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Erdogan-Kritiker Dündar von Merkel enttäuscht

9. September 2016

Dass deutsche Abgeordnete wieder Bundeswehrsoldaten in Incirlik besuchen dürfen, sei die Belohnung für einen Kotau der Bundesregierung, sagen viele. Can Dündar hätte von der Kanzlerin klare Worte erwartet.

Berlin Can Dündar bei Reporter ohne Grenzen
Bild: picture-alliance/dpa/K. Nietfeld

Der türkische Regierungskritiker Can Dündar (Archivbild) hat den Kurs der Bundesregierung gegenüber der Türkei in zwei TV-Interviews scharf kritisiert. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) habe bei ihren Besuchen in dem Land "nie daran gedacht, Oppositionspolitiker oder Journalisten zu treffen", sagte Dündar dem Sender 3Sat. "Sie hat nur darauf geachtet, dass ihre Beziehungen zur offiziellen Türkei nicht beschädigt werden."

Gespräche über militärische oder staatliche Interessen dürften nicht auf Kosten der demokratischen Entwicklung gehen, so der frühere Chefredakteur der regierungskritischen Zeitung "Cumhuriyet". Leider sei dies jetzt der Fall, sagte er mit Blick auf die Debatte über die Armenier-Resolution des Bundestages und das Besuchsrecht von Bundestagsabgeordneten auf der türkischen Luftwaffenbasis Incirlik. "Deswegen sind wir in der Türkei auch sehr enttäuscht."

Belohnung für neue Sprachregelung

Ankara hatte den Besuch von Bundestagsabgeordneten in Incirlik über Wochen hinweg blockiert - als Reaktion auf eine Resolution des Parlaments in Berlin. Darin wurden die Massaker an den Armeniern vor 100 Jahren im Osmanischen Reich als "Völkermord" bezeichnet. Erst nachdem die Bundesregierung die Resolution als rechtlich "nicht verbindlich" bezeichnet hatte, hob die türkische Seite das Besuchsverbot auf.

Kotau vor Ankara? Kanzlerin Merkel mit dem türkischen Präsidenten Erdogan auf dem G20-Gipfel in HangzhouBild: picture-alliance/Anadolu Agency/M.A. Ozcan

Dündar äußerte sich auch im Zweiten Deutschen Fernsehen. Merkel habe ein großes Interesse, die syrischen Bürgerkriegsflüchtlinge in der Türkei zu halten, sagte er im ZDF-"heute-journal". "Aber wenn man im Gegenzug - obwohl man die schlechten Noten der Türkei in der Demokratie und in Sachen Menschenrechte kennt - das alles gar nicht zur Sprache bringt, ist das für uns sehr enttäuschend."

"Teil der EU-Familie"

Gleichwohl sprach Dündar sich dafür aus, die EU-Beitrittsverhandlungen mit Ankara voranzutreiben. "Ich glaube daran, dass es sehr wichtig ist, dass die Türkei ein Teil der Familie der Europäischen Union ist - nicht nur für die Türkei, sondern auch für die EU", so Dündar. "Eine isolierte Türkei könnte in ganz andere Ecken geschleudert werden - wie wir das heute auch sehen."

Der Journalist war im Mai nach der Veröffentlichung eines Artikels über Waffenlieferungen des türkischen Geheimdienstes an Islamisten in Syrien zu fünf Jahren und zehn Monaten Haft verurteilt worden. Er wurde aber bis zum Berufungsverfahren auf freien Fuß gesetzt und hält sich zurzeit in Berlin auf. Seine Ehefrau durfte ihn in der vergangenen Woche nicht dort besuchen. Am Flughafen in Istanbul sei ihr Reisepass eingezogen worden, teilte Dündar mit.

"Starke Wurzeln der Demokratie"

Mitte August hatte der Journalist seinen Posten als Chefredakteur von "Cumhuriyet" niedergelegt und angekündigt, er werde sich vorerst nicht der türkischen Justiz stellen. Nach dem gescheiterten Putsch vom 15. Juli und der Ausrufung des Ausnahmezustandes habe er kein Vertrauen in die türkische Gerichtsbarkeit.

"Die Wurzeln der türkischen Demokratie sind sehr stark - und diese Wurzeln können all das überwinden, daran glaube ich", erklärte Dündar nun im ZDF. Es sei aber wichtig, dass auch die Europäische Union den Kampf um die türkische Demokratie unterstütze.

jj/haz (dpa, afp)

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