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Weniger Entwicklungshilfe: Hilfsorganisationen sind entsetzt

Veröffentlicht 17. Juni 2025Zuletzt aktualisiert 25. Juni 2025

Hilfsorganisationen warnen vor den Gefahren für Millionen Menschen in Zeiten zahlreicher Kriege und Konflikte. Während die Welt massiv aufrüstet, gibt es dramatisch weniger Geld für arme Länder.

Eine Frau steht vor einer weißen Wand und stellt farbige Wasserkanister auf. Auf der Wand sind ein Bundesadler, die deutsche Flagge und das Logo der Deutschen Welthungerhilfe zu sehen.
Deutsche Entwicklungszusammenarbeit in Kenia: Regenwassertanks helfen der Gemeinde Mindali, ihre Bewohner mit Trinkwasser zu versorgen Bild: Thomas Koehler/photothek/IMAGO

Michael Herbst hoffte vergeblich auf einen Sinneswandel in der neuen Bundesregierung aus Unionsparteien (CDU/CSU) und Sozialdemokraten (SPD): "Weitere Kürzungen wären absolut unverantwortlich", hatte der Vorstandschef des Dachverbandes der Organisationen der Entwicklungszusammenarbeit (VENRO) einen Tag vor der Veröffentlichung des Haushaltsentwurfs 2025 gewarnt.

Seit dem 24. Juni sind seine Befürchtungen Gewissheit: Im Etat stehen massive Kürzungen. Das Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) soll nur 10,3 Milliarden Euro erhalten – fast eine Milliarde weniger als 2024. Es ist das zweite Minus in Folge. Wie dramatisch der Rückgang ist, zeigt ein Blick auf das Jahr 2022: Damals gab Deutschland noch 13,8 Milliarden Euro für Entwicklungshilfe aus.     

"Mehr als 100 Millionen sind auf der Flucht"

Was die dramatischen Kürzungen in Zeiten von immer mehr Kriegen und Konflikten für die betroffenen Menschen bedeutet, erläuterte VENRO-Chef Herbst an einem Beispiel: "Mehr als 100 Millionen sind auf der Flucht. Gleichzeitig ziehen sich immer mehr Geberländer zurück." Deshalb brauche es eine stabile Finanzierung von Entwicklungszusammenarbeit und humanitärer Hilfe durch die Bundesregierung. Aber das Gegenteil ist der Fall.

Was aus seiner Sicht die Lage noch weiter verschärft, ist die um 53 Prozent auf rund eine Milliarde Euro gekürzte humanitäre Nothilfe. Herbst findet das kurzsichtig: "Als drittgrößte Volkswirtschaft der Welt kann und muss Deutschland hier Verantwortung übernehmen und darf seine Etats in diesen Bereichen nicht weiter kürzen", forderte er vergeblich eine Umkehr.

Ist der gute Ruf im globalen Süden jetzt gefährdet?

Seine Begründung, die in der Bundesregierung auf taube Ohren stieß: Als Exportnation sei Deutschland auf gute Beziehungen und globale Stabilität angewiesen. "Die deutsche Wirtschaft profitiert von einem guten Ruf und belastbaren Beziehungen in Ländern des globalen Südens. Das sichert Arbeitsplätze auch bei uns."

Deutschlands Kürzungen fallen in eine Zeit, in der US-Präsident Donald Trump gleich zu Beginn seiner zweiten Amtszeit tiefe Einschnitte in der Entwicklungshilfe auf den Weg gebracht hat. Rund 80 Prozent sollen gestrichen werden. 

Eingefrorene USAID-Hilfe: Furcht vor Hungersnot in Tigray

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Deutschland verfehlt erneut das 0,7-Prozent-Ziel

Durch die drastische Reduzierung des BMZ-Etats war die sogenannte ODA-Quote (Official Development Assistance) schon 2024 unter das selbst gesteckte Ziel von 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens gesunken. Seit 2020 hatte sie durchgehend darüber gelegen.

Die Deutsche Welthungerhilfe und das Kinderhilfswerk Terre des Hommes halten die Kürzungen für ein fatales Signal, zumal sich CDU, CSU und SPD im Koalitionsvertrag nicht mehr ausdrücklich zum 0,7-Prozent-Ziel bekennen: "Damit kündigt die Bundesregierung nicht nur eine finanzielle, sondern auch eine politische Abkehr von internationalen Verpflichtungen an", kritisieren beide Organisationen in ihrem Mitte Juni vorgelegten "Kompass 2025" genannten Bericht zur Entwicklungspolitik. 

Wer übernimmt die Führungsrolle in der Friedenspolitik?

