Entscheidend ist die Haltung Pekings
8. Mai 2012 "Keine Propaganda, weder chinesische noch exil-tibetische“. Mit diesem Versprechen eröffnet Gregor Paul, Vorsitzender der Deutschen China-Gesellschaft, die Podiumsdiskussion über Tibet im Ostasiatischen Museum in Köln. Eine durchaus angebrachte Einleitung zu einer solchen Diskussion, denn die Debatte um die Tibetfrage ist mit Emotionen aufgeladen.
Die offiziellen Positionen sind klar: China unterdrücke die Tibeter und begehe kulturellen Völkermord, sagt die tibetische Exilregierung. Die Volksrepublik bringe Tibet Entwicklung und der Dalai Lama sei ein verschlagener Separatist, so die Position der chinesischen Regierung.
Das historische Argument
Der erste Streitpunkt der Runde ist die Frage, ob Tibet historisch ein Teil Chinas ist oder gewaltsam besetzt wurde. Klemens Ludwig, Publizist und Tibetkundler, hält die Argumentation, Tibet sei historisch gesehen ein Teil Chinas, für unzulässig. China sei schließlich im 14. Jahrhundert Teil des mongolischen Kaiserreichs gewesen, was völkerrechtlich heute auch keine Relevanz mehr habe. "Von daher gibt es historisch keine völkerrechtlich begründbare Argumentation, dass Tibet Teil Chinas ist. Was die aktuelle Situation betrifft, ist es so - und da sind sich viele Völkerrechtler einig -, dass Tibets Integration in China Teil eines gewaltsamen Aktes war“, argumentiert Ludwig.
Wenn das historische Argument unzulässig sei, entgegnet der Bonner Historiker Karl-Heinz Golzio, sei auch die Frage, ob die chinesische Armee Tibet gewaltsam besetzt habe, nicht relevant. Das sei schließlich inzwischen 60 Jahre her.
Fortschritt oder Hunger?
Tibet habe durch die chinesische Politik besonders in den letzten Jahren sehr stark profitiert, so der Kölner Sinologe Helmolt Vittinghoff. Die Chinesen hätten das Land erschlossen und Infrastruktur geschaffen. "Das heißt, alle Straßen sind gebaut worden, Nachrichtensysteme wie Internetanschluss, Handy usw.“ Das alles seien Leistungen, die von der chinesischen Armee geschaffen worden seinen, so Vittinghoff.
Moderne Infrastruktur und Technik gehörten zur modernen Zeit und hätten auch ohne die chinesische Besatzung Tibet erreicht, widerspricht Klemens Ludwig. Im Gegenteil habe die chinesische Politik Tibets Entwicklung gebremst. Erst mit den Chinesen sei der Hunger nach Tibet gekommen. In den 60er Jahren habe die chinesische Armee das Land kollektiviert, das Nomadentum bekämpft und Weizen statt Gerste anbauen lassen. "Der Weizen hat das Land dann in wenigen Jahren ausgesaugt, die sehr viel anspruchslosere Gerste durfte nicht mehr angebaut werden. Also es ist gar nicht so, dass China sozialen Fortschritt nach Tibet gebracht hätte, sondern das Gegenteil ist der Fall.“
Wie auch der Dalai Lama fordert Ludwig echte Selbstbestimmung für Tibet. Das bedeute nicht zwangsläufig Unabhängigkeit. Jedoch müssten die Tibeter das Recht haben, ihre Kultur und Religion frei ausüben zu können. Auch fordert er eine eigene Legislative für die Tibeter, das alles unter chinesischer Flagge. "An dieser Selbstbestimmung möchte ich nicht rütteln, weil das als Prinzip des Völkerrechts, unabhängig von seiner Verwirklichung, die einzige Möglichkeit ist, Gerechtigkeit herzustellen“, so Ludwig.
Appelle des Westens wirkungslos
Helmolt Vittinghoff gibt Ludwig prinzipiell Recht, hält die Forderung nach Selbstbestimmung jedoch für wirkungslos. Die chinesische Regierung werde Tibet so behandeln, wie sie es für richtig halte. Appelle des Westens, die Menschenrechte zu achten, halte man in China inzwischen für verlogen. "Wenn wir das Menschenrechtsthema ansprechen, dann sprechen wir das in der Regel mit einer Wirtschaftsdelegation im Hintergrund an.“ Die Chinesen wüssten, das Wichtige sei nicht das Thema Menschenrechte, so Vittinghoff. "Das Wichtige ist das wirtschaftliche Miteinander, das unsere Länder da betreiben. Das ist die Verlogenheit.“
Die Haupterkenntnis der Podiumsdiskussion in Köln: Was auch immer der Westen und die tibetische Exilregierung fordern, die Lösung der Tibetfrage hängt entscheidend von der chinesischen Regierung ab.