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Politik

Entwicklungshilfe: Weg von der Gießkanne

7. Mai 2020

Mit tausenden Projekten rund um die Welt will Deutschland bislang die Entwicklung in ärmeren Ländern vorantreiben. Minister Müller will sich nun auf weniger Länder konzentrieren. Doch der Plan ist umstritten.

Bundesentwicklungsminister Müller in Äthiopien
Will die deutsche Entwicklungshilfe reformieren: Gerd Müller (3. von links)Bild: picture-alliance/dpa/K. Nietfeld

Höhere Erträge für Cashew-Bauern. Mehr Gesundheitshelfer für den Kampf gegen Cholera. Und mehr Ausbildungsplätze für junge Menschen auf dem Land. Drei von vielen Zielen, die Deutschland im Partnerland Sierra Leone verfolgt. Diese Ziele seiner Entwicklungszusammenarbeit mit dem westafrikanischen Land dürfte Deutschland jedoch bald aufgeben.

Denn Entwicklungsminister Gerd Müller von der CSU will die Hilfe aus Deutschland neu strukturieren. Sierra Leone und voraussichtlich 24 andere Länder sollen in Zukunft keine direkte Hilfe mehr vom deutschen Staat erhalten - darunter sind auch Nepal und Myanmar in Asien sowie Guatemala und Nicaragua in Lateinamerika. "Unser Problem ist: Wir können nicht überall alles machen", sagt Müller der DW. Sein Bundesministerium für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit (BMZ) verfügt in diesem Jahr über einen Etat von 10,8 Milliarden Euro. "Das ist viel Geld", so Müller. "Aber 85 Partnerländer sind zuviel. Das ist, wie wenn ich in einem großen Garten mit der Gießkanne herumlaufe. Und deshalb müssen wir uns konzentrieren."

"Unfair unserem Land gegenüber"

In Zukunft sollen vor allem Regierungen unterstützt werden, die sich reformwillig zeigen. "Wir müssen die Partner stärker unterstützen, Eigenleistung zu erbringen", sagt Müller. "Ganz besonders in der Frage der Bekämpfung der Korruption. Denn das ist die Voraussetzung für private Investitionen. Deshalb müssen die Partner Korruption bekämpfen, Good Governance umsetzen und die Menschenrechte achten. Und das Signal müssen unsere Partnerländer verstehen."

Hilfsgüter für Sierra Leone: Kritiker befürchten, dass China in Zukunft dort einspringt, wo sich andere Geber zurückziehenBild: imago images/X. Zheng

In einigen Partnerländern sorgt das für Irritation. "Ich kann nicht wirklich sagen, worauf sich die Entscheidung der Deutschen gründet", sagt Francis Ben Kaifala im Gespräch mit der DW. "Aber für die zwei Jahre, in denen ich jetzt die Anti-Korruptions-Kommission in Sierra Leone leite, möchte ich jedem entgegentreten, der behauptet, wir würden schlecht abschneiden im Kampf gegen Korruption." Sierra Leone hat sich im Korruptionsindex von Transparency International im vergangenen Jahr in der Tat von Platz 129 auf Platz 119 verbessert. "Zu sagen, dass es keine Maßnahmen und Projekte gegen Korruption gibt, wäre unfair unserem Land gegenüber", so Kaifala.

Freiraum für private Helfer?

Doch beim geplanten Rückzug der staatlichen Entwicklungshelfer geht es nicht nur darum, ob eine Regierung korrupt und reformunwillig ist. Auch Länder, die den wirtschaftlichen Aufschwung geschafft haben, wie etwa die Mongolei, sollen in Zukunft keine staatliche deutsche Hilfe mehr erhalten. Deutschland will zudem in einigen Zielländern anderen Gebern wie Frankreich und Großbritannien oder der Europäischen Union künftig das Feld überlassen. In Sierra Leone etwa engagiert sich Großbritannien schon heute sehr viel stärker als Deutschland. Ein Durcheinander vieler verschiedener Geber und ihrer zahlreichen Organisationen aufzulösen, auch das ist ein Ziel des Planes, den Müller "BMZ 2030" nennt. 

Heike Spielmans befürchtet einen Rückgang der Hilfe für die ÄrmstenBild: VENRO

Wo staatliche Hilfe wegfällt, dürften die Entwicklungshelfer der deutschen Nichtregierungsorganisationen in Zukunft eine größere Rolle spielen. Heike Spielmans vertritt als Geschäftsführerin von VENRO die Interessen von rund 120 deutschen Nichtregierungsorganisationen. Sie begrüßt, dass Korruption und Menschenrechte künftig stärker in den Fokus rücken sollen. "Trotzdem finden wir es problematisch, wenn die staatliche Entwicklungszusammenarbeit sich völlig zurückzieht, weil auch die Zivilgesellschaft dringend Ansprechpartner in den Ländern vor Ort braucht", sagt sie der DW. Ziehe sich das deutsche Entwicklungsministerium zurück, könne der politische Dialog einschlafen. Und dann würden auch die Freiräume für Nichtregierungsorganisationen kleiner. 

Im Notfall wird geholfen

Dass die staatliche Entwicklungshilfe in Zukunft in allen Projekten auf Umwelt- und Klimaverträglichkeit sowie Geschlechtergerechtigkeit achten will, bewertet Spielmans positiv. Bei der Konzentration auf Kernthemen müsse man jedoch behutsam vorgehen. "Gießkanne wird so negativ assoziiert, das muss es ja gar nicht sein. Wenn es ein besonderes, spezifisches Projekt ist, kann das trotzdem sinnvoll sein. Nicht nur Klotzen ist wichtig."

In Tansania in Ostafrika ist die Deutsche Zusammenarbeit seit 1975 aktivBild: picture-alliance/dpa/M. Kappeler

Sorge mache ihr zudem, dass Länder zurückgelassen würden, die eigentlich besonders viel Unterstützung bräuchten, sagt Spielmans. "Die Anzahl der Länder, die am wenigsten entwickelt sind, ist in der Länderliste kleiner geworden. Da denke ich, dass es wichtig ist, dass das Ministerium sich nicht davon verabschiedet, auch mit Ländern zusammenzuarbeiten, mit denen der Dialog möglicherweise schwieriger ist."

Der Rückzug Deutschlands aus Entwicklungsprojekten und Partnerschaften wird sicher noch zu weiteren Diskussionen führen. "Das heißt aber nicht, dass wir Länder zurücklassen, wenn es um Not, Hunger und Elend geht", betont Entwicklungsminister Müller. "Jedes Land der Welt hat Deutschland an seiner Seite bei der Bekämpfung von Hunger und Armut." Denn Nothilfe soll es weiterhin geben, auch dort, wo Deutschland keine langfristigen Entwicklungsprojekte fördert. Das könnte besonders angesichts der Folgen der Corona-Pandemie nötig werden.

"Wir kapseln uns ab"

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