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Politik

Erdogans Erfolg spaltet arabische Welt

25. Juni 2018

Der türkische Präsident Erdogan spaltet nicht nur sein eigenes Land. Auch in den arabischen Ländern fallen die Reaktionen höchst unterschiedlich aus. Klar ist aber: Sein Wahlsieg hat Auswirkungen auf die gesamte Region.

Wahlen Türkei - Erdogan erklärt sich zum Sieger
Bild: picture-alliance/AA/K. Ozer

Die Araber und Erdogan? Im Grunde, so kann man den jemenitischen, in London ansässigen Blogger Mohammad Jumeh verstehen, lässt sich dieses Verhältnis auf eine einfache Formel bringen. Die Araber, schreibt Jumeh, dessen Tweets rund 250.000 Personen folgen, hätten zu Erdogan und dem türkischen Wahlkampf nur zweierlei Haltungen: "Die einen betrachten Erdogan als Diktator, der demokratische Wahlen gewann, die es nicht gab. Und die anderen wollen es Erdogan in anderer Umgebung und unter anderen Umständen nachtun." An Erdogan, so die Botschaft, arbeiten sich arabische Demokraten und Autokraten gleichermaßen ab. Erdogan spaltet, Erdogan polarisiert, in der Türkei ebenso wie in der arabischen Welt.

Wie genau Jumeh die Situation umrissen hat, zeigen auch die Reaktionen auf seinen Tweet. Die einen warfen Erdogan einen autoritären Regierungsstil vor, dazu sein rüdes Vorgehen gegen politische und insbesondere gegen die Kurden. Nach den Wahlen dürfte er immer aggressiver werden - "insbesondere gegenüber den Arabern", wie es in einem Tweet in Reaktion auf Jumehs Bemerkung heißt.

Andere hingegen loben seinen betont religiösen Kurs, der der Türkei und, in deren Fahrwasser, auch der arabischen Welt, eine frisch gestärkte kulturelle Identität beschere. Vor allem aber kümmere Erdogan sich um die Belange seines Landes, der Türkei. Dieses Engagement ließen viele arabische Regierungschefs vermissen, heißt es in einem Tweet. "Darum suchen sie weiter einen ehrenhaften Politiker, der sich auch Herausforderungen wie Armut, mangelnder Bildung und einem ungenügenden Gesundheitswesen stelle."

Freude trotz internationaler Kritik an Wahlverlauf: Anhänger Erdogans im türkischen Denizli Bild: picture alliance/AA/M. Dermencioglu

Nähe zu den Muslimbrüdern

Für Bewegung dürfte Erdogans Wahlsieg auch jenseits des digitalen Raums sorgen. Nicht zuletzt dürfte sich das Kräftefeld in der sunnitischen Welt noch einmal deutlich auseinanderdividieren, erwartet der Sozialgeograph Günter Meyer, Leiter des Zentrums für Forschung zur Arabischen Welt (ZEFAW) an der Universität Mainz. Politisch stehe Erdogan der Muslimbruderschaft nahe und unterstütze deren über eine Reihe arabischer Staaten verteilte Gruppen. Besonders verbunden sei er darum dem Emirat Katar, das ebenfalls zu den wichtigsten Förderern der Muslimbrüder gehört. "Das bedeutet dann eine ausgeprägte Spannung zu Katars größten Widersachern, nämlich der Viergruppe Saudi-Arabien, Vereinigte Arabische Emirate, Bahrain und Ägypten. Das ist eine klassische Frontstellung, in deren Rahmen Erdogan auch die militärische Präsenz der Türkei in Katar ausgebaut hat." Diesem Kurs, erwartet Meyer in Gespräch mit der DW, dürfte Erdogan auch nach seinem Wahlsieg weiterhin folgen.

