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Kunst

Erinnerungen an einen besonderen Großvater: Pablo Picasso

8. April 2023

Bernard Ruiz-Picasso ist der Enkel von Pablo Picasso. Als Kind schämte er sich für die Gemälde seines Großvaters. Heute besitzt er eine der umfangreichsten Sammlungen eines der wohl größten Genies des 20. Jahrhunderts.

Bernard Ruiz-Picasso posiert vor dem Antikriegsgemälde "Guernica" in Madrid.
Bernard Ruiz-Picasso vor dem Antikriegsgemälde "Guernica" (1937)Bild: THOMAS COEX/AFP

 Als Pablo Picasso am 8. April 1973 stirbt, hinterlässt er ein millionenschweres Vermächtnis, aber kein Testament. Es dauert ganze sieben Jahre, bis alle Bilder, Skulpturen, Zeichnungen, Briefe und Texte in Picassos Besitz inventarisiert und katalogisiert sind. Das Ergebnis ist schwindelerregend: 1856 Gemälde, 7089 Zeichnungen, 30.000 Graphiken, 1355 Plastiken, 2880 Keramiken. 

Seine zweite Ehefrau - Jaqueline Roque - hatte ihn in seinen letzten Lebensjahren nicht nur vor der Öffentlichkeit abgeschirmt, sondern verwehrte den unehelichen Kindern sowie Enkeln sogar die Teilnahme an der Beerdigung.

Bernard Ruiz Picasso ist Picassos Enkel

Bernard Ruiz-Picasso, der Enkel, den wir in Paris treffen, ist damals 13 Jahre jung. Er ist der Sohn von Paulo Ruiz-Picasso, dem ersten Sohn von Pablo Picasso und dessen erster Ehefrau Olga Khokhlova und damit "rechtmäßiger Erbe" - was die unehelichen Kinder bekommen sollen, ist da noch nicht klar. 

Doch auch der Staat hielt die Hand auf: Erbschaftssteuern sind fällig Aufgrund des umfangreichen Nachlasses kam in Frankreich erstmals ein Gesetz - die sogenannte "Dation" - zur Anwendung: Es erlaubte den Erben, ihre Steuern nicht in Geld, sondern in Kunstwerken zu bezahlen. So entstand 1985 aus diesem Nachlass das Picasso-Museum in Paris, das mit 5000 Ausstellungsstücken und 200.000 Dokumenten und Dingen aus dem persönlichen Archiv die größte Sammlung des Künstlers beherbergt.

Bernard Ruiz Picasso stiftete vor zwanzig Jahren wiederum einen Teil seiner Sammlung, um gemeinsam mit seiner Mutter das Picasso-Museum in Malaga zu gründen. In der andalusischen Küstenstadt wurde sein berühmter Großvater am 25. Oktober 1881 geboren. 

DW: Wann ist Ihnen zum ersten Mal klar geworden, dass Ihr Großvater eines der größten Genies der Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts ist?

Bernard Ruiz-Picasso: Ich habe erst kurz vor seinem Tod im Jahr 1973 gemerkt, dass er eine bekannte Persönlichkeit ist. Als Kind habe ich ihn regelmäßig in Südfrankreich besucht. Er war immer von vielen Freunden umgeben und lebte in einem großen Haus, das voller Kunstgegenstände war. Er war immer sehr beschäftigt. Ich war noch jung damals, und ich habe nicht verstanden, wie bedeutend er in künstlerischer Hinsicht war. Aber ich nahm durchaus wahr, dass die Menschen zu ihm aufblickten. Er wurde eben nicht wie ein Schreiner oder Elektriker behandelt, sondern mit mehr Achtung.

Haben Sie als Kind jemals überlegt, womit er sein Geld verdient?

In der Schule waren mir solche Themen offen gestanden peinlich. Denn alle meine Freunde antworteten auf die Frage, was ihre Familienmitglieder beruflich machten, Dinge wie: Mein Vater ist Metzger, meiner arbeitet als Anwalt. Für mich war es komplizierter, diese Frage zu beantworten. Außerdem lachten viele Kinder über die Kunst von Picasso, weil seine Bilder in ihren Augen einfach schrecklich furchteinflößend waren. Mit Augen an Stelle von Ohren und anderen seltsamen Dingen.

Wie erinnern Sie sich an ihn? War er ein netter Großvater?

Als ich jung war, herrschten andere Zeiten. Kindern war es nicht erlaubt, Erwachsene zu unterbrechen, und es gab damals noch nicht so viele Telefone. In Picassos Haus gab es ein einziges Telefon, das auf gewisse Weise ein Tabu-Objekt war. Wenn ich im Wohnzimmer auf dem Boden spielte, redete er meistens mit anderen Erwachsenen, und manchmal bat er mich zu ihm zu kommen und mich zu ihm zu setzen. Manchmal zeigte er mir etwas und nahm mich in den Arm, wie es Großväter nun mal so machen.

