1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Erfolg ist männlich - auch im Kulturbetrieb

Stefan Dege20. Dezember 2014

Sie lebte an der Seite des berühmten Alexej Jawlensky. Dafür verzichtete die Malerin Marianne von Werefkin auf vieles. Hundert Jahre später erobern Frauen den Kulturbetrieb. Doch das Sagen haben weiter Männer.

Kunstausstellung in der Schirn
Bild: picture-alliance/dpa

Die Augen glühen leidenschaftlich rot. Der stolze Blick fixiert den Betrachter. Marianne von Werefkin ist 50 Jahre alt, als sie ihr Konterfei in kräftigen, fast expressiven Farben und wilden Pinselstrichen auf die Leinwand wirbelt. Doch das Selbstporträt vom Herbst 1910 passt so gar nicht in die Zeit. "Werefkin war nicht nur als Malerin und Kunsttheoretikerin ihrer Zeit weit voraus, sondern auch als Frau", betont Luise Pusch vom Verein "Fembio", einem Institut für Frauen-Biographieforschung in Hannover.

"Sehen Sie, Fräulein, es gibt zwei Arten von Malerinnen: die einen möchten heiraten und die anderen haben auch kein Talent", kritzelte der Karikaturist Bruno Paul 1901 in der Satirezeitschrift "Simplicissimus" unter eine Zeichnung. Der einflussreiche Architektur- und Kunstkritiker Karl Scheffler nahm ihn beim Wort: Nur der Mann sei fähig, selbständige Meisterwerke zu schaffen. Und die Frau? Sie sei "eine geborene Dilettantin", die als Künstlerin ihre "einheitliche Natur verleugnen und männisch werden" müsse. So dachte man am Ausgang des 19. Jahrhunderts in München, der neben Paris damals führenden Kunststadt Europas.

Gesucht: die einflussreichen Frauen

Und heute? Die Malerin Sibylle Zeh illustrierte den Status quo im Geschlechterverhältnis zuletzt so: In Reclams Künstlerlexikon – gelistet sind darin 5000 Kunstschaffende - übertünchte sie die Männernamen mit weißer Farbe. Übrig blieben nur 169 Künstlerinnen. Überraschend wenig, waren Frauen doch selten so einflussreich in der Kunstszene wie heute: Künstlerinnen wie die Malerein Marlene Dumas, die Performerin Maria Abramović oder die Fotokünstlerin Cindy Sherman gehören zu den Stars in Museen und privaten Sammlungen. Die Kölnerin Rosemarie Trockel zählt sogar zu den drei Topverdienerinnen der Kunstwelt. Galeristinnen machen Karrieren und Preise. Frauen leiten heute Museen, Theater, Akademien.

Selbstbildnis Marianne von Werefkins aus dem Jahr 1910Bild: Public domain

Die bis heute aktuellste und informativste Erhebung zur Situation von Frauen in Kunst und Kultur hat vor genau zehn Jahren der Deutsche Kulturrat vorgelegt, Auftraggeber war die Kultusministerkonferenz. Die Studie bündelt Daten aus den Jahren 1995 bis 2000. Danach sind die Studentinnen an den Kunsthochschulen mit knapp zwei Dritteln klar in der Überzahl. Bei Preisen und Stipendien liegen junge Künstlerinnen und Künstler gleichauf. Doch dann öffnet sich die Schere: Scharen von Künstlerinnen verschwinden plötzlich vom Radar. Der Grund: Frauen übernehmen seltener feste Stellen, lassen sich häufiger mit befristeten oder Projektjobs abspeisen, kümmern sich verstärkt um Haus und Kinder.

Frauen verschwinden vom Radar

An den Universitäten wirken sich allmählich die Gleichstellungsgesetze aus: War vor zehn Jahren nur gut jede fünfte Professur mit einer Frau besetzt, so hat sich das Bild inzwischen gewandelt. An der Berliner Universität der Künste etwa ist heute ein Drittel der Professorenschaft weiblich. Doch werden gerade einmal drei von 19 deutschen Kunsthochschulen von einer Rektorin geleitet. "Wenn Renommee im Spiel ist", sagte Leonie Baumann, Rektorin an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee unlängst der Wochenzeitung "Die Zeit", "besetzen immer noch Männer den Job". "Männer sind zielgerichteter und netzwerken konsequenter", sagt Frauenkunstforscherin Marianne Pitzen vom Kunstmuseum Bonn, "und sie zweifeln weniger an sich!"

"Die Frauen sind groß im Kommen", hält Anja Schaluschke, Geschäftsführerin des Deutschen Museumsbunds in Berlin dagegen. Die Museen "würden weiblicher", auch wenn in den großen Häusern immer Männer regierten. Von den 18 führenden Kunstmuseen in Deutschland werden heute vier von Frauen geleitet: in Karlsruhe, Chemnitz, Düsseldorf und Stuttgart, dazu einige mittelgroße Häuser in Trägerschaft der Landschaftsverbände. Zählt man die Kunsthallen und Kunsthäuser dazu, steigt die Zahl. Nach dem Bericht des Deutschen Kulturrates ist etwa ein Viertel der Museumsleitungen in weiblicher Hand. In den meisten der rund 6000 deutschen Museen - davon die Hälfte in privater Trägerschaft - sind Frauen Stellvertreterin des Direktors oder sind als Kuratorinnen tätig. Doch nicht das sei entscheidend, sagt Museumsbund-Sprecherin Schaluschke: "Beklagenswert ist der Mangel an Museumsstellen überhaupt!"

Männer spielen das Millionenspiel

Christiane Lange ist überzeugt, dass die Veränderungen im Kunstbetrieb nachhaltig sind. Die Kunsthistorikerin leitet seit einem Jahr die Staatsgalerie Stuttgart. "Wir haben als Direktorinnen Vorbildcharakter", sagte sie in einem Zeitungsinterview. "Die jungen Frauen sind tough, die wollen berufstätig werden." Das bestätigt eine Erhebung des Deutschen Museumsbundes: Von den zuletzt 200 kunsthistorischen Nachwuchskräften waren 173 Volontäre weiblich. Für Susanne Gaensheimer, Direktorin des Museums für Moderne Kunst in Frankfurt (MMK) ist Gleichstellung somit kein Thema. Im MMK herrsche ein völlig ausgeglichenes Verhältnis zwischen Männern und Frauen, sagt sie.

Ganz eigenen Gesetzen folgt der Kunstmarkt. Dort geht es ruppiger zu als im öffentlichen Dienst. Nach der Studie des Deutschen Kulturrates stammt zwar jedes dritte Kunstwerk, das die Museen erwerben, von einer Frau. Doch herrscht eine auffällige Preisdifferenz. Verdient ein Künstler 10.000 Euro beim Verkauf eines Werkes, erhält eine Künstlerin im Schnitt nur 6400 Euro. Als Monika Sprüth vor bald 30 Jahren in Köln ihre Galerie eröffnete, warb sie für Positionen von Künstlerinnen wie Jenny Holzer, Cindy Sherman oder Rosemarie Trockel. Heute gehören die Künstlerinnen der Galerie Sprüth Magers zu den Topverdienerinnen der Branche. Das "ganz große Spiel um die Millionen" werde freilich weiterhin von Männern gespielt, sagt Sprüth. "Ein Bild von Cindy Sherman wurde für über zwei Millionen US-Dollar verkauft, ihre neuen Arbeiten liegen aber bei 500.000 Dollar. Da fängt ihr Landsmann, der amerikanische Künstlerstar Jeff Koons, erst an. Heißt das: Jeff Koons Werk ist bedeutender als Cindy Sherman?"

Die Sprachwissenschaftlerin Luise Pusch forscht zu FrauenbiographienBild: J. Horsley/Suhrkamp Verlag

In Bonn steht Europas einziges Frauenmuseum, das sich um Ausstellung, Sammlung und Erforschung weiblicher Kunst kümmert. Für Leiterin Marianne Pitzen ist die Gleichstellung nicht zuletzt eine soziologische, wirtschaftliche und gesellschaftspolitische Frage. Öffentliche Museen und vor allem private Sammler kauften in der Mehrzahl Werke männlicher Künstler. Arbeiten männlicher Künstler erzielten höhere Verkaufspreise, männliche Künstler würden bekannter. "Erfolg ist eben männlich" konstatiert sie und hält das für eine "Riesen-Ungerechtigkeit". Frauen seien ja nicht weniger kreativ.

Frauenquote im Kunstbetrieb

"Im Kulturbetrieb sind Frauen noch immer unterrepräsentiert und benachteiligt", meinen Politiker von Bündnis 90/Die Grünen. Die Partei forderte im Oktober von der Bundesregierung, "gezielte Maßnahmen für bessere Grundlagen für die Gleichstellung von Frauen". Die Idee: Über die Gewährung von Zuschüssen eine ausgeglichene Vergabe von Führungspositionen, Intendanzen, Stipendien und Werksaufträgen zu erzwingen. "Je höher Gehalt, Ansehen und Funktion einer Stelle, desto geringer ist der Frauenanteil im Kulturbetrieb", kritisieren die Abgeordneten. Luise Pusch vom Institut für Frauen-Biographieforschung geht mit ihrer Forderung noch weiter. Sie verlangt eine Frauenquote "von mindestens 50 Prozent".

Marianne Pitzen gründete das Frauenmuseum in Bonn.Bild: DW/Vytenė Stašaitytė

Im russischen Sankt Petersburg des Jahres 1910 ist die Baronin von Werefkin bereits eine angesehene Porträtmalerin. Sie gilt als "russischer Rembrandt". Nach dem Tod ihres Vaters, eines hochrangigen Militärs, bezieht sie eine üppige Zarenrente. Als sie 1896 mit Alexej von Jawlensky nach München umsiedelt, kann sie es sich sogar leisten, ihren Partner auszuhalten. Für Jawlensky gibt sie die eigene Kunst auf - aus Sorge, ihre Konkurrenz könne ihn einschüchtern. Werefkin habe die "weibliche Entsagung und Aufopferung auf die Spitze getrieben", sagt Frauenforscherin Pusch, "heute würde sie das nicht mehr tun."

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen