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Inflation und der Lebensmitteleinkauf

Daniel Derya Bellut | Fatima Celik
29. Januar 2021

Eine rasante Preissteigerung von Grundnahrungsmitteln setzt der türkischen Bevölkerung zu. Experten machen die Regierung dafür verantwortlich. Der türkische Präsident wiederum gibt Händlern und dem Ausland die Schuld.

Türkei Fotoreportage Wirtschaft
Bis zu 25 Prozent mehr müssen Türken für Obst und Gemüse zahlenBild: DW/U. Danisman

Dass sich die türkische Wirtschaft in einem desolaten Zustand befindet, ist nichts Neues: seit über zwei Jahren befindet sich die türkische Lira unaufhaltsam im Sinkflug. Ende letzten Jahres zog der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan medienwirksam die Notbremse: Er kündigte eine "neue Ära der Wirtschaft" an.

Es folgten spektakuläre Entlassungen: Erst Notenbankchef Murat Uysal, dann der türkische Finanzminister, der zugleich Erdogans Schwiegersohn ist. Offiziell ist Berat Albayrak aus gesundheitlichen Gründen zurückgetreten.

Bisher ist von dem versprochenen Neuanfang jedoch nicht viel zu spüren, die Währungsturbulenzen haben sich sogar verschlimmert. Und zwar dort, wo es der türkischen Bevölkerung besonders weh tut: Die Preise für Lebensmittel sind in den letzten Monaten exorbitant in die Höhe geschossen. Nach den Zahlen des Verbraucherpreisindex, der vom türkischen Statistikamt (TÜIK) jährlich herausgegeben wird, gab es im letzten Jahr einen dramatischen Anstieg des Preisniveaus bei Lebensmitteln. Die Inflationsrate stieg im Vergleich zum Vorjahr um sechs Prozentpunkte auf 20,6 Prozent.

Erdogan kündigt "harte Strafen" an

Und somit ist die Währungskrise keine abstrakte Gefahr, sie hält Einzug in die Küchen der Türkei: Für Grundnahrungsmittel wie frisches Gemüse, Obst, Eier, Öl oder Milch werden auf den Märkten gesalzene Preise verlangt. Bis zu 25 Prozent ist der Preis in den letzten Wochen für manche Waren angestiegen. Die Inflationsrate für Gemüse und Obst hat inzwischen einen Rekordstand von 33,9 Prozent erreicht.   

Der Wirtschaftswissenschaftler Baris SoydanBild: privat

Präsident Erdogan machte in einem Interview nach dem Freitagsgebet die Einzelhändler für die Misere verantwortlich. Er kündigte "harte Strafen" an. Es sei ihm nicht entgangen, dass es bei Gemüse, Obst und sogar Hülsenfrüchten gravierende Preisunterschiede gebe. "Wir können die Unterdrückung der Bürger nicht tolerieren. (...) Machen Sie ihre Arbeit korrekt und drangsalieren sie nicht die Bürger", keifte der Präsident. Erdogan kündigte an, den Lebensmittelhandel in den nächsten Monaten stärker zu regulieren. Ein "Frühwarnsystem" gegen exorbitante Preise soll eingerichtet werden.

Eigentlich gibt es in der Türkei die perfekten klimatischen Bedingungen für eine produktive Landwirtschaft. Dennoch müssen Obst und Gemüse importiert werden. Kritiker sagen, dass die Inflation im Lebensmittelmarkt größtenteils von der Regierung selbst verschuldet sei. Die islamisch-konservative AKP-Regierung habe über Jahre zu einseitig in den Bausektor investiert, lautet häufig die Kritik. 

Landwirtschaft  - eine verlorene Branche? 

Der Wirtschaftswissenschaftler Baris Soydan etwa führt den Turbo-Preisanstieg auf den Neoliberalismus in der Agrarwirtschaft zurück. "Es gibt immer weniger Anbauflächen". Der Grund sei, dass die Landwirtschaft nicht genügend Erträge bringe. "In den letzten zehn Jahren wurden landwirtschaftliche Flächen dem Bau geopfert, um große Wohnprojekte zu realisieren", erläutert der Wirtschaftsexperte.

Der parlamentarische Ausschuss für Lebensmittel versucht nun den landwirtschaftlichen Produzenten unter die Arme zu greifen: unter anderem mit Steuerminderungen, Exportbeschränkungen und Kaufgarantien.     

Landwirte fordern mehr staatliche Unterstützung

Sorgt sich um die Landwirte: Kammerpräsident Baki Remzi SuicmezBild: Privat

Der Vorsitzende der Landwirtschaftskammer (TMMOB), Baki Remzi Suicmez, ist mit den Maßnahmen unzufrieden. "In fast allen Industrieländern erhielt die Landwirtschaft während der Pandemie zusätzliche finanzielle Unterstützung". In der Türkei habe man die Unterstützung nicht ausreichend erhöht, beklagt Suicmez, man habe weder die (Produktions-)kosten gesenkt noch die Kreditvergaben erleichtert. 

Auch der Ökonom Baris Soydan kritisiert: "Mit Erdogans Anweisungen ist es nicht möglich, dass die Lebensmittelpreise sinken. Denn solange die Kosten für Diesel und Dünger nicht gesenkt werden, wird der Druck auf die Landwirte, nicht genug Geld zu verdienen, anhalten". Es müssten endlich die tief verwurzelten strukturellen Probleme gelöst werden, die für die Inflation der Lebensmittelpreise verantwortlich sind.

Doch von Selbstkritik ist der türkische Präsident weit entfernt: Neben den Händlern macht Erdogan die weltweite Dürre und die Corona-Pandemie dafür verantwortlich, dass die Märkte überall auf der Welt in Aufruhr seien. In der Vergangenheit verwies der türkische Präsident gerne auch auf "dunkle Mächte" oder "Lebensmittelterroristen" aus dem Ausland, die mit Spekulationen die Lebensmittelpreise absichtlich in die Höhe trieben.