Welthungerhilfe-Generalsekretär Mathias Mogge und TDH-Vorstandssprecher Joshua Hofert fordern die Bundesregierung auf, angesichts einer zunehmend unfriedlichen Welt eine Führungsrolle in der Friedenspolitik einzunehmen. Dafür finden sich auf über 30 Seiten zahlreiche Empfehlungen an die Politik und illustrierende Grafiken zur Entwicklungszusammenarbeit.

"Deutschland muss sich für eine konsequente Achtung des humanitären Völkerrechts und der humanitären Prinzipien sowie für den Zugang zu Hilfe und den Schutz der Zivilbevölkerung in Kriegen und Konflikten einsetzen. Zudem muss es sich dafür einsetzen, dass Hunger nicht als Waffe eingesetzt wird", heißt es in der Bestandsaufnahme der Hilfsorganisationen.

SIPRI: 2,7 Billionen US-Dollar für Rüstung

Im Mai hat das Stockholmer Institut für Internationale Friedensforschung (SIPRI) in seinem Jahresbericht einen neuen Höchstwert bei der weltweiten Aufrüstung ermittelt: 2,7 Billionen US-Dollar für Militärausgaben. Das entspricht einer Steigerung von fast zehn Prozent. Und das Nordatlantische Verteidigungsbündnis (NATO) will auf seinem Gipfel in Den Haag vereinbaren, dass jeder Mitgliedsstaat jährlich fünf Prozent seiner Wirtschaftsleistung für die Verteidigung ausgeben soll.   

Vor diesem Hintergrund erscheinen die global sinkenden Mittel für Entwicklungshilfe besonders augenfällig. Dramatische Folgen sind insbesondere bei der humanitären Hilfe schon absehbar. Die USA haben ihre Unterstützung für diesen von den Vereinten Nationen (UN) verwalteten Fonds komplett eingestellt. Wegen der weltweit massiven Kürzungen sieht sich Nothilfe-Koordinator Tom Fletcher gezwungen, zahlreiche Programme für die Ärmsten der Armen zu streichen.

Humanitäre Hilfe reicht nur noch für 114 statt 180 Millionen Menschen

Die Auswirkungen auf die bedürftigen und hungernden Menschen seien verheerend, beklagte der UN-Vertreter schon vor Wochen. Statt der ursprünglich veranschlagten 44 Milliarden rechnet Fletcher nur noch mit 29 Milliarden US-Dollar für die Verteilung von Lebensmitteln, Wasser, Medizin, Unterkünften und anderen Hilfsgütern. Das Geld wird Fletchers Angaben zufolge nur noch für 114 statt 180 Millionen Menschen reichen. 

Von den Kürzungen der Entwicklungsetats werden nach Einschätzung der Hilfsorganisationen die ohnehin schon ärmsten Länder am meisten betroffen sein. Beispielhaft werden Burundi, Mosambik und Liberia genannt, wo die offizielle staatliche Entwicklungshilfe der Geberländer im Jahr 2023 zwischen 24 und 14 Prozent des Wirtschaftsvolumens ausmachte.

In der Not werden Tiere und Arbeitsgeräte verkauft

Welche Auswirkungen weniger finanzielle Unterstützung aus wohlhabenden Ländern haben kann, daran besteht für Hilfsorganisationen kein Zweifel: "Werden etwa Leistungen der sozialen Sicherung zurückgefahren, reagieren die Menschen kurzfristig, indem sie beispielsweise produktives Vermögen wie Vieh und Arbeitsgeräte verkaufen. Dies wiederum schränkt ihre Möglichkeit ein, längerfristig ihren Lebensunterhalt zu bestreiten." 

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Welthungerhilfe und Terre des Hommes stellen der Bundesregierung insgesamt ein schlechtes Zeugnis aus. Im Koalitionsvertrag von Union und SPD werden die Kürzungen der Entwicklungshilfe und der humanitären Nothilfe hingegen als "angemessen" bezeichnet.

Steht Deutschland zu seiner Verantwortung?

"Dies steht im Widerspruch zu ihren ebenfalls erklärten Zielen, eine auskömmliche Finanzierung der humanitären Hilfe sicherzustellen – insbesondere, wenn sich andere Geber zurückziehen", kontern die Hilfsorganisationen. 

Entwicklungsministerin Reem Alabali Radovan (SPD) versicherte dennoch, Deutschland stehe zu seiner Verantwortung in der Welt, "trotz schmerzhafter Vorgaben für Haushaltseinsparungen im Entwicklungsbereich durch die Vereinbarungen des Koalitionsvertrages".

Der Artikel ist am 17.06.2025 erschienen und wurde nach der Veröffentlichung des Haushaltsentwurfs der Bundesregierung für das Jahr 2025 umfangreich aktualisiert.  

Marcel Fürstenau Autor und Reporter für Politik & Zeitgeschichte - Schwerpunkt: Deutschland