Enthüllungen belasten AKP-nahe Stiftung
25. Oktober 2021Die "Türkische Jugendstiftung" (TÜGVA) geht - auf dem Papier - einer unverfänglichen Tätigkeit nach: Nach eigenen Angaben verfolgt die Stiftung das Ziel, "zu einer innovativen, fleißigen, moralisch guten, toleranten und erfolgreichen Jugend beizutragen". Das Stiftungsvermögen werde dafür eingesetzt, mithilfe sozialer Aktivitäten etwas für die "Entwicklung der Jugend" zu tun.
Trotz der wohltätigen Funktion in der türkischen Gesellschaft misstrauen viele Türken der Einrichtung. Das liegt vor allem an ihrer Nähe zur türkischen Regierung und zum türkischen Staatsoberhaupt Recep Tayyip Erdogan. Der Sohn des Präsidenten, Bilal Erdogan, befindet sich im Aufsichtsrat - genauso wie zahlreiche Abgeordnete der islamisch-konservativen Regierungspartei AKP.
Die TÜGVA, die hauptsächlich aus Spenden finanziert wird, ist die größte und relevanteste Jugendstiftung in der Türkei. Andere Parteien besitzen keine derartigen, ihnen nahestehenden Stiftungen. Gleichzeitig haftet ihr der Ruf an, dass sie nur diejenigen Jugendlichen fördert, die in das konservative Weltbild der AKP hineinpassen. Schon lange heißt es von Kritikern, dass die TÜGVA Präsident Erdogan lediglich dabei unterstützen soll, eine religiöse Generation mit islamisch-konservativen Werten zu erziehen.
Enthüllungen belasten TÜGVA
Jüngste Enthüllungen legen nun den Verdacht nahe, dass die Stiftung nicht nur regierungsnah ist, sondern gezielt AKP-Gefolgsleute in die türkische Bürokratie schleusen soll. Darauf deuten vertrauliche Dokumente, vermutlich von einem ehemaligen TÜGVA-Mitarbeiter, die belegen sollen, dass die Stiftung hunderte Parteitreue im Staatsdienst installiert.
Der freie Journalist Metin Cihan twitterte eine Liste mit Personen, die die TÜGVA für Positionen in staatlichen Einrichtungen in Betracht zieht, darunter Posten in Militär, Justiz und Polizei. Laut seines Informanten sollen diese "Zuteilungslisten" den Behörden dabei helfen, TÜGVA-Mitglieder oder Mitglieder von anderen regierungsnahen Stiftungen - wie etwa des türkischen Jugend- und Bildungsdienstes TÜRGEV oder der ENSAR-Stiftung, die sich ebenfalls der "Religions- und Moralerziehung" verschrieben hat - bei der Einstellung zu priorisieren.
Die Stiftung bestreitet die Vorwürfe sowie die Authentizität der Dokumente. TÜGVA-Präsident Enes Eminoğlu schrieb zunächst auf Twitter, dass die Dokumente "gefälscht" seien - ruderte jedoch später wieder zurück. Der Präsidentensohn und Stiftungsgründer Bilal Erdogan bezeichnete die Vorwürfe gegen Stiftungen, die der Erdogan-Familie nahestehen, als "verleumderisch" und "beleidigend". "Wenn Sie diese Institutionen diffamieren, verärgern und beleidigen sie gleichzeitig Hunderttausende von Menschen", wird er in türkischen Medien zitiert.
Erdogans Kampf gegen Gülen
Der bekannte türkische Investigativjournalist Ismail Saymaz hingegen hat keine Zweifel an der Glaubwürdigkeit der enthüllten Dokumente. Saymaz sieht in ihnen einen Beweis dafür, dass es spätestens seit dem Putschversuch im Juli 2016 einen verdeckten Machtkampf zwischen der türkischen Regierung und der Gülen-Bewegung gegeben habe. Die Gülen-Bewegung ist eine islamistische Bewegung des Predigers Fethullah Gülen, die früher weite Teile des Staatswesens dominierte und auch im Stiftungswesen aktiv war. Die türkische Regierung machte sie für den Putschversuch im Juli 2016 verantwortlich und ließ zahlreiche ihrer Anhänger als Mitglieder einer "terroristischen Organisation" ins Gefängnis sperren.
Nun hat es den Anschein, als sollten die frei gewordenen Stellen mit Gefolgsleuten der AKP aufgefüllt werden. "In allen Bereich, in denen die Gülenisten aktiv waren, hat die AKP nun islamistische Vereine und Organisationen eröffnet" - darunter auch die beiden relevanten Stiftungen TÜRGEV und TÜGVA, in denen direkte Familienangehörige von Präsident Erdogan das Sagen haben.
Gibt es parallele Staatsstrukturen?
In der türkischen Öffentlichkeit wird nun darüber spekuliert, ob "parallele Staatsstrukturen" geschaffen wurden, indem Erdogan-Anhängern per Liste Schlüsselpositionen im Staatsdienst zugeschoben werden. Alpay Atmen, Abgeordneter der größten Oppositionspartei CHP, teilt diese Theorie: "Sie versuchen jetzt, genau das zu tun, was sie den 'gülenistischen Terroristen' vorgeworfen haben. Sie infiltrieren den Staat und bilden dafür ihre Leute aus. Es ist wichtig, nun eine Untersuchungskommission im Parlament einzurichten", so der Oppositionspolitiker.
Der TÜGVA wird jedoch nicht nur eine Unterwanderung des Staates vorgeworfen. Kritiker verweisen auch darauf, dass die Stiftung immer mehr aufgebläht wurde: Acht Jahre nach ihrer Gründung besitzt sie 38 Studentenwohnheime - zudem verfüge sie über mehr als 1000 Schlaforte für ihr Personal. Viele davon werden, so heißt es in den Enthüllungen, aus dem Budget der Gemeinden finanziert.
TÜGVA bangt um Top-Immobilien
Kurz vor den jüngsten Enthüllungen lag der Fokus der türkischen Öffentlichkeit bereits auf der Stiftung. Die TÜGVA sah sich mit Vorwürfen konfrontiert, öffentlichen Grundbesitz, oft in bester Lage, geschenkt oder zu Spottpreisen verpachtet bekommen zu haben. Die Diskussionen begannen, als die TÜGVA sich weigerte, ein lukratives Grundstück auf den Istanbuler Prinzeninseln zu räumen. Obwohl ein Gericht den Pachtvertrag auflöste, weigerte sich die Stiftung, das Gebäude zu räumen. Daraufhin kam es zu handfesten Tumulten zwischen Mitgliedern der regierungsnahen Stiftung und der städtischen Polizei, die der Oppositionspartei CHP untersteht.
Entstanden unter Mitarbeit von Hilal Köylü.