EP: Russland ist Unterstützer von Terrorismus
23. November 2022Einen Staat zum Unterstützer von Terrorismus zu erklären ist im Prinzip in der Europäischen Union nicht vorgesehen, dafür existiert keine Rechtsform. Hier bedienen sich die Initiatoren der Resolution der USA als Vorbild, die unter anderem Nordkorea und Kuba auf ihrer Liste haben. In Europa konnten bisher nur Organisationen gelistet werden, wie etwa die palästinensische Hamas oder die kurdische PKK. Gegenwärtig werden 21 Verbände von der EU als "terroristisch" eingestuft. Mit dieser Resolution betritt das Europaparlament also juristisches Neuland.
Die Resolution führt auf, dass Russland nicht nur einen ungerechtfertigten Angriffskrieg gegen die Ukraine führt, sondern wahllose Angriffe gegen die Zivilbevölkerung und die zivile Infrastruktur richtet. Russische Truppen hätten Tausende von Zivilisten getötet, im ganzen Land Terrorakte begangen und würden Wohnhäuser, Schulen, Krankenhäuser, Bahnstationen, Elektrizitäts- und Wasserversorgung zum Ziel nehmen. "Diese brutalen und unmenschlichen Taten bringen Tod, Leid, Zerstörung und Vertreibung".
Osteuropäische Staaten waren bereits vorgeprescht
Dieses völkerrechtswidrige Handeln russischer Soldaten als "Terrorismus" einzustufen entspricht der Wortwahl des ukrainischen Präsidenten. In der vergangenen Nacht nach einem Bombenangriff auf ein Krankenhaus in Kupyansk, im Osten des Landes, dem auch ein Neugeborenes zum Opfer gefallen sein soll, erklärte Wolodymyr Selenskyj: "Der Feind hat wieder einmal versucht, mit Terror und Mord zu erreichen, was er neun Monate lang nicht erreicht hat und nicht erreichen wird". Der Vorwurf ist, dass Russland mit Terror gegen die Zivilbevölkerung seine militärischen Niederlagen wettmachen wolle.
Mehrere osteuropäische Parlamente haben diese Lesart bereits übernommen und Russland zum "staatlichen Unterstützer von Terrorismus" erklärt, darunter Polen, die baltischen Staaten und die Tschechische Republik. Aus ihren Reihen kam denn auch die Initiative, die vorliegende Resolution im Europaparlament zur Abstimmung zu stellen, die zunächst von der rechtsnationalistischen Gruppe der Konservativen EKR getragen wurde.
In ihrer ausführlichen Begründung listen die Abgeordneten ausführlich bisher bekannt gewordene Fälle von Folter, sexueller Gewalt, Verschleppung und Exekutionen auf und beziehen sich auf zahlreiche laufende Untersuchungen wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen. In der ausführlichen Begründung werden auch die Verstöße gegen die UN-Charta sowie internationale Verträge und Kriegsrecht vorgetragen. Es ist die Summierung aller Vorwürfe, die bislang gegen Russland als kriegsführendem Staat vorgetragen wurden.
Überschattet wurde die Abstimmung von einem Hackerangriff, der zeitweise die gesamte Webseite des Europäischen Parlaments lahmlegte. Nach Angaben der EU-Parlamentspräsidentin Roberta Metsola hat sich eine kremlnahe Hackergruppe zu dem Cyberangriff bekannt. Die hausinterne IT unternehme alles, um die Systeme zu schützen.
Welche Folgen hat die Resolution?
Im Grunde ist die Resolution des Europaparlaments nicht mehr als ein politisches Signal, denn sie hat keine rechtlichen Folgen. Die Idee ist, dass damit etwa der Boden bereitet werden könnte für die Konfiszierung russischen Vermögens, dass in Europa bisher nur eingefroren ist. Außerdem sollte der Beschluss nach dem Wunsch seiner Unterstützer dazu dienen, Wladimir Putin als Kriegsherrn nach Ende der Kämpfe vor einem internationalen Tribunal zur Verantwortung zu ziehen. Außerdem wünschen sie sich ein schrittweises Einfrieren der diplomatischen Beziehungen.
"Mit diesem Beschluss fordert das europäische Parlament die Mitgliedsstaaten auf, einen rechtlichen Rahmen zu schaffen, um Russland als staatlichen Unterstützer von Terrorismus zu kategorisieren, was es leichter machen wird, russisches Vermögen im Ausland einzuziehen, das man für den Wiederaufbau der Ukraine nutzen könnte", sagt der Initiator der Resolution, der Abgeordnete Charlie Weimers von der rechten Partei "Schwedendemokraten" zu den Beweggründen.
"Bis Russland sich aus der Ukraine zurückzieht, ist kein wirklicher Frieden möglich", fügt der Schwede hinzu. "Russland muss verstehen dass nicht nur Einzelne verantwortlich sind, die Kriegsverbrechen begehen, sondern dass auch der russische Staat für die Zerstörung und den absichtlichen Terror, den er in der Ukraine entfacht hat, Verantwortung tragen muss". Weimers hält es für ein Hauptziel, Wladimir Putin am Ende zur Verantwortung zu ziehen und sieht die Resolution als einen ersten Schritt dahin.
Heftige Diskussionen
Die Resolution führte vor ihrer Verabschiedung zu lebhaften Diskussionen quer durch die politischen Gruppen. Teile der Sozialdemokraten hielten sie für politisch sinnlos und fürchteten, sie könne Verhandlungen mit Russland noch schwerer machen. Auch bei den Christdemokraten gab es einige Bauchschmerzen, ebenso wie bei einigen Grünen. Die Linke stellte sich dagegen, aber am Ende schwenkten viele Abgeordnete ein und verschafften der Vorlage ein starke Mehrheit.
Die Gruppe der Sozialdemokraten erklärte am Ende, sie habe seit Kriegsbeginn für die schärfsten Sanktionen dafür votiert, Russland für seine Kriegsverbrechen zu belangen und den Aggressionskrieg wie die Menschenrechtsverstöße international zu ahnden. Der Vizevorsitzende der Gruppe, Pedro Marques, nennt die Resolution vom Mittwoch ein starkes Signal: "Es gibt keinen Zweifel, dass die Gräueltaten (…) ein Versuch sind, die Bevölkerung zu terrorisieren".
Russland wolle es den Menschen unmöglich machen, den Winter zu überleben, ohne Heizung, Wasser und Elektrizität. "Das sind nichts weniger als Kriegsverbrechen. Russland muss gestoppt und zur Verantwortung gezogen werden", erklärt der Sozialdemokrat. Am Ende siegte bei den meisten Fraktionen die Abscheu vor dem beobachteten Terror gegen die ukrainische Bevölkerung über politische Rücksichtnahmen.
Allerdings wird die Resolution politisch wohl folgenlos bleiben: Die EU-Mitgliedsländer müssten sie einstimmig annehmen. Weder Putin-Unterstützer Viktor Orban noch der französische Präsident, der sich immer noch als Unterhändler mit Moskau sieht und ebenso wenig die Bundesregierung, die das politische Tischtuch nicht völlig zerschneiden will, würden dem zustimmen. Es bleibt also ein Signal der Europaparlamentarier, das eher im leeren Raum verhallen dürfte.