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Epigenetik: Wenn wir Traumata vererben

Liyang Zhao
27. September 2019

Ein Soldat erlebt ein Trauma. Wie beeinflusst dies seine Kinder oder die Enkelkinder? Alon Chen vom Max-Planck-Institut für Psychiatrie untersucht, wie Traumata die Epigenetik von Menschen verändert.

Krim Krise Soldaten Abzug 24.03.2014 Feodosia
Bild: Reuters

Holocaust-Überlebende, Soldaten aus Kampfeinsätzen, Vergewaltigungsopfer: Seit Jahren untersucht das Max-Planck-Institut für Psychiatrie in München die "epigenetische Vererbung", also wie die gesammelten Erfahrungen während des Lebens der Eltern, einen Einfluss auf die Gene der Nachkommen haben und welche Rolle sie bei der Entwicklung der Kinder spielen könnten.

Der Begriff Epigenetik ist zusammengesetzt aus den Wörtern Genetik und Epigenese, also der Entwicklung eines Lebewesens. Als eine Art Bindeglied zwischen Umwelteinflüssen und Genen bestimmt die Epigenetik mit, unter welchen Umständen welches Gen angeschaltet wird und wann es wieder stumm wird, dies nennt sich Genregulation.

Wie Traumata entstehen und zu welchen Erkrankungen sie bei den nachfolgenden Generationen führen können, erläutert Prof. Dr. Alon Chen, er ist Direktor und wissenschaftlicher Mitarbeiter des Max-Planck-Instituts für Psychiatrie.

DW: Wie unterscheidet sich eine Stresssituation von einem traumatisches Erlebnis?

Alon Chen: Es existieren viele verschiedene Arten von Stress: Es gibt leichte Belastung, die chronisch werden kann. Zum Beispiel wenn wir auf der Arbeit verärgert sind oder täglich im Stau stehen. Solche Stressfaktoren können beispielsweise zu einer erhöhten Anfälligkeit für Depressionen führen.

Aber daraus entsteht kein Trauma, welches eine Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) auslösen würde. Dafür müssen es starke und akute Traumata sein. Das ist zum Beispiel bei Vergewaltigungen, Unfällen oder Kriegseinsätzen der Fall.

Meistens erholen sich die Patienten aber nach einigen Wochen und können zum normalen Leben zurückkehren. Treten die Symptome aber nach einem Monat immer noch auf, sprechen wir von einer PTBS. Ich kenne Menschen, die selbst nach 40 Jahren noch immer dieselben Symptome aufzeigen.

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Unter welchen Symptomen leiden die Betroffenen?

Typische Symptome sind Schlafprobleme und Albträume. Die Patienten leiden unter Angst und haben oft Konzentrationsprobleme. Außerdem sind sie schreckhafter, springen zum Beispiel schnell auf, wenn ein lautes Geräusch zu hören ist.

PTBS-Patienten haben auch oft Probleme mit der Risikoeinschätzung, sie laufen zum Beispiel einfach auf die Straße. Insgesamt sind diese Menschen nicht in der Lage, im Alltag richtig zu funktionieren.

PTBS-Patienten haben Probleme, im Alltag richtig zu funktionieren.Bild: picture-alliance/dpa/N. Armer

In Ihrer aktuellen Studie haben Sie festgestellt, dass Traumata zu epigenetischen Veränderungen führen können. Aber wie funktioniert  Epigenetik?

Das ist ein relativ neues Gebiet. Wenn wir von epigenetischen Veränderungen sprechen, meinen wir nicht, dass sich die Buchstaben der DNA, also ihre Sequenz ändert. Epigenetik geht über die Genetik hinaus. Wir reden dann von chemischen Veränderungen, welche beeinflussen, in was die DNA letzten Endes übersetzt wird.

Durch diesen Prozess entstehen die Proteine in unserem Körper, einschließlich unseres Gehirns. Die Proteine sind die Funktionseinheiten, die die eigentliche Arbeit erledigen. Sie bestimmen zum Beispiel, welche Nervenzellen mehr oder weniger aktiv sind, und das beeinflusst schließlich unser Verhalten.

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Alon Chen, Direktor des Max-Planck-Instituts für Psychiatrie Bild: Axel Griesch, Max-Planck-Institut für Psychiatrie

Wie geben wir Erlebtes genetisch an unsere Nachkommen weiter?

Genauso wie die DNA wird auch die sogenannte "epigenetische Signatur" an folgende Generationen weitergegeben. Zurzeit können diese Merkmale bis zur dritten Generation nachverfolgt werden.

Wenn wir uns beispielsweise die dritte Generation von Holocaust-Überlebenden ansehen oder die Enkelkinder von Soldaten aus dem zweiten Weltkrieg, sehen wir noch immer epigenetische Spuren der Traumata. Diese führen schließlich dazu, dass diese Menschen ängstlicher oder anfälliger für stressbedingte Krankheiten sind.

Es ist bisher ungeklärt, wie diese epigenetischen Veränderungen genau vererbt werden. Denn es spielen viele Faktoren mit. Wenn eine Mutter großem Stress ausgesetzt ist oder die epigenetische Signatur von ihren Eltern geerbt hat, verändert das die Art und Weise, wie sie mit ihren Kindern umgeht.

Die Umwelteinflüsse spielen genauso eine Rolle in der Entwicklung eines Kindes wie die Vererbung. Deshalb ist es so schwer, die Mechanismen zu verstehen.

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Wie können PTBS-Patienten behandelt werden?

PTBS-Patienten können zurzeit Medikamente einnehmen oder eine Psychotherapie aufsuchen. Allerdings sind beide Methoden bei der Behandlung der Krankheit nur teilweise effizient. Der medizinische Bedarf ist zudem extrem groß.

Um neue Arten von Behandlungen zu entwickeln, müssen wir die Mechanismen verstehen. Wir müssen verstehen, was im Gehirn passiert, welche Gene beteiligt sind, und welche epigenetischen Modifikationen Menschen auf ein höheres Erkrankungsrisiko bringen.

Erst so können wir Methoden zur Behandlung entwickeln oder Betroffene frühzeitig daran hindern, ein Posttrauma zu entwickeln. Dann könnten wir frühzeitig feststellen, wenn eine Person besonders anfällig für PTBS ist und zum Beispiel sagen, sie sollte nicht als Soldat nach Afghanistan geschickt werden.

Es braucht mehr Forschung für neue Methoden zur Behandlung von PTBS.Bild: picture-alliance/TravelLightart/P. Trummer

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Verschwinden die epigenetischen Veränderungen nach einer erfolgreichen Behandlung?

Wir wissen bisher nicht, ob sich die epigenetischen Merkmale nach einer Genesung verändern. Oder ob sie einfach nur durch etwas geblockt werden und wieder zum Tragen kommen, wenn die Person ein weiteres Trauma erlebt.

Selbst wenn man als Embryo im Bauch der Mutter Stress ausgesetzt ist, verändert das die epigenetischen Merkmale. Es kann trotzdem ganz normal aufwachsen und merkt nichts davon. Aber in der Minute, in der es einem Trauma ausgesetzt wird, wird die epigenetische Signatur ausschlaggebend: Sein Risiko zu erkranken, ist dann erheblich höher.

Prof. Dr. Alon Chen ist Direktor und wissenschaftlicher Mitarbeiter des Max-Planck-Instituts für Psychiatrie.

Das Interview führte Liyang Zhao.

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