Innenpolitisch wandte sich Erdogan vor allem an die konservativen Türken, die einen starken Bezug zum Islam haben. Auch nach außen propagiert er sich als frommer sunnitischer Muslim, was ihm auch ausgeprägte Sympathien einbringt. Als türkischer Präsident dient er vor allem aber den Interessen seines Landes - ein Umstand, der ihn wohl davon abhalten dürfte, auch den Schulterschluss mit der den Gazastreifen regierenden Hamas zu suchen. Denn die Hamas hat sich mangels sunnitischer Unterstützer zuletzt entschieden dem Iran zugewandt, der sie nun finanziell massiv unterstützt - einem Bericht des "Forbes"-Magazins zufolge mit vielen Millionen Dollar jährlich. Dadurch könnte sich die Hamas immer mehr der schiitischen Führungsmacht Iran andienen. Der Iran ist zugleich ein Schutzschild des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad, auf dessen Absetzung die Türkei seit Jahren hinarbeitet. Diese Konstellation dürfte eine Annäherung zwischen der Türkei und der Hamas weiterhin verhindern.

Umstritten: Verlegung der US-Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem. Ivanka Trum am Eingang der künftigen Botschaft, Mai 2018 Bild: Reuters/R. Zvulun

Schwieriges Verhältnis zu Israel

Bestärkt könnte sich Erdogan allerdings in seinem Unmut gegenüber Israel fühlen. Das Verhältnis zwischen Ankara und Jerusalem hatte sich in den letzten Monaten spürbar abgekühlt. Ausgelöst wurde sie vor allem durch die Entscheidung der USA, Jerusalem als Hauptstadt Israels anzuerkennen und auch die US-Botschaft dorthin zu verlegen. Den Hauptstadtstatus Jerusalems wie auch die Botschaftsverlegung werde die Türkei "niemals" akzeptieren, hatte Erdogan Mitte Mai auf einer Pressekonferenz in London erklärt.

Seine entschiedene Haltung in dieser Frage habe ihm erheblich Sympathien in der Türkei wie auch der arabischen Welt verschafft, sagt Günter Meyer. Allerdings habe sich die Distanz zu Saudi-Arabien und dessen Verbündeten zusätzlich vergrößert. "So zieht sich weiterhin ein tiefer Riss durch das sunnitische Lager", so Meyer.

Folgen für Syrien

Unmittelbare Auswirkungen wird der Wahlsieg Erdogans auf das Nachbarland Syrien haben. Im Frühjahr hatte der Präsident das türkische Militär über die Grenze in Richtung der syrischen Stadt Afrin geschickt. Unterstützt von arabischen Milizen, sollte die türkische Armee Stellungen der kurdischen "Volksverteidigungseinheiten" (YPG) angreifen, die Ankara der Zusammenarbeit mit der in der Türkei ansässigen kurdischen "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) beschuldigt. Stück für Stück weitete sich die Operation auf immer weitere Landstriche aus. Erdogan geht es nicht nur darum, die kurdischen Verbände - für den Präsidenten handelt es sich um "Terroristen" - zurückzudrängen. Zugleich will er auch eine möglichst breite Zone schaffen, in der syrische Zivilisten sich sicher fühlen können - insbesondere auch die bis zu 3,5 Millionen in die Türkei geflüchteten Syrer. Ihre Präsenz war ein prominentes Thema im türkischen Wahlkampf.

Nach der "Befreiung": Stadtzentrum von AfrinBild: Reuters/K. Ashawi

Günter Meyer weist auf das Abkommen hin, das die Türkei und die USA in der vergangenen Woche unterzeichnet haben. Dieses sieht vor, dass sich die syrischen demokratischen Kräfte in das Gebiet östlich des Euphrat zurückziehen. "Damit stünde das gesamte Gebiet vom Euphrat bis zur Westgrenze im Norden Syriens unter der Kontrolle der Türkei. Das wäre ein Gebiet, das aus Sicht Erdogans sicher genug ist, die aus der Türkei zurückkehrenden Flüchtlinge aufzunehmen."

Erdogan mag in der arabischen Welt ebenso umstritten wie in der Türkei selbst sein. Klar ist, dass Freunde und Gegner mit ihm rechnen müssen. Auch in seiner künftigen Amtszeit wird Erdogan politische Realitäten schaffen, mit denen sich auch die Nachbarn der Türkei auseinandersetzen müssen.

Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika
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