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Literatur

Erich Kästner: "Fabian" / "Der Gang vor die Hunde"

Aygül Cizmecioglu spe
6. Oktober 2018

Ein Buch wie ein Rausch, wie ein Streifzug durch die dunkle Seite Berlins kurz vor der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten. Erich Kästner musste mitansehen, wie sein Großstadtroman in Flammen aufging.

Schrifsteller Erich Kästner
Bild: picture-alliance/dpa

Am 10. Mai 1933 erhellt ein Meer aus Flammen die Dunkelheit auf dem Berliner Opernplatz. Nationalsozialisten werfen die Bücher unliebsamer Autoren ins Feuer – darunter Werke von Kurt Tucholsky, Heinrich Mann. Und von Erich Kästner. Besonders sein Roman "Fabian" galt den Nazis als der Inbegriff der "dekadenten Asphaltliteratur". 

Bücher in Flammen

Anders als viele seiner Kollegen blieb Kästner in Deutschland. Er konnte trotz Publikationsverbot und Schikane durch die Gestapo weiterarbeiten. Unter einem Pseudonym schrieb er harmlose Drehbücher für NS-Unterhaltungsschmonzetten. Anders hätte es für ihn wohl ausgesehen, wäre sein Roman "Fabian" in der ursprünglichen Form publiziert worden. Denn das, was 1931 veröffentlicht worden war, war lediglich eine entschärfte Fassung.

"Fabian / Der Gang vor die Hunde" von Erich Kästner

02:11

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Das Original war um einiges radikaler und konkreter. Um den Autor und den Ruf des Verlags zu schützen, bat Kästners besorgter Lektor, den Text zu kürzen. Der Autor willigte zähneknirschend ein und musste mit ansehen, wie selbst der von ihm präferierte Buchtitel "Der Gang vor die Hunde" in "Fabian" verändert wurde. 

Sex, Sehnsucht und Rausch

Dabei lebt die Geschichte von den nächtlichen, recht expliziten Streifzügen durch Berlins Nachtleben. Es ist Ende der Zwanzigerjahre. Dr. Jakob Fabian, ein arbeitsloser Werbetexter, wird zum Chronisten des Rauschs. Es geht um schnellen, beiläufigen Sex. Um lesbische Liebe, um Sehnsucht und Selbstmord. Eine Welt aus Bordellen, Künstlerateliers und illegalen Kneipen. Jeder betrügt jeden und geht unter in Berlin, diesem Moloch der Moderne. Ein Tanz auf dem Vulkan. Die Katastrophe des Zweiten Weltkrieges naht. 

"Soweit diese riesige Stadt aus Stein besteht, ist sie fast noch wie einst. Hinsichtlich ihrer Bewohner gleicht sie längst einem Irrenhaus. Im Osten residiert das Verbrechen, im Zentrum die Gaunerei, im Norden das Elend, im Westen die Unzucht und in allen Himmelsrichtungen wohnt der Untergang."

Schere im Kopf

In der Welt des Romans muss sich jeder, der vorwärts kommen will, prostituieren. Und stets damit rechnen, von seinem Partner für eine bessere Partie abserviert zu werden. Fabians Streifzüge durch Berlins Nachtleben sind in der gekürzten Version zwar weitestgehend dieselben, doch die Urfassung ist viel plastischer. Sexuell Explizites wie "Tippfräuleins über den Schreibtisch legen" oder "Gummiglied" wurden gestrichen. 

Mit den öffentlichen Bücherverbrennungen durch die Nazis begann 1933 die Verbannung kritischer Stimmen aus der Öffentlichkeit.Bild: picture-alliance/AP Photo

Aber auch politisch Fragwürdiges wurde ein Opfer der Selbstzensur. So musste Kästner etwa die herrliche Busfahrt Fabians mit seinem Kumpel Labude, bei der beide vor fassungslosem Publikum die nationalen Heiligtümer wie das Brandenburger Tor verspotten, komplett rausnehmen. Dadurch wirkt die Erstfassung viel braver, viel glatter. 

Dank einer neu editierten Ausgabe kann man seit 2013 Kästners Großstadtroman im Original und unter dem ursprünglichen Titel "Der Gang vor die Hunde" wiederentdecken. Liest man ihn heute, wirkt er so aktuell wie nie. Die von Fabian formulierten Ängste seiner Generation vor einer Familiengründung angesichts unsicherer Arbeitsverhältnisse könnten auch von einem Mittdreißiger aus der Gegenwart stammen. 

 

Erich Kästner: Fabian - Der Gang vor die Hunde (1931), tv / Arche Verlag

Erich Kästner wurde 1899 in Dresden geboren und starb 1974 in München, der Stadt, der er nach dem Zweiten Weltkrieg den Vorzug vor Berlin gab. Berühmt und noch heute viel gelesen sind vor allem seine Kinderbücher und Jugendromane wie "Emil und die Detektive" (1929), „Pünktchen und Anton“, "Das doppelte Lottchen" oder "Das fliegende Klassenzimmer". Seine Gedichte ("Herz auf Taille", "Gesang zwischen den Stühlen") gehören zum lebendigen deutschen Kulturgut. Kästner war Jahrzehnte lang Präsident und Ehrenpräsident des westdeutschen PEN-Zentrums. 

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