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Mensch, deine Rechte

Ulrike Mast-Kirschning1. Dezember 2008

Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte wird 60 Jahre alt: Für viele Menschen hat sich ihre Lebenssituation seitdem verbessert. Doch bis heute werden die Menschenrechte weltweit missachtet. Eine Bilanz.

'Straße der Menschenrechte' von Dani Karavan am Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg: In jede der Säulen ist der Text eines Artikels aus der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte gemeißelt (Foto: dpa)
'Straße der Menschenrechte' von Dani Karavan am Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg: In jede der Säulen ist der Text eines Artikels aus der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte gemeißeltBild: picture alliance/dpa

Sie war die Antwort auf einen Alptraum, auf die massiven Unrechtserfahrungen in den totalitären Staaten des 20. Jahrhunderts. Die Antwort auf den Zweiten Weltkrieg, die barbarische Herrschaft der deutschen Nationalsozialisten und auf den Völkermord an den europäischen Juden. Am 10. Dezember 1948 einigten sich die Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen (UN) auf die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte. Sie wird am Mittwoch (10.12.2008) 60 Jahre alt.

Es war ein Wendepunkt in der Geschichte der Menschheit, etwas völlig neues, als Eleanor Roosevelt, Frau des amtierenden US-Präsidenten, 1948 in der UN-Generalversammlung in Paris die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte verlas. Erstmals hatten die Staaten ein universelles, für alle Menschen und Staaten geltendes Wertesystem formuliert: "Artikel 1: Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geiste der Brüderlichkeit begegnen."

Völkergewohnheitsrecht

In 30 Artikeln proklamierte die Generalversammlung die klassischen Freiheitsrechte sowie die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte. Zunächst nicht rechtsverbindlich, sind sie heute überwiegend Ausdruck des so genannten Völkergewohnheitsrechts.

Aber sind sie auch verwirklicht? Heiner Bielefeldt, Leiter des Deutschen Instituts für Menschenrechte, eines der vielen nationalen Menschenrechtsinstitute, die inzwischen entstanden sind, kennt die Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit: "Menschenrechtsverletzung gibt es nach wie vor. Die Welt und die Menschheit sind nicht besser geworden. Aber die Möglichkeit Menschenrechtsverletzungen politisch zu bearbeiten, sind erheblich verbessert worden."

Weltmenschenrechtskonferenz 1993

Diese politische Bearbeitung findet heute auf der Grundlage zahlreicher Menschenrechtsverträge statt. Die Ausgestaltung der Institutionen und Normen der Menschenrechte im UN-System gehört ganz sicher zur Erfolgsgeschichte der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte. Zwei große Basiswerke wurden entwickelt: der Pakt für bürgerliche und politische Rechte und der Pakt für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte. Daneben zahlreiche weitere Abkommen über Rechtsansprüche, Bewusstseinsbildung und Dialog über Menschenrechte.

Vor allem seit der UN-Weltmenschenrechtskonferenz 1993 in Wien sind viele Dinge sprunghaft vorangekommen. Die Menschenrechte erfuhren eine Aufwertung und wurden integrierter Bestandteil der gesamten Arbeit in den Vereinten Nationen. Das sorgte auch weltweit für Erfolge, so Morton Kjaerum, Direktor der EU-Grundrechteagentur mit Sitz in Wien: "Noch 1990 hatten wir lediglich fünf nationale Menschenrechts-Institutionen weltweit, die sich der Überwachung und Einhaltung der Menschenrechte verschrieben hatten. Heute haben wir mehr als 100. Und die meisten davon haben ihren Sitz außerhalb Europas." Kjaerum schätzt, dass es heute zehn solcher Institute in Europa gibt, der überwiegende Rest aber arbeite in Afrika, Asien oder Lateinamerika. "Dort haben sie deutlich mehr zu sagen. Wir stellen fest: Die Debatte über Menschenrechte hat vor allem außerhalb Europas an Fahrt gewonnen", so der EU-Direktor.

