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Erinnerungen an '89 werden wach

3. Februar 2011

Es gibt einige Gemeinsamkeiten zwischen der Demokratiebewegung in der DDR vor 21 Jahren und den jungen Demonstranten in Kairo. Aber die Reaktionen auf ihre Forderungen sind unterschiedlich.

Hundertausende Ägypter demonstrieren in Kairo (Foto: DW)
Kairo: Hunderttausende demonstrieren für FreiheitBild: DW

Viele Deutsche fühlen sich derzeit an den Herbst 1989 erinnert, als in Leipzig und anderen Städten in der damaligen DDR die Menschen mit dem Ruf "Wir sind das Volk!" eine Revolution anzettelten. In Kairos Straßen sieht es heute ähnlich aus: Junge Leute ziehen auf den Tahrir-Platz und fordern den seit Jahrzehnten amtierenden Präsidenten Husni Mubarak zum Rücktritt auf. Diese Proteste sind keine Einzelerscheinung. Sie sind - wie 1989 in der DDR - Teil eines Prozesses, der eine ganze Region erfasst hat.

Flächenbrand

Helsinki 1990: Michail Gorbatschow und George Bush besiegeln das Ende des Kalten KriegesBild: AP

In den 1980er-Jahren war der Flächenbrand durch die Reformen von Michail Gorbatschow ausgelöst worden. "Glasnost und Perestroika" hießen die Zauberworte, hinter denen sich nicht etwa klare politische Programme, sondern vielmehr der Wunsch nach radikaler Veränderung verbarg. Der Ruf wurde gehört - zuerst in Polen und Ungarn, dann in der DDR, in der CSSR und schließlich auch in Rumänien und in der Sowjetunion selbst.

Die Welt hinter dem "Eisernen Vorhang" war in Aufruhr - so wie heute die arabische Welt mit ihren autokratisch regierenden Königshäusern und Herrschern. Für ihre permanente Missachtung der Menschenrechte, die überhörten Rufe nach mehr Demokratie und Gleichberechtigung bekommen sie jetzt die Quittung - genau wie einst die greisen Generalsekretäre kommunistischer Parteien in Mittel- und Osteuropa am Ende der 1980er-Jahre.

Wahlfälschungen

Egon Krenz verkündete das gefälschte Wahlergebnis der DDR-Kommunalwahl am 7. Mai 1989Bild: ullstein bild - Teutopress

Auslöser und Ursache der Unruhen ähneln sich auch. In beiden Ländern gingen den Protesten massive Wahlfälschungen voraus. Die DDR-Kommunalwahl 1989 war eine ebensolche Farce wie die Parlamentswahl im November 2010 in Ägypten. Ohne Manipulationen wären beide Regierungen schon an der Wahlurne final abgestraft worden. Jahrelang hatte das Volk derartige Manipulationen ertragen.

Aber irgendwann gibt es die historisch einmalige Situation, in der der Mut der Demonstranten, die Unfähigkeit der staatlichen Behörden und die internationale Politik eine erfolgreiche Gegenwehr ermöglichen: 1989 in Deutschland, 2011 vielleicht in Ägypten.

Gegenwehr

Husni Mubarak: "Trete bei der nächsten Wahl nicht mehr an."Bild: AP

Der Protest in Ägypten ist bisher noch nicht erfolgreich. Das alte System wehrt sich mit Schlägertrupps auf dem Tahrir-Platz in Kairo. Ihnen treten bewundernswerter Mut und Entschlossenheit entgegen. "Wir weichen nicht, bis Mubarak aus dem Amt gejagt ist", rufen die Demonstranten und meinen es ernst. Darin ähneln sie den jungen Deutschen, denen im Herbst 1989 das Herz bis zum Hals geschlagen hat, als sie durch die nächtlichen Straßen Leipzigs zogen und nicht wussten, ob ihnen Stasi oder Militärpolizei an der nächsten Ecke auflauern würden.

Auch die Rolle des Militärs lässt Vergleiche zu: Damals wie heute halten sich die Generäle zurück - in Ägypten, weil sie es selbst entscheiden können, in der DDR, weil die Sowjetunion es befohlen hatte. Beides deutet auf ein Ende des alten Regimes hin und auf die Einsicht, dass man einen Volksaufstand dieses Ausmaßes nicht zusammenschießen und damit beenden kann.

Schnelles Ende

In der DDR hatte die Revolution relativ schnell gesiegt - und das auf ganzer Linie: Die Mauer war offen, man konnte ohne Einschränkung reisen, die Wiedervereinigung wurde in Angriff genommen und viele Politfunktionäre kamen hinter Gittern. Das Honecker-Regime hatte binnen weniger Wochen den Hut genommen, das Volk tanzte auf den Straßen. Später konnte man sagen, die Ostdeutschen haben eine Revolution inszeniert und erfolgreich beendet, bei der nicht ein einziger Schuss gefallen war.

Straßenschlacht am Tahrir-Platz in Kairo zwischen Anhängern und Gegnern MubarakBild: AP

Anders in Ägypten: Am Nil schlägt der alte Apparat offenbar zurück. Die prügelnden und schießenden Schläger des Präsidenten haben viel mehr zu verlieren als die Demonstranten. Nämlich ihre Privilegien, die sie als Beschützer des Regimes genießen. Noch ist nicht klar, wie dieser Kampf auf dem Tahrir-Platz und in ganz Ägypten ausgehen wird. Sicher aber ist, dass Ägypten nicht wieder so sein wird wie vorher.

Außenpolitik

Der damalige sowjetische Generalsekretär und Staatschef Michail Gorbatschow hatte 1988 die so genannte Breschnew-Doktrin aufgehoben. Danach war es der Sowjetunion erlaubt, in jedes beliebige Land des Warschauer Paktes einzumarschieren, wenn Gefahr für die "sozialistische Staatengemeinschaft" bestand. Mit dem Ende dieser Doktrin gewannen die Staaten des Ostblocks zwar einerseits ein Stück Souveränität zurück, andererseits aber verloren sie den Schutz des "großen Bruders".

In Ägypten zieht sich ebenfalls der "große Bruder" zurück. Die USA haben hinter den Kulissen massiv auf Husni Mubarak eingewirkt, sein Amt aufzugeben. In den Frust über den widerspenstigen Abgang des 82-Jährigen mischen sich in Washington erste Töne, wirtschaftliche Sanktionen gegen Ägypten zu verhängen. Der Druck auf den ägyptischen Präsidenten jedenfalls wird weder auf der Straße noch auf diplomatischem Parkett nachlassen.

1989 bestand die Sorge, was mit der Weltmacht Sowjetunion geschehen würde, wenn die kommunistische Führung dasselbe Schicksal ereilen würde, wie es in der DDR, in Ungarn und Polen, in der CSSR oder Rumänien geschehen war. 2011 richten sich die Blicke mit ähnlicher Sorge auf den Iran, auf den Libanon und die Palästinensergebiete. Und mitten drin Israel - die bisher einzige Demokratie im Nahen Osten.

Autor: Matthias von Hellfeld
Redaktion: Kay-Alexander Scholz