Enttäuschung in Gaza über abgesagte Wahlen
22. September 2016 In Gaza-Stadt sorgte die Nachricht für Enttäuschung, auch wenn einige so etwas schon erwartet hatten. "Wir denken nur von Tag zu Tag", sagt Rami Dreimly, der energiegeladene junge Chef einer Werbe- und Druckagentur, die die Wahlkampfplakate herstellt. "Selbst als wir noch in der Planung waren, um Plakate und die Social-Media-Kampagne zu entwerfen, waren wir vorsichtig und haben gesagt, vielleicht sollten wir nicht zu viel investieren."
Dennoch kam das vorläufige Gerichtsurteil des obersten Gerichts der Palästinensischen Autonomiebehörde in Ramallah für viele überraschend. Das Gericht hatte die Wahl nach einem Einspruch abgesagt. Dabei ging es zum einen darum, dass die Wahl nicht in Ostjerusalem abgehalten werden kann, denn Israel sieht Ostjerusalem als Teil von Israel und erlaubt dort keine Wahlen. Zum anderen ging es um die Anerkennung der Gerichtsbarkeit in Gaza, wo Hamas die Kontrolle hat. Ein Gericht dort hatte fünf Fatah-Listen nicht zugelassen, was als Affront in Ramallah gesehen wurde.
Am Mittwoch tagte das Gericht erneut, verschob aber eine Entscheidung auf den 3. Oktober. Die Wahlkommission bestätigte, dass der 8. Oktober als Wahltag wohl nicht mehr in Frage käme.
Politische Fehde statt Demokratie
Dabei war schon alles vorbereitet: Große Anschlagtafeln sind bereits an den großen Straßenkreuzungen aufgestellt. Hier sollen die Wahlplakate für sechs Listen mit den Personen angebracht werden, die für Sitze in der Stadtverwaltung von Gaza-Stadt kandidieren. "Viele Menschen sind enttäuscht. Auch ich bin enttäuscht", sagt Dreimly. "Es gab die Hoffnung, dass die Wahlen uns zumindest das Gefühl einer Veränderung geben."
Beide politischen Rivalen, Hamas und Fatah, gaben sich umgehend gegenseitig die Schuld für die Entscheidung des Gerichts. "Wir denken, dass dies eine politische Entscheidung war. Hamas ist sehr interessiert an den Wahlen", sagt Hazem Qasem, Sprecher der Hamas. Hamas lehnt die Verschiebung der Wahl ab.
Fatah wiederum protestiert gegen die Nichtzulassung seiner Listen. "Es muss eine gesunde Situation vorherrschen, um Wahlen abzuhalten, ohne dass Institutionen zur Spaltung benutzt und Listen ausgeschlossen werden", sagt Fatah-Chef Faisal Abu Shahla. "Sicherheitskräfte müssen aufhören, unsere Leute unter Druck zu setzen, indem sie sie verprügeln oder festnehmen."
Misstrauen gegen Hamas und Fatah wächst
Für viele in Gaza ist der Streit nur ein weiterer trauriger Rückschlag in der andauernden Spaltung zwischen Hamas, die den Gazastreifen kontrolliert, und Fatah, die im Westjordanland das Sagen hat. Das Misstrauen gegen beide ist in den vergangenen Jahren laut Umfragen in der Bevölkerung gewachsen.
"Es ist zehn Jahre her, dass die Menschen wählen konnten. Und gerade hier in Gaza gibt es viele junge Menschen, die an einer Wahl teilnehmen und diese Erfahrung machen wollen", sagt Mustafa Ibrahim, Kolumnist und Menschenrechtsaktivist. "Die letzte Wahl in Gaza 2006 haben viele genutzt, um Fatah zu bestrafen. Und einige Leute haben gedacht, dass sie diese Wahl vielleicht nutzen können, der Hamas in Gaza einen Denkzettel zu verpassen. Und umgekehrt gilt das auch für das Westjordanland."