Ins Rutschen gekommen

Seit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 in den USA sind viele bis dato akzeptierte menschenrechtliche Positionen ins Rutschen gekommen: Es gab den Irak-Krieg, den die USA gegen den ausdrücklichen Willen der meisten UN-Mitgliedsstaaten und ohne Mandat des Sicherheitsrates führte. Die Abkehr vom absoluten Folterverbot. Oder aber auch die Missachtung elementarer Schutzfunktionen des Staats, der Terrorverdächtige heute an Nationen ausliefert, die das Folterverbot nicht beachten. Auch Deutschland ist von solchen Fragen betroffen.

Ein Bereich, in dem sich die Rückschritte zeigen, sei die Sicherheitsgesetzgebung, sagt Menschenrechtskenner Bielefeldt. "Niemand bestreitet, dass es notwendig ist, gegen Terrorismus vorzugehen. De facto hat es dann aber doch das gegeben, wovon der deutsche Ex-Außenminister Joschka Fischer nach dem 11. September sagte, dass es das nicht geben dürfe: eine Art Terrorrabatt - Terrorbekämpfungsrabatt für die Menschenrechte."

Druck auf Nicht-Demokratien im Menschenrechtsrat lässt nach

Mit den Anti-Terrormaßnahmen sind nicht nur konkrete Verletzungen der Menschenrechte verbunden. Auch die Glaubwürdigkeit der westlichen Staatengruppe hat gelitten. Zum Beispiel im neuen Menschenrechtsrat. Dort sind die westlichen Länder bei Abstimmungen inzwischen in der Minderheit. Außerdem häuft sich gegen sie der Vorwurf der doppelten Standards, die sie anlegen würden. Und der moralische Druck auf die weniger demokratischen Staaten und ihre Menschenrechtsprobleme hat in der Folge deutlich nachgelassen.

Der Menschenrechtsrat, das politische Gremium der UN-Menschenrechtspolitik, ist eine Herausforderung auch für die deutsche Außenpolitik, so Minister Frank-Walter Steinmeier vor kurzem auf einer Menschenrechtstagung in Berlin: "Wir wussten um die Schwierigkeiten bei seiner Konstituierung und wir sind aufrichtig, wenn wir sagen, dass wir uns die Arbeit besser und effektiver vorstellen können und müssen. Denn es war immer unsere Vorstellung, dass der Menschenrechtsrat eine stärkere Institution ist, als es die Menschenrechtskommission war." Ob er das werde, sei noch nicht ausgemacht, "aber wir haben vereinbart, dass wir weiter daran arbeiten", so Steinmeier weiter.

Aktuelle existentielle Probleme der Menschheit

Eine Aufgabe, die - im Vergleich zu heute - vor 60 Jahren leichter zu bewältigen war: Der Schock über die Schrecken des 20. Jahrhunderts saß tief und einte damals die Regierungen. Auf dem Globus agierten 56 Staaten für rund zwei Milliarden Menschen. Heute hat die UN 193 Mitgliedsstaaten und viele assozierte Beobachter. Die Weltbevölkerung ist auf rund sieben Milliarden angewachsen. Der Klimawandel, die Globalisierung, die Ernährungskrise, Terrorismus und drohende Epidemien konfrontieren die Menschheit mit existentiellen Problemen, in denen im Interesse aller Menschen und ihrer universellen Rechte Kooperation und Zusammenarbeit gefragt sind.

Gerade angesichts der neuen Probleme der Menschheit bleibt auch für den Wissenschaftler und Leiter des deutschen Menschenrechtsinstituts, Heiner Bielefeldt, die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte und ihre universelle Gültigkeit unverzichtbar: Es gebe eine Berufungsgrundlage, eine Adresse, an die man Beschwerden richten kann. Außerdem Institutionen - mehr oder weniger gut funktionierende - die sich mit solchen Fragen beschäftigten. "Wir haben vor allem auch das zivilgesellschaftliche Engagement: Menschenrechtsorganisationen wie amnesty international oder Human Rights Watch. Wenn man sich nur für einen Moment der Fiktion hingibt, all das gäbe es nicht, dann wären wir im Umgang mit den Ungerechtigkeiten in der Welt noch viel hilfloser als wir es sind", sagt Bielefeldt.

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