Vorentscheidung im Land der Riesen und Krisen
13. Mai 2017Torsten Albig hat es verbockt. Sozialdemokraten sind auf den Mann, der am vergangenen Sonntag als Ministerpräsident Schleswig-Holsteins abgewählt wurde, stocksauer. Auf der Zielgeraden des Wahlkampfes hatte Albig seinen Wählern eher Privates denn Politisches mitzuteilen. Warum seine Ehe gescheitert sei und dass er der Neuen schon eine Handtasche gekauft habe, erzählte der Regierungschef der Zeitschrift "Bunte". Die Homestory kam gar nicht gut an. Minus drei Prozent, das hat die SPD den Sieg gekostet. Dabei waren die Sozialdemokraten richtig gut drauf, seit Martin Schulz den Merkel-Herausforderer gibt.
Im Wohnzimmer der Sozialdemokratie
Der SPD-Schulz-Express wurde jäh gestoppt. An diesem Sonntag, dem 14. Mai wird es wieder ernst - und wie! Gewählt wird dann im größten Bundesland, die einzig echte Testwahl für den Bund. Hier heißt es schon immer: Wenn NRW hustet, hat Berlin eine Grippe. Das Fast-18-Millionen-Einwohnerland ist wichtig.
Nordrhein-Westfalen ist SPD-Hochburg. In 50 Jahren gab es nur einmal einen CDU-Ministerpräsidenten. Das Land mit dem Bindestrich, das die Briten nach dem Zweiten Weltkrieg aus dem nördlichen Rheinland und Westfalen zusammenschweißten, ist politisch und wirtschaftlich ein Riese. Jeder fünfte Wahlberechtigte wohnt in NRW. Egal in welcher Partei, ohne die Abgeordneten aus dem Westen sind nur schwer Mehrheiten in Berlin zu organisieren. Auch wenn die letzte Zeche nächstes Jahr schließen wird, hier war die Schwerindustrie zuhause und auch jetzt noch stellt das Land die meisten der großen börsennotierten Unternehmen.
NRW: Ganz groß, ganz schwach
Doch Nordrhein-Westfalen schwächelt. Die Arbeitslosigkeit (7,7 Prozent 2016) ist zwar gesunken, doch beim NRW-Anteil der Erwerbslosen in ganz Deutschland stellt das Land inzwischen 27 Prozent. 2010 waren es nur 24 Prozent. Dafür steigt die Armutsquote seit Jahren kontinuierlich. Im Bildungsbereich wird der Landesregierung in Düsseldorf attestiert, weniger pro Schulkind zu investieren, als andere Landesregierungen es tun. Auch in der Kriminalitätsstatistik schneidet NRW schlecht ab. Die Aufklärungsquote beträgt gerade mal gut 50 Prozent - bayrische Polizisten kommen auf fast 66 Prozent. Und beim Thema Schulden wird schon von "griechischen Verhältnissen" gesprochen.
Dagegen ist NRW Weltmeister bei den Staukilometern. Nirgendwo sonst in der Republik verlieren Autofahrer soviel Zeit wie auf den Straßen an Rhein und Ruhr. Das ist nicht alles der Regierung von SPD-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft anzulasten. Doch das ist der Stoff aus dem die CDU-Opposition Wahlkampf macht.
Der "lasche" Armin Laschet und die Landesmutti
Hannelore Kraft, ein Ruhrgebietskind aus der Mitte der Bevölkerung, kann gut mit Menschen. Das ist ihr Trumpf. Mit Fremden spricht sie so, als würde sie jeden Tag mit ihnen Mittagspause machen. Sie kommt an. Seit sieben Jahren im Amt, hatte sie zuletzt Verschleißerscheinungen gezeigt. Und die SPD ist längst nicht mehr unschlagbar im Westen, doch ihre größte Stärke am 14. Mai dürfte die Schwäche der CDU sein. Nicht von ungefähr wird über Armin Laschet, den Herausforderer, gewitzelt, er sei eben so, wie er heißt, zu lasch eben. Auch er ein Sympathieträger im direkten Bürgerkontakt. Doch weh tun sich beide nicht. Zum Bild der wenig begeisternden Spitzenkandidaten passt der konventionelle Wahlkampf mit Parolen, die alle Jahre wieder reaktiviert werden (mehr Lehrer, mehr Polizei).
Kraft liegt mal knapp, mal großzügig vorne. Beide scheinen aber derzeit von den globalen Aufgeregtheiten der jüngeren Zeit zu profitieren. Ob Brexit-, Rechtspopulismus oder Donald Trump: die beiden großen Parteien der Mitte - SPD und CDU - erleben derzeit ein kleines politisches Hoch. Als Garanten der ruhigen Mitte. Merkel hat ihren Flüchtlingsmalus wieder im Griff und die SPD freut sich unter Martin Schulz über einige Prozente mehr bei den Demoskopen.
Bambi und die Wiederauferstehung der Liberalen
Und die schauen besonders konzentriert auf Christian Lindner, den Frontmann der Liberalen, der die FDP nicht nur in Düsseldorf wieder stark machen soll, sondern vor allem im Bund. Der erst 38-jährige Chef der Liberalen war mit 22 Jahren mal der jüngste Landtagsabgeordnete, was ihm den Namen "Bambi" einbrachte. Jetzt ist er der Alleinunterhalter der FDP. Der gesamte liberale Wahlkampf ist eine One-Man-Show. Von ihm wird nichts weniger erwartet, als die FDP in NRW zu pushen, damit sie im September in Berlin wieder in den Bundestag einzieht. Für den 14. Mai rechnen Partei und Demoskopen mit einem zweistelligen Ergebnis. Die FDP dürfte ein teurer Koalitionspartner werden - egal für wen.
Keine Angst mehr vor der AfD
Das Elefantenrennen der beiden großen SPD und CDU, die Magerkur der Grünen und der Hype um die neue FDP haben die AfD zuletzt an den Rand gedrückt. Die Rechtspopulisten kommen nur noch halbstark daher. Bei den Ergebnisprognosen fallen die Urteile inzwischen bescheidener aus. Sie werden rein kommen in den Landtag, aber vermutlich nicht zweistellig. Die große Aufregung um die Neu-Partei ist kleiner geworden.
Nordrhein-Westfalen war zwar nicht Vorreiter einer rot-grünen Koalition, aber sie hat nicht unmaßgeblich die Schröder-Fischer-Koalition 1998 ermöglicht. Insofern gilt das größte Bundesland auch als politische Versuchsstation für den Bund. Schwarz-Grün - seit langem im Gespräch - ist zwar eher unwahrscheinlich. Und auch zu einer "Jamaika-Koalition" aus CDU, FDP und Grünen wollen es letztere nicht kommen lassen. Doch im Lichte der Ergebnisse sind schon manche Absprachen und Beschlüsse korrigiert worden. Denn eines ist sicher: Die größte Wahrscheinlichkeit hat eine große Koalition und die ist unbeliebt und hätte keinerlei Signalwirkung für Berlin im Herbst. Denn dort regiert sie schon. Martin Schulz rechnet mit allem. Auch mit Unwägbarkeiten.
Nur eines ist sicher: Über eine ungeschickte Homestory wird Amtsinhaberin Hannelore Kraft am Sonntag nicht stolpern. Privates hat sie nur einmal medienwirksam verbreiten lassen: Ihre nachträglichen Hochzeitsfotos ganz in weiß.