1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Spendiert Europa Zäune für Afrika?

Jutta Schwengsbier
15. Dezember 2016

Statt Demokratie und Menschenrechten mache die EU künftig Grenzsicherung zum Hauptförderkriterium für Afrika. Das ist das Fazit eines umfassenden Rechercheprojekts der Berliner Tageszeitung taz.

Flüchtling auf dem Grenzzaun in Melilla im Scheinwerferlicht eines Hubschraubers
Archivbild: Flüchtling auf dem Grenzzaun zwischen Marokko und der spanischen Enklave MelillaBild: Reuters/Jesus Blasco de Avellaneda

1,8 Milliarden Euro schwer ist der EU-Notfall-Treuhandfonds für Afrika. Gelder, die die EU-Kommission nach eigener Aussage bereithält zur "Bewältigung der grundlegenden Ursachen illegaler Migration in Afrika". Unsinn, sagt Journalistin Simone Schlindwein: "Die zugesagten Gelder finanzieren vor allem deutsche und europäische Industrie- und Rüstungskonzerne." Die 36-jährige Afrika-Korrespondentin der taz hat gemeinsam mit 24 Journalisten in 37 afrikanischen und europäischen Ländern Recherchen zur neuen Flüchtlingspolitik der EU durchgeführt. Das Ergebnis hat Brisanz: "In akribischer Detailarbeit gelangten wir an unveröffentlichte Dokumente, die der europäischen Öffentlichkeit bislang vorenthalten wurden", erläutert Projektleiter und taz-Redakteur Christian Jakob das Projekt "Schengen für Europa - Zäune für Afrika". An diesem Freitag sollen die Ergebnisse der Öffentlichkeit in einer Online-Datenbank zur Verfügung gestellt werden. Viele der Dokumente wurden den Journalisten von Nichtregierungsorganisationen wie "Statewatch" zugespielt. Aber auch einige Insider, die die neue EU-Politik offensichtlich selbst kritisch betrachten, steuerten Informationen bei.

Simone SchlindweinBild: DW/J. Schwengsbier

Die Erkenntnis der taz-Journalisten: Statt Demokratieförderung gehe es der EU in Afrika zunehmend um die Sicherung afrikanischer Grenzen zum Schutz vor illegaler Migration. Am Montag unterzeichneten die EU und Mali ein Abkommen zur Rückführung von Flüchtlingen, weitere sollen folgen. Viele europäische Parlamentarier wüssten bislang nicht, was ihre Regierungen da hinter verschlossenen Türen mit afrikanischen Staatschefs vereinbarten, glaubt Schlindwein. Zum Beispiel, dass die EU dem per internationalen Haftbefehl gesuchten sudanesischen Diktator Omar Al-Baschir verspreche, seinem Land alle Schulden zu erlassen, wenn er künftig Flüchtlinge aus Eritrea oder Äthiopien davon abhalte, nach Europa zu reisen, und bereits dorthin geflohene eigene Staatsbürger zurücknehme. "Als ich einige der Strategiepapiere gelesen habe, bin ich blass geworden", erinnert sich Simone Schlindwein: "Weil die EU vieles über Bord schmeißt, worum sie sich früher stets bemüht hat." Reaktionen aus Brüssel und Straßburg sind erst nach der Auftaktveranstaltung der Webseite am Donnerstagabend zu erwarten.

Überwachung in Afrika - Datenschutz in Europa

Statt Entwicklungszusammenarbeit weiter an gute Regierungsführung oder Menschenrechte zu knüpfen, würden nun Staaten finanziell belohnt, die bereit seien, Migranten von Europa fernzuhalten, abgelehnte Asylbewerber aufzunehmen - und biometrische Grenzkontrollen einzuführen, sagt Schlindwein: "Es sollen zum Beispiel biometrische Personalausweise kombiniert werden mit Visa- oder Master-Card." Jeder Gang zum Geldautomaten könne dann nicht nur von den Finanzinstituten, sondern auch gleich von den staatlichen Behörden mitverfolgt werden. Die geplante Überwachung von Afrikanern gehe dabei viel weiter als alles, was in Europa bislang unter Datenschutzaspekten denkbar sei.

Umfassende Recherchen: taz-Mitarbeiter Christian Jakob, Simone Schlindwein, Dominic Johnson, Daniél Kretschmar (v.l.)Bild: DW/J. Schwengsbier

Laut taz-Recherchen profitieren von den Maßnahmen unter anderem Rüstungskonzerne wie Airbus oder Rheinmetall, die statt Panzern oder anderen Waffensystemen nun High-Tech-Grenzanlagen in vielen Ländern Afrikas aufbauen. "Deutsche Firmen wie Giesecke und Devrient, die auf Biometrie und Verschlüsselung spezialisiert sind, haben Aufträge von Algerien bis nach Kapstadt erhalten", sagt Schlindwein. Dabei seien die Regierungen Afrikas nicht nur willige Erfüllungsgehilfen europäischer Interessen, sondern verfolgten durchaus auch eigene Ziele. Kenia will zum Beispiel an der Grenze zu Somalia eines der größten Flüchtlingslager der Welt schließen - zum Ärger von Menschenrechtlern - und gleichzeitig, finanziert von der EU, dort einen riesigen neuen Grenzzaun bauen lassen. "Dann sind die somalischen Flüchtlinge erst mal weg und können auch nicht zurückkommen", urteilt Schlindwein. "Die neue  europäische Logik durchzieht schon ganz Afrika."

Deutschland bleibt vage

Auch die Bundesrepublik ist im Begriff, die eigene Afrika-Politik neu aufzustellen. Das Jahr 2016 war geprägt von viel Reisediplomatie. Entwicklungsminister Gerd Müller forderte im August anlässlich einer Reise nach Senegal, Niger und Ruanda einen Marshallplan für Afrika. Ihm geht es offenbar um den Wirtschaftsaufbau vor Ort - ohne den Umweg über Regierungen. Einzelheiten seines Konzeptes sind bislang aber noch nicht bekannt. Der Begriff des Marshallplans sei aber problematisch, konstatiert Ulrich Delius, Afrikareferent der Gesellschaft für bedrohte Völker, die sich kritisch mit den neuen EU-Partnerschaftsabkommen befasst. "Dieses Wort lässt die Menschen an den Wiederaufbau nach dem zweiten Weltkrieg denken." Die Politik missbrauche nun diesen Begriff, um ihre tatsächlichen Ziele zu verschleiern - die Abwehr und Rückführung von Flüchtlingen.

Die Webseite soll am Freitag an den Start gehen - auf drei SprachenBild: taz

Die Flüchtlingsströme nach Europa - eine Gefahr, die laut Daniél Kretschmar, Online-Chef der taz, dramatisiert wird: "Meldungen, dass eine Million Flüchtlinge nur darauf warten, in Boote zu steigen, um nach Europa zu kommen, haben mit der Realität überhaupt nichts zu tun", sagt er dazu. Von den circa 14 Millionen Flüchtlingen in den 21 untersuchten afrikanischen Staaten seien zehn Millionen Binnenvertriebene, die nie die eigenen Staatsgrenzen verlassen hätten. Nur 400.000 Afrikaner hätten in den vergangenen 16 Jahren tatsächlich in Europa Asyl beantragt.

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen