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Gesellschaft

Leben mit Behinderung in Weißrussland

Alexandra Boguslawskaja mo
19. August 2019

In Weißrussland tun sich Staat und Gesellschaft immer noch schwer im Umgang mit Menschen mit Behinderungen. Ein neues Gesetz soll Besserung bringen. Was erwarten Betroffene und Experten?

Menschenrechte in Weißrussland
Wasilij Pawlikow bei seiner Arbeit im HotelBild: DW/A. Boguslawskaya

Seit über einem Jahr arbeitet Wasilij Pawlikow im Minsker Renaissance Hotel. "Er ist ordentlich, verantwortungsbewusst, geht höflich mit den Kollegen um und ist sehr pünktlich", sagt Olga Duchowitsch, die PR-Managerin des Hotels. Wasilij Pawlikow wurde mit Trisomie 21 geboren, dem Down-Syndrom. Zu seinen Aufgaben zählt das Polieren des Bestecks für das Hotelrestaurant. Vermittelt wurde er von einer Vereinigung zur Unterstützung von Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen. Zu Beginn des Projekts wurden die Mitarbeiter des Hotels geschult, damit sie ihren neuen Kollegen ins Team mit einbeziehen. Pawlikow ist derzeit der einzige Mitarbeiter mit einer Behinderung.

Die Idee, Arbeitsplätze für Menschen mit Down-Syndrom zu schaffen, entstand bereits bei der Eröffnung des Hotels im Jahr 2014. "Wir wollen anderen Unternehmen in Weißrussland zeigen, dass es nicht schwierig ist, Menschen mit Behinderungen Arbeit zu geben. Wir wollen dazu ermutigen, unserem Beispiel zu folgen", sagt Olga Duchowitsch.

Öffentlichkeit erleichtert die Integration

Menschen mit Behinderungen wurden schon in der Sowjetunion diskriminiert und an den Rand der Gesellschaft gedrängt. Auch heute noch sind in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion negative Einstellungen zu Menschen mit Behinderungen weit verbreitet. Das erschwert die Integration der Betroffenen in die Gesellschaft. Darunter leidet auch die 28-jährige Jekaterina Kucharenko, eine ausgebildete Logopädin und Psychologin. Auf Bewerbungen erhält sie meist nur Absagen. Die junge Frau ist gehbehindert und benötigt einen Stock. "Ich habe alle ärztlichen Genehmigungen, um als Logopädin zu arbeiten, aber ich werde einfach nicht eingestellt", beklagt sie.

Jekaterina Kucharenko würde gerne in ihrem Beruf arbeitenBild: Privat

Jekaterina Kucharenko meint, die Gesellschaft sei immer noch nicht bereit, Menschen mit Behinderungen zu akzeptieren. "Die meisten Menschen haben eine verzerrte Sicht auf uns und haben gruselige Bilder im Kopf. Sie machen es sich leicht und verdrängen einfach, dass es überhaupt Menschen mit Behinderungen gibt", sagt sie.

Zwei Jahre lang suchte die junge Frau vergeblich nach einem Arbeitsplatz in ihrem Beruf. Schließlich nahm sie im Rahmen eines Beschäftigungsprogramms für Menschen mit Behinderungen einen Job in einem Call-Center an. Als die Maßnahme nach einem Jahr auslief, beschloss Jekaterina Kucharenko, sich als Beraterin im Personalwesen zu versuchen. In diesem Bereich will sie sich weiterentwickeln.

Die "Herrschaft des Staates über das menschliche Leben"

Ein neues Gesetz, das nach den Wahlen im November 2019 im Parlament zur Abstimmung kommt, soll die Lage von Weißrussen mit Behinderungen verbessern. Die Gesetzesvorlage orientiert sich an der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen. Das Übereinkommen wurde von Weißrussland im Jahr 2016 ratifiziert.

Sergej Drosdowskij: Gleiche Rechte für Menschen mit BehinderungBild: DW/A. Boguslawskaya

Sergej Drosdowskij, Leiter der weißrussischen NGO "Büro für die Rechte von Menschen mit Behinderungen", bedauert jedoch, dass der Gesetzentwurf die bestehende "Herrschaft des Staates über das menschliche Leben" nicht beseitigt. Er verweist auf den Fall einer jungen geistig behinderten Mutter in der Ortschaft David-Gorodok im Süden Weißrusslands. Die örtlichen Behörden nahmen ihr nach dem Tod der Großmutter den fünfjährigen Sohn weg und gab ihn in eine Pflegefamilie. Nach Meinung des Amtes ist die junge Frau nicht in der Lage, sich allein um den Jungen zu kümmern. Auf Antrag der Behörden wurde der Mutter vom Gericht auch noch das Sorgerecht entzogen, obwohl sich das Gesundheitsministerium für die junge Mutter eingesetzt hatte.

Drosdowskij kritisiert, dass in Weißrussland auch in Zukunft der Staat entscheiden könne, was ein Mensch mit Behinderungen darf oder nicht darf. "Anstatt sich dieser Familie anzunehmen und zu schauen, ob man vielleicht mit einer Betreuung helfen kann, nehmen die Behörden einfach das Kind weg", so der Experte. Seine NGO will der jungen Mutter in David-Gorodok nun mit einer Klage vor höherer Instanz weiterhelfen.

Forderungen aus der Zivilgesellschaft

"Das neue Gesetz über die Rechte von Menschen mit Behinderungen beinhaltet durchaus wichtige Punkte der UN-Behindertenrechtskonvention", sagt Drosdowskij. Unter anderem begrüßt er positive Neuerungen wie das Diskriminierungsverbot und Quoten bei Arbeitsplätzen. Doch viele Vorschläge der Zivilgesellschaft seien nicht berücksichtigt worden: "Wir haben einen erweiterten Artikel zum Schutz der Rechte vorgeschlagen, damit auch Mitarbeiter von NGOs als Vertreter vor Gericht auftreten dürfen."

Ein weiteres Problem in der Gesetzesvorlage ist Drosdowskij zufolge, dass sie Menschen mit psychischen Störungen völlig ausschließt, da diese in Weißrussland unter das Gesetz über die Psychiatrie fallen. Doch auch diese Menschen sollten, so Drosdowskij, die Möglichkeit haben, ihre Rechte wahrzunehmen.

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