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Erdogan als neuer Präsident

Baha Güngör28. August 2014

Recep Tayyip Erdogan übernimmt als erster vom Volk gewählter Präsident das höchste Staatsamt der Türkei. Doch wird der 60-Jährige kaum seinen Anspruch untermauern können, das Oberhaupt aller Bürger seines Landes zu sein.

Erdogan bei der Präsidentschaftswahl in der Türkei Erdogan 10.08.2014 (Foto: REUTERS/Osman Orsal)
Bild: Reuters

Nach Erdogans Wahlsieg (10.08.2014) mit fast 52 Prozent Stimmenanteil kamen die obligatorischen, politisch korrekten Glückwünsche aus Europa wie etwa die von Bundeskanzlerin Angela Merkel. Sie hob "die große Bedeutung der Türkei in einer schwierigen Region" hervor. EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso und Ratspräsident Hermann Van Rompuy werden jedoch kaum darauf hoffen können, dass ihre Erwartungen an einen Staatspräsidenten Erdogan als innenpolitischer Versöhner erfüllt werden.

Erdogan selbst hatte bei seiner Ansprache unmittelbar nach seinem Wahlsieg angekündigt, er wolle "eine neue Ära" einleiten und "die Streitereien der Vergangenheit" beilegen. Diesen Worten folgten allerdings bisher keine Taten. So hatte noch vor seiner offiziellen Übernahme des Präsidentenamts am 28. August damit gedroht, der Feierstunde anlässlich des Beginns des Gerichtsjahres 2014/2015 Anfang September in Ankara fernzubleiben, wenn dort der Präsident der türkischen Anwaltskammer, Metin Feyzioglu, eine Rede hält. Vor drei Monaten hatte Erdogan eine Feierstunde schimpfend verlassen, weil Feyzioglu seinen Regierungsstil zu kritisieren gewagt hatte.

Die Führungsgremien des Kassationshofes als zuständige Instanz der türkischen Gerichtsbarkeit entschieden jedoch nicht im Sinne Erdogans: "Wenn wir Feyzioglu nicht sprechen lassen, handeln wir gegen die europäische Menschenrechtskonvention und gegen die in der türkischen Verfassung verankerte Freiheit der Meinungsäußerung", sagten auf DW-Anfrage Mitglieder des Kassationshofes, die jedoch nicht namentlich genannt werden wollen.

Erdogan (r) kann sich verlassen auf seinen treuen Nachfolger Davutoglu (l)Bild: Reuters

Jenseits der Verfassung

Derweil streiten sich die Gelehrten darüber, ob und in welchem Ausmaß Erdogan die türkische Verfassung beugt oder gar offen verletzt, wenn er statt gebotener innenpolitischer Neutralität als Präsident sich weiterhin für die Geschicke seiner seit 2002 mit absoluter Parlamentsmehrheit regierenden Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) engagiert. Sein Vorgänger Gül hatte die präsidialen Aufgaben noch als repräsentierendes Staatsoberhaupt verstanden und wahrgenommen. Dabei hatte er sich von der AKP distanziert und sich um ein gutes Verhältnis zu den parlamentarischen Oppositionsparteien bemüht.

Bei Erdogan sieht das anders aus, meint der Verfassungsrechtler Professor Ibrahim Kaboglu von der Istanbuler Marmara-Universität - er spricht von einem "Verfassungsputsch". "Erdogans Funktion als Ministerpräsident endete am 15. August mit der offiziellen Verkündung der Wahlergebnisse durch den Obersten Wahlrat", sagt Kaboglu. Er kritisiert heftig, dass Erdogan dennoch weiterhin auf der einen Seite als neuer gewählter Präsident, andererseits aber auch als Regierungschef agiert und somit "gegen die Verfassung von 1982 geputscht" habe.

Im Regierungslager werden die Vorwürfe von einer Beugung oder gar Verletzung der Verfassung allerdings kategorisch zurückgewiesen. AKP-Sprecher Hüseyin Celik sagt, die Führungsgremien der Partei hätten keinerlei juristische Hindernisse dagegen gefunden, dass Erdogan auch nach seiner Wahl zum Präsidenten zunächst noch Ministerpräsident geblieben sei: "Er wird mit seinem Nachfolger als Regierungschef, Ahmet Davutoglu, harmonisch zusammenarbeiten." Und Burhan Kuzu, der Vorsitzende der parlamentarischen Verfassungskommission, spricht von einem "psychologischen Gewicht" Erdogans: "Er ist ein charismatischer Politiker und wird seinen Nachfolger Davutoglu überschatten. Doch das bedeutet nicht, dass er seine Handlungsspielräume einschränken wird."

Erdogan hat seine Partei AKP zurzeit noch fest im GriffBild: picture-alliance/AA

Erdogans neue Ordnung

Die Politikwissenschaftlerin Ayse Ayata von der Middle East Technical University (METU) in Ankara spricht von "Erdogans Gesetzen". "Er baut seine eigene Ordnung auf, macht was er will und um die Verfassung schert er sich überhaupt nicht", sagt Ayata. Sie erwartet weitere Spannungen wegen der Staatsführung: "Die Türkei ist nunmehr ein autokratisches Regime, das sich jedoch auf die Mehrheit stützt. Den Oppositionsparteien sind die Hände gebunden. Erdogan wird sich nicht dazu genötigt sehen, Rechenschaft über sein Tun abzulegen, und wird fortan innerhalb seines autoritären Regimes über Land und Menschen herrschen."

Mit gegenwärtig 313 von 537 Sitzen im Parlament wird die AKP in die nächsten Parlamentswahlen in etwa einem Jahr ziehen. Eine vor der Wahl Erdogans vermutete Vorverlegung des Wahltermins ist vordergründig kein Thema mehr. Um die Verfassung in seinem Sinne zu ändern und das von ihm offenkundig angestrebte Präsidialsystem durchsetzen zu können, braucht die AKP mindestens 330 Sitze, damit sie ein Verfassungsreferendum herbeiführen kann. 367 Sitze wären die notwendige direkte verfassungsändernde Mehrheit im Plenum.

Auf dem Weg zum Alleinherrscher

Während Erdogan sich auf seine Präsidentschaft über mindestens fünf Jahre vorbereitet, geht das Rätselraten über das Schicksal seiner AKP und der 62. Regierung der Türkei weiter. Wird Erdogan tatsächlich die Einführung eines Präsidialsystems in der Türkei schaffen? Wie wird sich die Demokratie weiter entwickeln? In welchem Umfang wird er sich in die Regierungsgeschäfte einmischen? Burhan Kuzu beruhigt: Erdogans Ankündigung, er wolle "ein schwitzender, laufender Präsident" sein, müsse nicht automatisch bedeuten, dass er die Befugnisse der Regierung an sich reißt, sagt der Parlamentarier.

Im Parlament in Ankara hat die AKP 313 von 537 SitzenBild: ADEM ALTAN/AFP/Getty Images

Großen Widerstand muss Erdogan jedenfalls nicht befürchten. Die Korruptionsvorwürfe an ihn und an sein familiäres und politisches Umfeld, die im Vorfeld der Wahlen eine große Rolle in der Öffentlichkeit gespielt haben und für Furore sorgten, sind vorerst unter den Teppich gekehrt worden. Und die Oppositionsparteien wie die linksnationalistische CHP (Republikanische Volkspartei) oder die rechtsnationalistische MHP (Partei der Nationalistischen Bewegung) sind im Plenum der Großen Nationalversammlung ebenso schwach vertreten wie die zivilgesellschaftlichen Gruppen. Sie können nur weitgehend machtlos beobachten, wie die Türkei zu einem Ein-Parteien-Staat unter Führung Erdogans wird.

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