Es war das erste Mal, dass der türkische Präsident die Äußerungen von US-Präsident Joe Biden über die Massaker an den Armeniern kommentierte. Bidens "Fehltritt" belaste die Beziehungen, erklärte Erdogan.
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Der US-Präsident habe über die "schmerzhaften Ereignisse" während des Ersten Weltkriegs vor mehr als einem Jahrhundert "haltlose, ungerechtfertigte und wahrheitswidrige" Aussagen gemacht, sagte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan in Ankara. Sie hätten keine rechtliche und historische Grundlage und hätten das türkische Volk betrübt.
"Zerstörerische" Auswirkungen
Erdogan warf den USA vor, Druck von armenischen und anti-türkischen Interessengruppen nachgegeben zu haben. Das ändere aber nichts an der "zerstörerischen" Auswirkung der Aussagen auf die türkisch-amerikanischen Beziehungen. Dieser "Fehltritt" Bidens belaste die Beziehungen. Er hoffe, dass die USA den falschen Schritt umgehend rückgängig machten, sagte Erdogan.
Biden hatte in einer vom Weißen Haus verbreiteten Mitteilung zum Gedenktag der Massaker am Samstag erklärt, "das amerikanische Volk ehrt all jene Armenier, die in dem Völkermord, der heute vor 106 Jahren begann, umgekommen sind." Das türkische Außenministerium und zahlreiche hochrangige Politiker hatten die Anerkennung des Genozids durch Biden daraufhin scharf verurteilt. Erdogan selbst hatte sich aber zunächst nicht geäußert.
Während des Ersten Weltkriegs waren Armenier systematisch verfolgt und unter anderem auf Todesmärsche in die syrische Wüste geschickt worden. Historiker sprechen von Hunderttausenden bis zu 1,5 Millionen Opfern. Die Türkei als Nachfolgerin des Osmanischen Reiches gesteht den Tod von 300.000 bis 500.000 Armeniern während des Ersten Weltkrieges ein und bedauert die Massaker. Eine Einstufung als Völkermord weist sie jedoch strikt zurück.
Stimmen zu einem Jahrhundertverbrechen
Vor mehr als 100 Jahren kam es im Osmanischen Reich zu systematischen Massakern an den armenischen Christen. Die Türkei will nicht von einem Völkermord sprechen - während Persönlichkeiten weltweit das immer wieder tun.
Bild: Auswärtiges Amt
Papst: "Erster Völkermord im 20. Jahrhundert"
Papst Franziskus nutzte die Ostermesse in diesem Jahr für eine politische Botschaft. Er nannte die Massaker an den armenischen Christen im Osmanischen Reich vor 100 Jahren den "ersten Völkermord im 20. Jahrhundert". Nach scharfer Kritik aus der Türkei sagte er: "Wir können nicht über das schweigen, was wir gesehen und gehört haben."
Bild: Solaro/AFP/Getty Images
Türkei: "Wir teilen den Schmerz"
Die türkische Regierung lehnt eine Einordnung der Geschehnisse vor 100 Jahren als "Völkermord" noch immer strikt ab. Zuletzt ist Ankara aber auf die Nachfahren zugegangen. Regierungschef Ahmet Davutoğlu sagte jetzt: "Wir teilen den Schmerz der Kinder und Enkelkinder der Armenier, die ihr Leben bei Deportationen 1915 verloren haben."
Bild: picture-alliance/AA/Ahmet Dumanli
"Verbrechen gegen die Menschlichkeit"
UN-Generalsekretär Ban Ki Moon will nach den Papst-Äußerungen zwischen der Türkei und Armenien vermitteln. Er spricht von "Gräueltaten" und "Verbrechen gegen die Menschlichkeit". Neue Historiker-Kommissionen, die alles aufarbeiten, will er nicht. Die beiden Länder sollten ihren Dialog fortsetzen - mit dem klaren Ziel, dass solche "tragischen Ereignisse" in der Zukunft verhindert werden können.
Bild: Andrew Burton/Getty Images
Deutschland sorgt sich um Versöhnung
Außenminister Frank-Walter Steinmeier wägt seine Worte genau ab. Er will die Aussöhnung zwischen der Türkei und Armenien nicht gefährden. Deshalb spricht er nicht von Völkermord. "Verantwortung heißt eben, Verantwortlichkeit nicht auf einen einzigen Begriff zu reduzieren". Im Oktober 2014 besuchte Steinmeier Armenien - hier mit Amtskollege Edward Nalbandjan.
Bild: DW/A. Gazazian
"Es geht nicht um Schuldzuweisungen"
Auch das Europäische Parlament meldet sich zu Wort. Nach einer Schweigeminute verabschiedeten die Parlamentarier eine Erklärung. Darin wird die Türkei aufgefordert, die Verbrechen als Völkermord anzuerkennen. Der Parlamentarier Knut Fleckenstein sagt dazu: "Dabei geht es nicht um Schuldzuweisungen an die heutige politische Regierung, sehr wohl aber um die Übernahme von Verantwortung."
Bild: Reuters/F. Lenoir
"Face The Shadow": Armenien beim ESC
Politisch soll es nicht zugehen beim Eurovision Song Contest. In diesem Jahr schickt Armenien aber einen brisanten Beitrag ins Rennen. "Don't deny", Leugne nicht!, heißt die zentrale Botschaft des Liedes "Face the Shadow". Die Band Genealogy will den Wettbewerb zur Plattform für ein offenes Wort machen - ihre Ballade wird wohl nicht nur nach ihrem musikalischen Gehalt beurteilt werden.
Bild: Ruzanna Pilosyan_ Head of Press / Armenia, ESC 2015 Armenian
Genozid-Anerkennung als Türöffner zur EU?
"Würde sich die Türkei nicht so stur verhalten, könnte das auch einen EU-Beitritt beschleunigen". Das sagt Daniyel Demir, der Bundesvorsitzende der Volksgrupe der Aramäer in Deutschland, mit Blick auf das türkisch-armenische Verhältnis. Lange hatte Deutschland gezögert, den Völkermord anzuerkennen. Demir sagte dazu: "Den Opfern muss es so vorkommen, als würde Erdoğan in Berlin mitregieren."
Bild: BVDAD
Putin spricht von "Genozid" - und reist an
Kremlchef Wladimir Putin hat dem armenischen Volk zum 100. Jahrestag des "Genozids" sein Mitgefühl ausgedrückt. Der 24. April 1915 sei ein "trauriges Datum, das mit einem der schlimmsten und dramatischsten Ereignisse in der Geschichte der Menschheit verbunden ist - mit dem Genozid am armenischen Volk". Putin wird auch zu den Gedenkfeiern in die armenische Hauptstadt Eriwan reisen.