Pablo Picasso war bis ins hohe Alter noch produktiv - er starb am 8. April 1973Bild: dpa/picture alliance

Wenn er mit Ihnen gespielt hat oder wenn Sie Zeit mit ihm in Südfrankreich verbracht haben, sprachen Sie dann Spanisch oder Französisch miteinander?

Meistens Französisch, weil ich damals noch kein Spanisch konnte. Ich habe es erst später in der Schule gelernt.

Wie viel hat er gearbeitet?

Oh, er hat sehr viel gearbeitet. Wenn er hier mit uns zusammensitzen würde, würde er etwas zeichnen, während er das Interview geben würde. Er würde eine sehr energiegeladene Atmosphäre verbreiten, auch noch im Alter.

Sie haben das Picasso Museum in Malaga gegründet, und Sie sagen, dass Picasso der erste Popstar der Kunstgeschichte gewesen sein könnte. Wie erinnert das Museum an Picasso, und was ist im Rahmen der Feierlichkeiten zum Todestag geplant?

Zufälligerweise fällt das 20-jährige Bestehen des Museums mit Picassos 50. Todestag zusammen. Das Museum habe ich vor zwanzig Jahren mit meiner Mutter Christine Ruiz Picasso gegründet, und gemeinsam mit ihr arbeite ich seitdem daran, die Sammlung zu erweitern. Wir werden das Jubiläum mit einer Bestandsaufnahme feiern und schauen, wo wir heute stehen, und das Haus zukunftsfähig machen. Denn die Museumslandschaft und auch das Publikum haben sich in den letzten zwanzig Jahren stark verändert. Ein langwieriger Prozess. Museen gleichen behäbigen Tankern, und wir leben in einer Zeit in der Museen weltweit auf dem Prüfstand stehen. Aber mich fasziniert, dass sie Orte sind, an denen die Gegenwart und die Zukunft des Zusammenlebens verhandelt werden. Das gilt natürlich für Kultur im Allgemeinen.

Picasso verbrachte seine Kindheit in Malaga. Wie hat das seine Arbeit beeinflusst? Sein Vater war ja ein begeisterter Taubenmaler - und Picasso hat die ikonische Friedenstaube gemalt. Geht das auf seine Kindheit in Malaga zurück?

Zweifellos üben die frühen Lebensjahre einen großen Einfluss auf alle Künstlerinnen und Künstler, oder besser gesagt alle Kreativen aus. In Picassos Werk kann man ganz eindeutig die Farben seiner Kindheit wiedererkennen, die allesamt in den Gemälden auftauchen. Das Orange, das Gelb der Zitronen - diese.

 Und sein Vater war ein wirklich guter Künstler, der auf Stillleben spezialisiert war, die wir in Spanien "bodegones" nennen. Er war auch Lehrer an einer Kunstakademie in Malaga, wo unter anderem Architektur, Design und angewandte Kunst unterrichtet wurde. Pablo Picasso, oder ich sollte besser sagen Ruiz Picasso, wie sein vollständiger Name lautete, war in seinem Leben von Anfang an von Kunst und Kultur umgeben. Das hat ihn sehr geprägt. Bis heute hinterlässt Picasso ja Spuren in Malaga, und nicht zuletzt das ihm gewidmete Museum hat die Stadt positiv verändert. Auch andere Ausstellungshäuser haben dort eine Zweigstelle eröffnet. Malaga ist eine Künstlerstadt geworden.

Im 21. Jahrhundert wird die Kritik am Verhalten Ihres Großvaters gegenüber Frauen immer lauter. In einem Interview haben Sie gesagt, dass er ein Feminist sei. Können Sie das erklären?

Das ist ein Zitat, das ein französischer Journalist in einer spanischen Zeitung aus dem Zusammenhang gerissen hat.

Doch ja, ich denke, die Art und Weise, wie er sich selbst darstellte, aber vor allem, wie er Frauen - als Mutter, als Geliebte, als furchterregende, hysterische Charaktere - darstellte, das ist außergewöhnlich. In diesem Zusammenhang hat mir eine Ausstellung im Musée d'Orsay über die Blaue und Rosa Periode die Augen geöffnet. Dort lernte ich seine Werke neu zu sehen. Auf diesen frühen Gemälden waren Frauen dargestellt, die Syphilis hatten oder völlig ausgehungert im Gefängnis saßen. Picasso hat sich auf allen Gebieten immer gegen Tyrannei und Barbarei engagiert.

War das Antikriegsgemälde "Guernica" aus dem Jahr 1937 das Gemälde, durch das er sich politisierte?

