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Erdogan - umstrittener Architekt einer neuen Türkei

25. März 2025

Mit der Verhaftung des Istanbuler Bürgermeisters Imamoglu rückt die autoritäre Politik des türkischen Präsidenten Erdogan wieder in den Fokus. Wie kaum ein Politiker vor ihm hat er die Türkei geprägt - und gespalten.

Erdogan hebt die Hand grüßend in Richtung Kamera
Recep Tayyip Erdogan (Archivbild)Bild: Malte Ossowski/SVEN SIMON/picture alliance

Die Festnahme und Suspendierung des Istanbuler Bürgermeisters Ekrem Imamoglu versetzt die Türkei seit fast einer Woche in Aufruhr. Seit Tagen gehen zehntausende Menschen auf die Straße, um gegen den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan zu protestieren. Auch international stößt die Verhaftung auf Kritik. Die EU-Kommission forderte die Türkei am Montag auf, "die demokratischen Werte zu wahren". Das Auswärtige Amt in Berlin erklärte, politischer Wettbewerb dürfe "nicht mit Gerichten und Gefängnissen geführt werden." Zugleich verwies Deutschland aber auch auf die "wichtige Regionalmacht" Türkei.

Experten sehen die Türkei nun schon vielen Jahren auf dem Weg zur Autokratie. Nachdem Erdogan den Putschversuch im Jahr 2016 überstand, verwandelte er seine Präsidentschaft in eine immer mächtigere Exekutivrolle und ging hart gegen seine Gegner und Andersdenkende vor. Die Türkei-Expertin Hürcan Asli Aksoy von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin (SWP) erklärte gegenüber tagessschau.de, mit der Festnahme Imamoglus habe man nun sogar "einen Schritt zum vollen Autoritarismus" getan. Dabei hatte Erdogan sein Amt einst als Reformer angetreten. Ein Blick zurück.

Frühe Jahre: Zwischen Fußball und Religion

Geboren 1954 als Sohn eines Küstenwächters, wuchs Erdogan im armen, religiös geprägten Istanbuler Stadtteil Kasimpasa auf. Als Jugendlicher arbeitete er als Straßenverkäufer für Limonade und Sesamkringel, um zum Einkommen seiner Familie beizutragen.

Sein Vater schickte ihn auf ein religiöses Gymnasium. Rhetorik gehört zu seinen Unterrichtsfächern, sein Redetalent fiel auf. Sein Spitzname laut Medien: "Koran-Nachtigall". Nach seinen eigenen Angaben habe er 1981 angeblich einen Abschluss an der Istanbuler Marmara-Universität erworben. Die Marmara-Universität erhielt laut ihrer Website jedoch erst ab Juli 1982 ihren jetzigen Universitäts-Status. Deshalb ist seit Jahren Diskussionsthema, ob Erdogan wirklich ein Diplom besitzt. Dies wäre jedoch für das Präsidentenamt Voraussetzung. 

Anschließend arbeitete Erdogan bei den Istanbuler Verkehrsbetrieben und spielte nebenbei semiprofessionell Fußball. Seit 1978 ist er mit Emine Erdogan verheiratet; die beiden haben vier Kinder. 

Seine politische Karriere begann in den 1970er Jahren, als er sich religiös-konservativen Parteien anschloss, die vom islamistischen türkischen Politiker Necmettin Erbakan geführt wurden. 1994 wurde Erdogan überraschend zum Bürgermeister von Istanbul gewählt, obwohl er bis dato politisch eher unbekannt war. 1998 wurde er jedoch wegen eines Gedichts, das als Aufruf zu religiösem Hass interpretiert wurde, zu einer Gefängnisstrafe verurteilt und musste sein Amt niederlegen.

Gründung der AKP

Nach seiner Haft gründete Erdogan mit weiteren Politikern 2001 die konservative und rechtspopulistische Partei AKP (Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung). Nur ein Jahr später erzielten sie bei den Wahlen einen Erdrutschsieg - 35 Prozent der Wähler gaben der AKP die Stimme. Obwohl Erdogan zunächst wegen seiner Verurteilung nicht als Ministerpräsident amtieren konnte, wurde er 2003 nach einer Gesetzesänderung in dieses Amt berufen.

Erdogan winkt Anhängern zu - damals noch als Bürgermeister von Istanbul Bild: Murad Sezer/AP/picture alliance

Von 2003 war er drei Amtszeiten lang Ministerpräsident, konnte das Wirtschaftswachstum ankurbeln und wurde international sogar als Reformer gelobt. Die Beitrittsverhandlungen mit der EU begannen offiziell im Jahr 2005. Der EU-Beitrittsprozess führte dazu, dass die Türkei ihre Gesetze und Vorschriften in einem noch nie dagewesenen Tempo modernisierte. Erdogan trieb den Aufbau der Infrastruktur voran; die Mittelschicht wuchs.

