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Wahlkampf nach der Wahl

Thomas Seibert31. März 2014

Der türkische Ministerpräsident Erdogan hat die mit Spannung erwarteten Kommunalwahlen für sich entschieden. Noch am Wahlabend machte er deutlich, dass das Ende der politischen Spannungen im Land nicht in Sicht ist.

Kommunalwahlen Türkei Erdogan 31.03.2014 in Ankara
Bild: picture alliance/AP Photo

Der Begriff der "Balkon-Rede" hat im politischen Sprachgebrauch der Türkei eine ganz eigene Bedeutung. Er bezeichnet Ansprachen nach einer Wahl, in der das Gemeinsame, das Verbindende über die Parteigrenzen hinweg beschworen wird. Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan hat schon so manch versöhnliche Balkon-Rede gehalten in den vergangenen zehn Jahren. Diesmal war es anders. Seine Siegesrede nach den Kommunalwahlen war eine Kampfansage an die politischen Gegner, vermischt mit viel Eigenlob.

"Wir haben die Demokratie, nach der der Westen sich sehnt", sagte Erdogan. Seine Kritiker warnte er. "Wir werden dieses Land nicht Pennsylvania überlassen", rief er in Anspielung auf seinen Intimfeind, den islamischen Prediger Fethullah Gülen, der in dem US-Bundesstaat lebt. "Eine Sieges- und Kriegsrede", merkte der Kolumnist Kadri Gürsel hinterher an.

Feier nach der Wahl - Anhänger von Erdogans AKP-ParteiBild: Reuters

Die Präsidentschaftswahlen fest im Blick

Mit landesweit rund 43 Prozent der Stimmen, so inoffizielle Teilergebnisse türkischer Medien, ließ Erdogans islamisch-konservative Regierungspartei AKP die Konkurrenz bei den Kommunalwahlen weit hinter sich. Im Vergleich mit der Kommunalwahl von 2009 legte die AKP demnach noch einmal um vier Prozentpunkte zu. Die säkularistische Oppositionspartei CHP blieb den inoffiziellen Resultaten zufolge unter 30 Prozent; offizielle Zahlen der türkischen Wahlbehörde lagen am Montag (31.03.2014) zunächst noch nicht vor. In Istanbul, der größten Stadt des Landes, konnte sich die AKP gegen die CHP behaupten, während die Ergebnisse in der Hauptstadt Ankara so knapp waren, dass der Sieger am Morgen nach der Wahl immer noch nicht feststand.

Erdogan hielt sich nicht allzu lange mit den Feinheiten der Ergebnisse auf. Nach der Wahl ist vor der Wahl - das zeigte seine Rede überdeutlich. Er verhöhnte die Opposition, die immer wieder bei Wahlen versage: "In der neuen Türkei brauchen wir eine neue Opposition." Erdogan hat den Blick auf die Präsidentschaftswahlen im August gerichtet, bei der er möglicherweise als Kandidat antreten wird.

Erdogan in GewinnerposeBild: AFP/Getty Images

Opposition in der Krise

Bei den Kommunalwahlen zeigte sich die Stärke der AKP als Partei, die in allen Teilen der Türkei vertreten ist und die Anhänger motivieren kann. "Alternativlos" sei die Erdogan-Partei inzwischen, sagte Fuat Keyman vom Instanbuler Zentrum für Politik der Sabanci-Universität, im türkischen Nachrichtensender NTV. Er verglich die beherrschende Position der AKP mit der Rolle der schwedischen Sozialdemokraten, die das skandinavische Land über Jahrzehnte hinweg regierten.

Doch das Wahlergebnis sagt nicht nur etwas über die Stärke der AKP aus, sondern auch über die Schwäche der Opposition. Wenn eine Partei trotz eines Korruptionsskandals und des Verbots von Twitter und YouTube eine Wahl so klar gewinnen könne, dann stimme etwas mit der politischen Konkurrenz nicht, sagte Asli Aydintasbas, Kolumnistin der Zeitung "Milliyet", im Sender CNN-Türk. Wie auf einem Silbertablett sei der Oppositionspartei CHP diese Chance serviert worden. "Und trotzdem schaffen sie es nicht. Sie müssen sich wirklich einmal hinsetzen und nachdenken."

"Erst am Anfang des Spiels"

Viel Zeit zum Nachdenken bleibt nicht. Levent Erden von der Istanbuler Bilgi-Universität lenkte im Sender NTV den Blick auf den politischen Kalender: Die Kommunalwahlen vom Sonntag seien vor allem zur Bestimmung der Strategie für die Präsidentschaftswahlen im August wichtig gewesen, sagte er. Das Land bewege sich nahtlos von einem Wahlkampf zum anderen. Innerhalb der nächsten 14 Monate stehen zudem noch Parlamentswahlen an - ein Dauerwahlkampf und eine lange Phase der politischen Auseinandersetzungen lägen vor dem Land. "Wir stehen erst am Anfang des Spiels", sagte Erden.

Erdogan deutete an, dass er nach der Wahl mit neuer Härte gegen die Anhänger Gülens vorgehen wolle. Nur wenige Tage vor der Kommunalwahl hatte er unter anderem gegen den Chefredakteur der Gülen nahestehenden Zeitung "Today's Zaman", Bülent Kenes, Strafanzeige wegen Beleidigung eingereicht. Ali Bulac, ein führender Intellektueller unter den Gülen-Anhängern, wurde mit den Worten zitiert, die Generalabrechnung Erdogans mit der Bewegung könne jeden Augenblick beginnen.

Skandale und massive Proteste der Gegner haben Erdogan nicht geschadetBild: Ozan Kose/AFP/Getty Images

Lage bleibt gespannt

Beobachter erwarten deshalb, dass sich die Lage in der Türkei auch nach der Wahl vom Sonntag nicht so rasch beruhigen wird. Der Krieg zwischen der AKP und der Gülen-Bewegung werde weitergehen, sagte der Politologe Murat Somer von der Istanbuler Koc-Universität der Deutschen Welle. Somer erwartet zudem neue Spannungen, auch losgelöst von der Konfrontation zwischen Erdogan und Gülen. "Ministerpräsident Erdogan wird wahrscheinlich seine immer autoritärere Politik fortsetzen, indem er den Rechtsstaat außer Kraft setzt und die offene Gesellschaft behindert", sagte er.

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