Bei Recherche Mord
27. Februar 2018Unter allen mitteleuropäischen Staaten gilt die Slowakei als Musterland. Anders als in Polen, Tschechien oder Ungarn hält sich der populistische Sog in der Slowakei in Grenzen. Immer wieder betont der slowakische Ministerpräsident Robert Fico, sein Land gehöre, bei allen Differenzen zur EU-Flüchtlingspolitik, zu Kerneuropa und spiele in der EU eine konstruktive Rolle. Keine Wirtschaft Mitteleuropas ist so sehr mit der EU verzahnt wie die slowakische, bereits 2009 wurde erfolgreich der Euro eingeführt.
Doch nun geht plötzlich ein riesiger Riss durch dieses Bild der Harmonie: In der Nacht zum Montag wurden der Journalist Ján Kuciak, 27, und seine Verlobte Martina Kusnírová in ihrem Wohnhaus im Dorf Velká Maca, 60 Kilometer östlich der Hauptstadt Bratislava ermordet aufgefunden, getötet durch gezielte Schüsse in Brust und Kopf. Es ist ein Mord, der die Slowakei zutiefst erschüttert, denn er steht ganz offensichtlich im Zusammenhang mit Kuciaks Arbeit als Investigativjournalist - davon gehen jedenfalls slowakische Ermittler aus.
Ist die italienische Mafia im Spiel?
Die slowakische Landesführung zeigte sich überaus schockiert und sparte nicht mit drastischen Worten: Ministerpräsident Robert Fico sprach von einem "nie da gewesenen Angriff auf die Pressefreiheit und Demokratie". Seine Regierung setzte umgehend eine Million Euro für Informationen aus, die zur Ergreifung der Täter führen. Der slowakische Polizeichef Tibor Gaspar nannte seinerseits die Morde eine "professionelle Exekution", die ganz offensichtlich mit Kuciaks Arbeit zu tun habe. Damit steht die Slowakei nun als Land da, in dem unbequeme Journalisten nicht einfach eingeschüchtert, sondern liquidiert werden - so wie in Russland, der Ukraine, einigen Westbalkan-Staaten oder auch Malta, wo im Oktober letzten Jahres die Investigativ-Journalistin Daphne Caruana Galizia ermordet wurde.
Noch ist völlig unklar, wer hinter der Mordaktion steckt. Motive gäbe es eine Menge: Der 27jährige Redakteur des Portals Aktuality.sk hatte in den letzten Monaten über die Verbindungen zwischen der linksnational-sozialdemokratischen Regierungspartei SMER zu korrupten Unternehmern und zur organisierten Kriminalität berichtet und war deshalb auch von dem für seine dubiosen Immobiliengeschäfte bekannten slowakischen Geschäftsmann Marián Kocner bedroht worden. Anderseits steht auch eine Version im Raum, derzufolge die italienische Mafia den Mord verübt haben könnte: Der britisch-slowakische Journalist Tom Nicholson berichtete in slowakischen Medien, Kuciak und er hätten parallel zu betrügerischen Geschäften mit EU-Fördergeldern der italienischen Mafia in der Slowakei recherchiert.
"Egal, wer dahinter steckt, es ist in jedem Fall ein schrecklicher und zutiefst schockierender Mord, der den langen, komplizierten Weg der Slowakei zu einem Rechtsstaat mit großen Fragezeichen versieht", sagt der slowakische Politologe Grigorij Meseznikov vom Institut für öffentliche Angelegenheiten (IVO) in Bratislava im Gespräch mit der Deutschen Welle.
Eine lange Liste der Übergriffe
Zwar ist in der bisherigen Geschichte der Slowakei seit ihrer Unabhängigkeit 1993 noch nie ein Journalist wegen seiner Arbeit ermordet worden. Doch die Liste der Übergriffe gegen Journalisten ist lang. Eine der letzten größeren Fälle war im Juni 2016 ein Brandanschlag auf den Wagen des Investigativjournalisten Milos Majko. Zwei andere Journalisten sind seit Jahren spurlos verschwunden: Im April 2008 verschwand Pavol Rypal, im März 2015 Miroslav Pejko. Zahlreiche brutale Angriffe auf Journalisten gab es vor allem in den 1990er Jahren unter dem semiautoritären Regime des damaligen Regierungschefs Vladimír Meciar. Aufgeklärt wurde so gut wie kein Fall.
Auch der jetzige sozialdemokratische Regierungschef Robert Fico hat ein schwieriges Verhältnis zu kritischen Journalisten und unabhängigen Medien. Fico nannte Journalisten schon "Idioten", "Hyänen", "Arschlöcher", "anti-slowakische Prostituierte" oder "Toilettenspinnen", zeitweise waren Redakteure der großen Tageszeitung Sme von seinen Pressekonferenzen ausgeschlossen. Grund von Ficos Bemerkungen waren meistens Recherchen von Journalisten zu Korruptionsaffären von ihm und seiner Partei.
Ein Problem mit der Korruption
Und die gibt es, ebenfalls anders als es das Image der Slowakei besagt, reihenweise. Schon seit langem steht beispielsweise Ficos Parteifreund, der slowakische Innenminister Robert Kalinák, wegen einer Korruptionsaffäre unter Druck: Er soll in einem Fall von Steuerbetrug den Geschäftsmann und Immobilienentwickler Ladislav Basternák gedeckt haben und ist an einer von dessen Firmen beteiligt. Fico selbst lebt in einer Mietwohnung, die Basternák gehört. Trotz mehrmaliger Massendemonstrationen gegen Korruption und Misstrauensanträge der Opposition im Parlament weigerte sich Kalinák bisher zurückzutreten.
Auch andere berüchtigte Fälle, die zum Teil viele Jahre zurückreichen, warten immer noch auf ihre Aufklärung. Darunter ist auch die "Gorilla-Affäre", einer der größten Skandale politischer Korruption in der Geschichte der Slowakei. Dabei sollen der Investmentgruppe Penta nach der Jahrtausendwende von korrupten Politikern und Staatsbeamten lukrative Privatisierungsdeals zugeschustert worden sein - gegen fette Provisionen. Auch der heutige Regierungschef Robert Fico soll damals bei den Geschäften mitgemischt haben. Endgültig aufgeklärt ist die Affäre bislang nicht.
Mit dem Mord an Ján Kuciak und seiner Verlobten rücken diese slowakischen Korruptionsskandale nun wieder in den Vordergrund - und könnten, wie der Politologe Grigorij Meseznikov sagt, für die gegenwärtige Führung gefährlich werden. "Wenn die Regierung nicht schnell ihr Bestes tut, um den Mord an Kuciak und seiner Verlobten aufzuklären", so Meseznikov, "dann gerät sie selbst unter Rücktrittsdruck."