdam" (1651)
Jan Asselijn (1610-1652) bildet in seinem Gemälde "Bruch des St. Anthonisdeichs nahe Amsterdam 1651" die historisch einschneidende Sturmflut im März 1651 ab. In der Nähe von Amsterdam konnte der St. Anthonisdeich den Wassermassen nicht mehr standhalten und wurde niedergerissen. Ein Fokus liegt auf den beiden Personen im linken Bildteil, die vor der Katastrophe zurückweichen.
Bild: Rijksmuseum, Amsterdam
Egbert van der Poel: "Blick auf Delft nach der Explosion von 1654"
In seinem Gemälde "Blick auf Delft nach der Explosion von 1654" visualisiert Egbert van der Poel (1621-1664) die gewaltige Explosion des Delfter Pulvermagazins, die die Stadt dem Erdboden gleich machte. Ein Viertel der niederländischen Stadt wurde komplett zerstört, tausende Menschen starben. Van der Poel hat das Ereignis in über 20 Werken festgehalten, immer exakt aus derselben Perspektive.
Bild: The National Gallery, London/John Henderson Bequest
Joseph Wright of Derby: "Ausbruch des Vesuvs" (o.J.)
Während einer Reise wurde Joseph Wright of Derby (1734-1797) im November 1774 in Neapel Zeuge eines Ausbruchs des Vesuvs. Dieser Moment kam für den Künstler einem Erweckungserlebnis gleich, woraufhin er in den folgenden zwei Jahrzehnten rund 30 Gemälde schuf, die Vulkanausbrüche dokumentierten.
Bild: Hamburger Kunsthalle/bpk/Elke Walford
Pierre-Henri de Valenciennes: "Vesuvausbruch mit dem Tod des Plinius" (1813)
Der Vesuv hatte es auch dem Maler Pierre-Henri de Valenciennes (1750-1819) angetan. Er lässt die Betrachter seines Gemäldes Zeugen des historischen Vesuvausbruchs im Jahr 79 n. Chr. werden. Während der Vulkan im Hintergrund ausbricht, stirbt im Vordergrund ein Mann, der von zwei weiteren gestützt wird. Bei ihm handelt es sich um den römischen Gelehrten und Offizier Plinius.
Bild: Musée des Augustins, Toulouse/Daniel Martin
Caspar David Friedrich: "Das Eismeer" (1823/1824)
Caspar David Friedrich (1774-1840) erlebte im Winter 1820/1821 einen Eisgang auf der Elbe mit. Dieses seltene Naturschauspiel hielt er in diversen Ölskizzen fest. "Das Eismeer" ist das Hauptwerk dieser Reihe. Die Eismassen haben so monumentale Dimensionen, dass man das sinkende Schiff im rechten Bildteil zunächst nicht erkennt.
Bild: Hamburger Kunsthalle/bpk/Elke Walford
Caspar David Friedrich: "Das brennende Neubrandenburg" (um 1834)
Dieses Spätwerk von Caspar David Friedrich (1774-1840)bietet einen Blick auf die Silhouette der Stadt. Aus dem Turm der Marienkirche steigt Qualm auf, und auch die anderen Gebäude stehen bereits in Flammen. Mit dieser Inszenierung nimmt Friedrich möglicherweise Bezug auf die historischen Stadtbrände der Jahre 1631,1676 und 1737.
Bild: Hamburger Kunsthalle/bpk/Elke Walford
Jacob Gensler: "Hamburg nach dem Brande von 1842"
Jacob Genslers (1808-1845) Werk gilt als zentrales Gemälde bei dem zerstörerischen Brand Hamburgs. Beim Blick über die Kleine Alster und die Innenstadt stehen Trümmer und Rauchschwaden im Fokus. Dennoch präsentiert er die ungebrochene Kraft der Bürger, die im vorderen Teil der Bildes bereits mit dem Wiederaufbau beginnen.
Bild: Hamburger Kunsthalle/bpk/Elke Walford
Josef Carl Berthold Püttner: "Untergang des Auswandererschiffes "Austria" am 13. September 1858"
Während der Überfahrt von Hamburg nach New York brach auf dem Auswandererschiff "Austria" ein Feuer aus. Es sank kurz darauf im Atlantik. Nur 89 der 545 Passagiere überlebten. Der deutsch-österreichische Landschafts- und Marinemaler Josef Carl Berthold Püttner (1821-1881) stellt diese Katastrophe in seinem Gemälde eindrücklich dar.
Eugène Isabey: "Schiffbruch des Dreimasters Emily im Jahr 1823" (1865)
In dem monumentale Werk (2 x 3,4 Meter) von Eugène Isabey (1803-1886) spielt sich ein Drama ab: Die Schiffbrüchigen können sich in den gigantischen Wellen kaum noch über Wasser halten; die raue See macht es unmöglich, Rettungsboote ins Wasser zu lassen. Das Zusammenspiel von Wolken und Wasser gilt als zentrales Element.
