Entsetzen nach Bomben auf Klinik in Kundus
3. Oktober 2015Bei einem Luftangriff in Kundus haben amerikanische Bomber in der Nacht vermutlich unbeabsichtigt ein Krankenhaus der Organisation "Ärzte ohne Grenzen" (MSF) getroffen. Mindestens 19 Menschen seien getötet worden, teilte eine Sprecherin der Organisation in Berlin mit. Unter den Toten sollen sich zwölf Mitarbeiter der Klinik befinden und sieben Patienten. Mindestens 37 Menschen seien schwer verletzt worden, darunter 19 Mitarbeiter. Viele Menschen würden noch vermisst, erklärte "Ärzte ohne Grenzen".
Das Klinikgebäude sei durch den Angriff stark beschädigt worden. Die Organisation veröffentlichte Bilder von der in Flammen stehenden Klinik und den massiven Schäden. Zum Zeitpunkt des Luftangriffs hätten sich 185 Menschen in der Klinik aufgehalten - 105 Patienten und Angehörige sowie mehr als 80 Mitarbeiter, erklärte "Ärzte ohne Grenzen". Die genaue Lage der Klinik mit GPS-Koordinaten sei vorsorglich mehrfach, zuletzt am 29. September, an alle Konfliktparteien kommuniziert worden. Nach Beginn des nächtlichen Angriffs habe man das amerikanische und afghanische Militär erneut kontaktiert; dennoch habe das Bombardement noch mehr als 30 Minuten angehalten.
Ein Kollateralschaden?
Die NATO bestätigte nächtliche Bombardements in Kundus. Ein Sprecher des US-Militärs erklärte, der Angriff könne "zu einem Kollateralschaden in einer medizinischen Einrichtung geführt haben". Der Vorfall werde untersucht. Der Sprecher der NATO-Mission in Afghanistan, Sernando Estreooa, teilte mit: "Die US-Streitkräfte haben am 3. Oktober um 2.15 Uhr Ortszeit einen Luftangriff nahe der Einrichtung durchgeführt, wo einzelne Personen die Truppen bedrohten."
Inzwischen gab das Präsidialamt in Kabul bekannt, der Kommandeur der US-geführten Truppen in Afghanistan, General John Campbell, habe Präsident Ashraf Ghani sein Beileid bekundet.
In einer Stellungnahme der US-Botschaft in Afghanistan hieß es, man trauere um die Menschen, die von dem "tragischen Zwischenfall" in dem Krankenhaus betroffen seien, sowie um deren Familien. "Wir sind zutiefst über die anhaltende Gewalt in Kundus besorgt sowie über die schwierige humanitäre Lage, mit der die Einwohner zu kämpfen haben." Verteigungsminster Ash Carter kündigte eine umfassende Untersuchung in Zusammenarbeit mit der afghanischen Regierung an.
Das afghanische Verteidigungsministerium teilte mit, "eine Gruppe von Terroristen mit leichten und schweren Waffen" sei in der Klinik gewesen. Ein Taliban-Sprecher erklärte hingegen: "Keiner unserer Kämpfer war zum Zeitpunkt des Angriffs ein Patient der Klinik." Die Klinik wird ausschließlich aus Spenden finanziert und behandelt jeden - unabhängig von Herkunft oder Religion.
"Zutiefst schockiert"
Die Hilfsorganisation zeigte sich "zutiefst schockiert". "Wir fordern alle Konfliktparteien auf, die Sicherheit von Gesundheitseinrichtungen und Personal zu respektieren", hieß es in einer Mitteilung. Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) nannte die Gewalt gegen Patienten und medizinische Mitarbeiter erschreckend. Derartige Angriffe beeinträchtigten die Möglichkeiten von humanitären Organisationen, den Menschen in Afghanistan dringend benötigte Hilfe zukommen zu lassen, sagte der Chef des internationalen Roten Kreuzes in Afghanistan, Jean-Nicolas Marti.
Auch die Vereinten Nationen übten scharfe Kritik. "Krankenhäuser, in denen sich Patienten und medizinisches Personal befinden, dürfen niemals zum Angriffsziel werden", sagte der UN-Sondergesandte für Afghanistan, Nicholas Haysom.
Die EU-Kommission äußerte sich ebenfalls "schockiert" und bedauerte den Tod der Klinikmitarbeiter. Der für humanitäre Hilfe zuständige Kommissar Christos Stylianides sprach den Familien und Kollegen der Opfer sein Beileid aus und würdigte die unter sehr schwierigen Bedingungen stattfindende Arbeit der Organisation am Hindukusch. Medizinische Einrichtungen und humanitäre Helfer müssten geschützt werden.
Kundus war am Montag von den radikalislamischen Taliban erobert worden. Die Armee startete umgehend eine Gegenoffensive und meldete am Freitag die Rückeroberung der Stadt. Aber auch am Samstag wurde in den Straßen von Kundus gekämpft. Seit Mitte der Woche bombardieren US-Kampfflugzeuge Stellungen der Taliban in und um Kundus . Mindestens 60 Menschen sollen bisher getötet und etwa 400 verletzt worden sein.
NATO-Mission verlängern?
Ende 2014 hatte die NATO ihren Kampfeinsatz beendet. Für die Folgemission "Resolute Support" sind noch etwa 13.000 Soldaten der Allianz mit Ausbildungs- und Beratungsauftrag im Land, darunter bis zu 850 deutsche Soldaten. Inzwischen wird darüber diskutiert, den bis Ende 2016 geplanten Einsatz zu verlängern. Die Zeitung "Welt am Sonntag" berichtet vorab unter Berufung auf NATO-Diplomatenkreise, dass die Bundesregierung für eine Verlängerung um ein Jahr plädiere. Dies werde Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen beim Treffen mit ihren Kollegen aus den NATO-Ländern in der nächsten Woche in Brüssel vorschlagen. Das Ministerium erklärte dagegen, über die Frage sei noch nicht entschieden worden.
kle/uh (afp, epd, rtr, dpa)