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"Entschuldigen Sie diesen Judenhass nicht!"

15. Mai 2021

Eine Welle gewaltsamer Übergriffe auf jüdische Einrichtungen und Symbole in Deutschland sorgt für Empörung. Der prominenteste jüdische Vertreter des Landes ruft um Hilfe.

Frankfurt 3. ökumenischer Kirchentag Josef Schuster
Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden, beim Ökumenischen KirchentagBild: Frank Rumpenhorst/dpa/picture alliance

"Es reicht! Schauen Sie nicht weg! Entschuldigen Sie diesen Judenhass nicht, der sich gerade entlädt!" Josef Schuster, der Präsident des Zentralrats der Juden, ist kurzfristig der Einladung von FDP-Chef Christian Lindner gefolgt, beim digitalen Bundesparteitag der FDP per Live-Schalte ein Grußwort zu sprechen. Wenn Grußworte sonst eher dahinplätschern und auch mal langweilen können, so wird Schusters kurzer Beitrag zum angstvollen, aufgewühlten Appell.

Deutschland und der Judenhass … In diesen Tagen bekommt eine lange und grausige Geschichte eine Fortsetzung. Als Raketen aus Gaza am Mittwochabend auf Vororte von Tel Aviv flogen und israelische Vergeltungsschläge den dichtbesiedelten Gazastreifen trafen, brannten vor mehreren deutschen Synagogen israelische Fahnen. Und in Gelsenkirchen rief ein Mob: "Scheißjuden". Polizisten sicherten dort das jüdische Gebetshaus, stoppten die Demonstranten mit ihren antisemitischen Parolen aber nicht. Und Juden in Deutschland sind in Angst. 

Das jüdische Gotteshaus in Gelsenkirchen.Bild: Martin Meissner/AP/picture alliance

"Fundamente der Demokratie"

Selbst wenn jemand die israelische Regierungspolitik kritisch sehe oder für gänzlich falsch halte, rechtfertige das weder einen "Dauer-Raketenbeschuss auf die israelische Zivilbevölkerung" noch "den puren Antisemitismus auf deutschen Straßen", mahnt Schuster. Und er ruft die Liberalen auf, "aufzustehen gegen Judenhass bei Corona-Leugner-Demos, aufzustehen gegen Judenhass bei Anti-Israel-Demos. Und aufzustehen gegen all die Spalter, die Extremisten, die Radikalen, die an den Fundamenten unserer Demokratie sägen."

Eigentlich stand als Medien-Termin an diesem Freitag ein Auftritt Schusters beim digitalen Ökumenischen Kirchentag in Frankfurt am Main auf dem Programm. Dabei wäre es ohne die Eskalation der vergangenen Tage geblieben. Das Gespräch beim Kirchentag wurde bereits am Mittwoch aufgezeichnet, also zwei Tage vor Ausstrahlung. Damit gab es also keinen Bezug auf die aktuellen Bilder aus dem Gaza-Streifen, aus israelischen Städten wie Aschkelon oder Lod oder auch aus Gelsenkirchen. Und doch machte der zeitliche Abstand vieles deutlicher.

24 Stunden Polizeischutz

Frankfurts Oberbürgermeister Peter Feldmann (SPD), selbst jüdischen Glaubens, begrüßte zum Kirchentagsgespräch aus der "sicherlich jüdischsten Stadt Deutschlands". Aber auch diese Stadt sei "keine Insel der Glückseligen". Auch hier zeige sich antisemitisches Gedankengut, werde "das Menschheitsverbrechen der Schoah relativiert", müssten Polizisten 24 Stunden am Tag die Westend-Synagoge beschützen. Es gebe einen "Antisemitismus in der Mitte" der Stadt, es gebe "aber auch das Gegenteil", Stolz auf Vielfalt, Liberalismus und freien Geist.

Immer wieder finden sich bei "Querdenkern" Bezüge auf Verschwörungstheorien, auch Codes für Judenhass.Bild: picture-alliance/dpa/C. Schmidt

Denn in großer Sorge äußerte sich Schuster bereits beim Kirchentagsforum – mit Blick auf Corona-Leugner und "Querdenker". Da berichtete er, dass Corona-Leugner am vergangenen Wochenende in Berlin eine Demonstration gegen die behördlichen Auflagen im Kampf gegen die Pandemie angemeldet hätten – "vor dem Sitz des Zentralrats der Juden in Berlin". Die Demo fand dort schlussendlich nicht statt. Aber das Vorhaben war für Schuster das beste Beispiel dafür, wie antisemitische Strömungen bei Corona-Leugnern mitströmen. Es gebe "gefährliche gesellschaftliche Verwerfungen".

Kritik am kirchlichen Blick

Und Schuster blickte auch in diesem Rahmen auf die Bewertung aus Deutschland auf Israel. Er wünsche sich "mehr Sensibilität bei der Beurteilung der Lage in Israel". Dazu gehöre mehr Sensibilität und Zurückhaltung auch in kirchlichen Kreisen. "Viele Urteile fallen zu schnell und mit zu wenig Sachkenntnis. Stattdessen basieren sie auf Vorurteilen." Das klang offen und ehrlich.

Die Antisemitismus-Beauftragte der Europäischen Union, Katharina von Schnurbein Bild: SvenSimon/picture alliance

Europaweit sei die Situation "leider ähnlich wie in Deutschland", erläuterte Katharina von Schnurbein, Antisemitismus-Beauftragte der Europäischen Union. Dabei sei Antisemitismus kein Problem der Juden, sondern der Antisemiten. Und es sei "ein Problem gegenüber den Juden, aber letztlich gegenüber uns allen".

Ruf nach Solidarität

Zwei Tage nach diesem Gespräch erinnert Schuster bei der FDP an die Demonstration gegen Antisemitismus mit knapp 5000 Menschen am Brandenburger Tor im September 2014. Damals hatte es zuvor gleichfalls mehrere antisemitische Übergriffe gegeben. Und - auch daran erinnert Schuster - es war der Zentralrat selbst, der vor sieben Jahren zur Demo "aufrufen musste. Denn von breiter Solidarität war leider wenig zu spüren."

"Wo sind die Menschen, die solidarisch sind? Wo sind die Menschen, die für Respekt werben?", frage Schuster. Nach wie vor fänden sich in den sozialen Medien alle paar Stunden neue Hinweise für judenfeindliche Übergriffe. Mal wurde über Nacht eine israelische Fahne entwendet, mal wurde ein Jude, erkennbar am Davidsstern seiner Halskette, bespuckt.  

Im September 2014 gab es eine Demonstration gegen Antisemitismus in Berlin. Bild: Reuters/Thomas Peter

Gäste in der Synagoge

Am Freitagabend fand in der Chabad-Gemeinde in Berlin-Wilmersdorf ein "Solidaritätsgottesdienst anlässlich des anhaltenden Raketenterrors der Hamas" statt. "Wir stehen gemeinsam an der Seite Israels! Wir beten für die Sicherheit und den Frieden in Israel", bekräftigte Rabbiner Yehuda Teichtal, Gemeinderabbiner der Jüdischen Gemeinde zu Berlin. Er hatte unter anderen Israels Botschafter Jeremy Issacharoff, Bundesjustizministerin Christine Lambrecht, Kultur-Staatsministerin Monika Grütters und Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock zu der Feier eingeladen.

Eine Mahnwache gab es auch an der Synagoge in Gelsenkirchen. Und in Würzburg steht am Sonntag eine Kundgebung der Deutsch-Israelischen Gesellschaft an.

 

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