Bild: Agence photographique de la Réunion des Musées Nationaux - Grand Palais des Champs Elysées/Gérard Blot
Kota Ezawa: "Flood, 2011"
Ausgangspunkt für Kota Ezawas (*1969) computeranimiertes Werk ist ein Zeitungsbild, das eine Überschwemmung im US-Bundesstaat Georgia dokumentiert. Das Bild des japanisch-deutschen Grafikers ist ein Mix aus Adaption und eigenen Zeichnungen, aus dem mithilfe einer Vektorgrafik und einer Computergrafik, die zweidimensionale Formen zusammensetzt, ein technisches Bild entsteht.
Bild: Kota Ezawa und Galerie Anita Beckers, Frankfurt a.M.
Olphaert den Otter: "lucht/water 28/10/2011"
Dieses Bild von Olphaert den Otter (*1955) ist Teil seiner Werkgruppe "World Stress Painting", mit denen er die tägliche Fülle an Katastrophendarstellungen, die die Medien fluten, zeigt. Sie dienen als Ausgangspunkt für sein zukunftsorientierte Projekt aus Eitempera-Malerei. Jahr für Jahr kommen weitere Bilder dazu, alle in identischem Kleinformat. Da macht den Wiedererkennungswert aus.
Doch warum ergötzt man sich seit jeher an Bildern, die Unglück, Tragik und Leid darstellen? Warum ziehen Katastrophen den Zuschauer so sehr in ihren Bann? "Abbildungen von Katastrophen involvieren die Betrachter emotional, sie emotionalisieren ihn und verleiten zum Mitleiden", erklärt Dr. Markus Bertsch, Kurator der Hamburger Ausstellung, als zentralen Auslöser.
Im Sog der Katastrophe
"Jeder Mensch pflegt ein gewisses Grundinteresse an Katastrophen. Sie haben eine Art Sogwirkung. Aber ab einem bestimmten Punkt setzen dann die moralischen Prinzipien ein", so Bertsch. Das sei der Grund, weshalb die meisten Menschen, auch wenn sie eigentlich nicht wollen, erst einmal Nachrichten über Katastrophen, Bilder oder Videos anschauen, bevor sie entscheiden, sich wieder von der Thematik abzuwenden.
Schon seit Jahrhunderten ein häufig abgebildetes Motiv
Obwohl die Ausstellung der Hamburger Kunsthalle auch 15 bis 20 Werke aus der zeitgenössischen Kunst beinhaltet, stammt der Großteil der über 200 Exponate aus den vorigen Jahrhunderten. Ziel des Kurators und seines Kollegen Prof. Dr. Jörg Trempler von der Universität Passau, der an der Entwicklung und Erarbeitung der Ausstellung maßgeblich beteiligt war, ist die Sensibilisierung der Besucher. Sie sollen erkennen, dass Katastrophen nicht nur in der heutigen Zeit omnipräsent sind und durch die Medien verbreitet werden, sondern dass sie die Menschen schon seit Jahrhunderten faszinieren.
In Werken, die bis ins Jahr 1600 zurückgehen, zeigen unterschiedliche Künstler, dass die Katastrophe seit jeher eine zentrale Position in der Kunst einnimmt. Lediglich die Darstellung und Übermittlung haben sich im Laufe der Zeit verändert und weiter entwickelt", hebt Kurator Markus Bertsch hervor. "Die Thematik ist stets von absoluter Aktualität und Präsenz - seit Jahrhunderten - und schwappt auch immer wieder hoch."
Katastrophen heute wie gestern
Während Künstler anfangs mythische Katastrophen abbildeten, wurde die Kunst im Laufe der Jahrhunderte immer elementarer. Seit dem 18. Jahrhundert, dessen zweite Hälfte laut Bertsch als "eigentliche Geburt des Katastrophenbildes" gilt, nehmen die Künstler immer konkreter Bezug auf aktuelle Ereignisse: beispielsweise auf den großen Brand in Hamburg im Jahr 1842 oder auf den Untergang der Titanic am 14. April 1912.
Die einzelnen Katastrophen-Arten wie Erdbeben, Schiffbrüche, Brände, Überschwemmungen, Vulkanausbrüche und viele mehr ziehen sich durch alle Epochen. Auch heute gibt es laut Bertsch keinen Fokus auf eine bestimmte Katastrophenart - die gesamte Bandbreite sei heute wie gestern Inhalt der Kunst.
Ursprünge im Theater
Der Begriff der Katastrophe kommt ursprünglich aus dem Theater. Dort ist er vor allem durch den Aspekt des Wendepunktes, den überraschenden Umschwung einer Handlung, charakterisiert. "Dieser Katastrophenbegriff aus dem Theater ist teilweise auch in die Kunst zu übertragen", erklärt Dr. Bertsch.
Denn insbesondere zu Beginn des 17. Jahrhunderts ging eine gewisse Produktivität, eine positive Konnotation mit Katastrophen einher. In den folgenden Jahrhunderten überwogen jedoch bis heute Leid, Unglück und Tragik, die durch Katastrophen ausgelöst wurden.
In unserer Bildergalerie stellen wir verschiedene Künstler und Werke aus verschiedenen Jahrhunderten vor, anhand welcher die Entwicklung und Umsetzung der Katastrophe als Motiv für die Kunst deutlich wird.
Die Ausstellung in Hamburg läuft noch bis zum 14. Oktober 2018.