Auf Picassos Spuren durch Málaga

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Nein, Picasso engagierte sich schon seit jungen Jahren in verschiedenen Gruppen, die allesamt für ein besseres Leben kämpften. "Guernica" ist nur ein Beispiel. Es war eine Auftragsarbeit für den spanischen Pavillon auf der Expo in Paris 1937. Aber er beschäftigte sich auch danach immer wieder mit den Auswirkungen von Kriegen. So malte er 1951 das Gemälde "Massaker in Korea", und 1940, während des Zweiten Weltkriegs, ein Gemälde, das eine Frau mit nur einer Hand zeigt. Ich glaube, dass Picasso ein sehr sensibler Künstler war, der die schönen und die traurigen Seiten des Lebens gleichermaßen im Blick hatte.

Er war nie in Deutschland. Wissen Sie warum?

Nein, ich glaube einfach, er reiste nicht gerne. Er blieb lieber zu Hause und arbeitete in seinem Atelier. Er fuhr allerdings nach Polen, um die dortige Friedensbewegung zu unterstützen, und er war ein paar Mal in England. Er hat auch versucht, nach Nordamerika zu fahren, aber sie haben ihm kein Visum ausgestellt, weil er Kommunist war.

Warum ist er 1944 in die Kommunistische Partei eingetreten?

Nun, zu Beginn des 20. Jahrhunderts gab es in Europa einige Tyrannenstaaten. Es gab Diktatoren oder Kommunisten und einige wenige Demokraten, die nur ein geringes Interesse an Kunst hatten. Also mussten sich die Menschen für eine Seite entscheiden. Die Künstler der Avantgarde-Jahre waren sehr unabhängig, sie waren auf eine gewisse Art anarchistisch. Sie warteten nicht darauf, dass ihnen jemand sagte, was sie tun sollten. Sie engagierten sich alle politisch. In Form von Künstlermanifesten, aber auch durch ihre Kunstwerke oder durch ihre Schriften.

Picasso schrieb ja auch Gedichte, was nicht so bekannt ist.

Unsere Stiftung hat den französischen Verlag Éditions Gallimard finanziell unterstützt, um Picassos Gedichte auf Spanisch zu veröffentlichen. Er hatte einen sehr antiquierten Stil, ohne Zeichensetzung, ohne Punkt und Komma. Dadurch muss man sich einen eigenen Weg durch die Texte bahnen, einen eigenen Rhythmus entwickeln und sich die Zeichensetzung vorstellen.

Als Picasso starb, war es kompliziert, das Erbe aufzuteilen. Sie mussten einen großen Teil an den französischen Staat geben. Wie haben sie das geregelt?

Picasso starb 1973, zwei Jahre später starb bedauerlicherweise mein Vater. Dann gab es als rechtmäßige Erben erst mal nur meine Halbschwester Marina und mich. Ihr Bruder beging außerdem im selben Jahr Selbstmord. Das war ein trauriges Jahr. Am Ende waren es die hinterbliebenen Frauen und Halbgeschwister Maya, Paloma, Claude, Jaqueline - Picassos Witwe - Marina und ich, die sich das Erbe teilten. Wir waren zu sechst. Und die Anwälte haben dann zusammen mit der französischen Regierung die so genannte "Dation" ins Leben gerufen. Eine Möglichkeit, Steuerschulden mit Kunstwerken zu bezahlen. Eine wirklich gute Methode.

Er hat ihre Großmutter sehr häufig gemalt. Besitzen Sie einige der Arbeiten?

Ich besitze ein paar Dinge von meiner Großmutter. Vor allem konnte ich zehn Jahre lang an der Übersetzung der russischen Korrespondenz meiner Großmutter arbeiten. Wir haben eine Ausstellung mit dem Titel "Olga und Picasso" organisiert, in Paris, Moskau, Malaga und Madrid. Und wir haben viel recherchiert, weil wir keine Ahnung hatten, wer Olga tatsächlich war. Es ist eine traurige Geschichte aus den Zeiten des Bürgerkriegs. Sie kommt als junge Balletttänzerin 1911 nach Europa und lernt 1917 Picasso kennen. An der Seite von Picasso führt sie ein traumähnliches Leben, fast wie eine kleine Prinzessin. Doch währende Picasso gegen Ende des Zweiten Weltkriegs immer bekannter wird, verliert sie auf der anderen Seite ihre gesamte Familie. Sie sterben im Bürgerkrieg oder in der Armee.

Es gibt unzählige Ausstellungen, die 2023 an Picasso erinnern. Werden Sie sich die alle ansehen?

Ich versuche immer noch herauszufinden, wie ich gleichzeitig an zwei Orten sein kann. Nein, ich werde sie nicht alle sehen. Aber ich werde 2023 sehr viel reisen, weil es sich auf jeden Fall lohnt, so viele Ausstellungen wie möglich zu besuchen. Unsere Kunststiftung ist an einigen Ausstellungen beteiligt. Und soweit ich weiß, haben die Präsidenten von Frankreich und Spanien die Idee gehabt, die Feierlichkeiten des Picasso-Jahres im Gebäude der UNESCO in Paris enden zu lassen. Ein deutliches Zeichen für demokratische Werte.

Das Interview führten Sabine Oelze und Susanne Luerweg.

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