Die Gezi-Proteste 2013 markierten jedoch einen Wendepunkt. Ursprünglich als kleine Demonstration gegen ein Bauprojekt im Gezi-Park in Istanbul gestartet, richteten sie sich schon bald gegen die autoritäre Politik Erdogans und die zunehmende Einschränkung der Meinungsfreiheit. Die Regierung reagierte mit harter Hand und setzte Tränengas, Wasserwerfer und Gummigeschosse ein. Acht Menschen starben, tausende wurden verletzt. Erdogan bezeichnete die Proteste als "Umsturzversuch" und nutzte die Gelegenheit, seine Macht weiter zu festigen.

Lockerung des Kopftuchverbots

In den mehr als 20 Jahren an der Macht hat Erdogan strenggläubigen Türken mehr Geltung verschafft. Ein wichtiges Thema: Das in öffentlichen Einrichtungen lange verbotene Kopftuch. Seine Frau Emine zeigt sich stets mit Kopftuch, seine beiden Töchter studierten aufgrund des damaligen Kopftuchverbots in den USA. "Ich bin ein leidender Vater. Meine zwei Töchter absolvieren ihr Universitätsstudium ganz einfach deshalb im Ausland, weil sie es in der Türkei nicht können, wenn sie ihren eigenen Glauben achten wollen", sagte Erdogan 2004 dem französischen Nachrichtensender LCI.

Erdogan mit Ehefrau Emine und zwei syrische Kinder bei einem Fototermin: Der Präsident vertritt eine höchst konservative Familienpolitik Bild: Turkish President Press Office/dpa/picture alliance

Erdogan und seine Regierung erlaubten das Kopftuch von 2008 an zunächst an Universitäten, Schulen, im Öffentlichen Dienst, im Parlament und dann bei der Polizei. Zudem trieb Erdogan eine konservative Familienpolitik voran. Eine Frau ist für ihn "in erster Linie eine Mutter". "Bringt mindestens drei Kinder auf die Welt", lautet sein langjähriges Mantra.

Wie Erdogan seine Macht weiter ausbaut

Seit 2014 ist Erdogan Präsident der Türkei und bemüht sich seither um noch mehr Macht. Einer seiner wichtigsten Schritte: Die Einführung des Präsidialsystems 2018, das ihm weitreichende Befugnisse verlieh. Das Amt des Ministerpräsidenten wurde abgeschafft. Chef der Exekutive ist nach dem neuen System der Präsident, der bislang eine eher repräsentative Funktion hatte.

Ein weiterer Schritt betraf die drastische Einschränkung der Pressefreiheit. Zahlreiche unabhängige Medien wurden geschlossen oder unter staatliche Kontrolle gestellt; eine kritische Berichterstattung wurde zunehmend unmöglich gemacht. Journalisten, die es dennoch wagen, die Regierung zu kritisieren, werden oftmals eingeschüchtert oder sogar inhaftiert.  Auch mindestens neun Reporter, die über die jüngsten Proteste gegen die Inhaftierung und Absetzung des Istanbuler Bürgermeisters Imamoglu berichteten, wurden festgenommen. 

Druck auf die Justiz

Parallel dazu haben Festnahmen von Oppositionellen zugenommen. Nach dem gescheiterten Putschversuch von 2016 wurden tausende politische Gegner und Akademiker verhaftet - meist unter dem Vorwurf der Unterstützung terroristischer Organisationen. In der Nacht vom 15. auf den 16. Juli hatten Teile des türkischen Militärs Erdogan und seine Regierung gewaltsam zu stürzen versucht. Die türkische Regierung machte vor allem die Gülen-Bewegung, also Anhänger des inzwischen im US-Exil verstorbenen Predigers Fethullah Gülen, dafür verantwortlich. Tausende Beamte, Richter und Staatsanwälte wurden seitdem entlassen.

Wie sich die Inhaftierung des Istanbuler Bürgermeisters nun auf Erdogan auswirken wird, ist noch unklar. Für die Türkei-Expertin Hürcan Asli Aksoy von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin (SWP) ist dies die "Million-Dollar-Frage". Im Gespräch mit tagessschau.de erklärte sie, dass sie denke, dass Erdogans Logik aufgeht. "Nicht unbedingt, weil sein Vorgehen gut bei den Wählern ankommt. Sondern weil er auf sein gesamtes staatliches System setzen kann, und das beinhaltet nicht nur den politischen Apparat, sondern auch die Justiz."

Hinweis der Redaktion: Die Angaben zu Erdogans Universitsätsabschluss wurden ergänzt. In einer früheren Version hieß es, Erdogan habe 1981 einen Universitätsabschluss an der Marmara-Universität erworben. Die Marmara-Universität erhielt laut ihrer Website jedoch erst ab Juli 1982 ihren jetzigen Universitäts-Status. Das haben wir entsprechend angepasst.