Gazas einzige drei Grenzübergänge werden von Israel und Ägypten strikt kontrolliert. Die sogenannte Blockade-Politik beeinflusst alle Lebensbereiche der rund 1,8 Millionen Menschen, die in dem kleinen Landstrich am Mittelmeer leben. Die strikte Kontrolle der islamistischen Hamas, auf der Terrorliste in den meisten westlichen Staaten, übt zusätzlichen Druck aus. Tägliche Stromausfälle von bis zu zwölf Stunden, hohe Arbeitslosigkeit, starke Reiseeinschränkungen und drei Kriege im Nacken - die Situation ist alles andere als einfach. Dennoch haben einige in Gaza gehofft, dass die Kommunalwahlen eine Veränderung mit sich bringen könnten.
"Es wäre schon gut, wenn es mehr Verantwortlichkeit geben würde", sagt Rami Dreimly. "Ich zahle Steuern und bekomme eigentlich nichts dafür. Die Löcher in den Straßen oder die herunterhängenden Stromkabel sind nicht immer nur der Blockade geschuldet." Andere sind weniger optimistisch. "Selbst wenn es eine Wahl gibt, werde ich nicht hingehen. Ich bleibe zuhause", sagt Riad Zibdah, Besitzer eines alteingessenen Falafel-Imbiss. "2006 haben wir gewählt, und dann wurden wir betrogen. Die ganze Welt hat uns bestraft."
Wahlen lange überfällig
Wahlen in den besetzten palästinensischen Gebieten sind bereits lange überfällig. Zwar gab es 2012 Kommunalwahlen, aber sie wurden nur im Westjordanland abgehalten, weil Hamas die Wahl boykottierte und im Gazastreifen verhinderte. Die letzten Parlamentswahlen fanden 2006 statt. Damals gewann die islamistische Hamas - was einen Boykott der meisten westlichen Länder nach sich zog und nach der auch die innerpalästinensische politische Fehde zwischen Hamas und Fatah ihren Lauf nahm. Alle Versuche zwischen den rivalisierenden Bewegungen zu vermitteln, sind bislang gescheitert. Auch das palästinensische Parlament hat seit fast zehn Jahren nicht mehr getagt, und Präsident Mahmoud Abbas, 2005 gewählt, regiert noch immer per Dekret.
Die Kommunalwahlen werden deshalb auch von Beobachtern als einen Schritt gesehen, die Vertreter in den 416 Stadt- und Gemeinderäten im Westjordanland und Gazastreifen auf demokratische Weise zu bestimmen.
Junge Wähler hoffen auf Wandel
Vor allem junge Wähler sehen darin eine Chance. Die Kommunalwahlen könnten auch kleineren Gruppen die Möglichkeit geben, für Sitze im Stadtrat zu kandidieren - wie zum Beispiel 'Shabab il Balad', einer Gruppe von jungen Berufstätigen, die von sich sagen, dass sie keiner politischen Fraktion angehören. "Wir sind Anwälte, Ärzte oder Ingenieure, eine Gruppe von jungen Leuten, politisch unabhängig. Wir wollen den Bürgern unserer Stadt dienen", sagt Salama Afifi, der die Liste anführt. Der 30-jährige Arzt möchte einen Wandel bei der Stadtverwaltung sehen, in der die meisten Funktionäre ernannt statt gewählt wurden. "Wir wollen jungen Leuten eine Stimme geben, sie sind nirgendwo vertreten, auch nicht in den Stadträten."
Für Erstwähler wie die 20-Jährige Rawand Taturi, wäre das Wichtigste allerdings, dass die Wahlen überhaupt stattfinden. "Irgendwie haben wir uns das schon gedacht, dass die Wahlen vielleicht nicht stattfinden", sagt die Studentin. Wie ihre Mitstudentin Snail Buhaize, 20, hofft sie darauf, dass sie bald ihre Stimme abgeben kann. "Das wäre eine sehr seltene Gelegenheit, dass wir etwas bestimmen können", sagt die junge Frau. "Aber im Moment sieht es ja eher nicht danach aus."