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Politik

Unabhängig, aber nicht frei

Daniel Pelz
23. Mai 2018

Die Regierung ist autoritär, die Bevölkerung flieht in Scharen: Eritrea galt bei der Unabhängigkeit vor 25 Jahren als Hoffnungsträger für einen ganzen Kontinent, nun sprechen Kritiker vom "Nordkorea Afrikas".

Eritrea Bevölkerung feiert Referendum 1993
Nach dem Unabängigkeitsreferendum 1993 brach Freude im Land ausBild: Getty Images/AFP/A. Joe

Nach Feiern ist Meron Estefanos nicht zumute. "In unserer Landessprache Tingrinya bedeutet Unabhängigkeit auch Freiheit. Viele Leute sagen deswegen: Warum sollen wir feiern, es ist doch niemand frei", sagt die 44-Jährige, die aus Eritrea stammt. Mit zwölf zog sie nach Schweden, wo ihr Vater Arbeit gefunden hatte. Aber die Verbindung zur Heimat ist nie abgerissen. Manchmal klingelt ihr Handy sogar nachts, weil verzweifelte Flüchtlinge auf einem Boot im Mittelmeer Hilfe brauchen. "Mama Meron", wie sie die Presse schon mal nennt, hilft von Stockholm aus eritreischen Flüchtlingen in Not. "Die Kinder der Märtyrer, die für die Unabhängigkeit Erireas ihr Leben gegeben haben, sterben im Mittelmeer, auf der Sinai-Halbinsel, in der Sahara. Es ist einfach so traurig, denn dafür sind unsere Märtyrer nicht gestorben", klagt sie im DW-Interview.

Dabei hatte 1993 alles hoffnungsvoll begonnen. Nach über 30 Jahren Bürgerkrieg wurde Eritrea am 24. Mai 1993 unabhängig. Auf den Straßen der Hauptstadt Asmara tanzten jubelnde Menschenmassen. "Heute ist der Tag der Wiedergeburt Eritreas. Er ist die Belohnung für alles, wofür wir gekämpft haben" rief der frischgebackene Präsident Isaias Afewerki. Zwei Jahre vorher hatten seine Rebellen Asmara eingenommen. Damit ging der jahrzehntelange Bürgerkrieg mit Äthiopien zu Ende. Bis zur Unabhängigkeit war Eritrea Teil des Nachbarlandes gewesen, obwohl eine Mehrheit der Bevölkerung für die Unabhängigkeit war. Die Regierung versprach Frieden und wirtschaftliche Entwicklung, das kleine Land am Horn von Afrika galt als Hoffnungsträger für den ganzen Kontinent. 

"Ich bin Eritreer, ich bin stolz" steht auf diesem Poster in der Hauptstadt AsmaraBild: Getty Images/AFP/J. Vaughan

"Außergewöhnliche Zeit" nach der Unabhängigkeit

"Es war eine außergewöhnliche Zeit", sagt auch die britische Eritrea-Kennerin Michela Wrong, die den jungen Staat 1996 zum ersten Mal besuchte. "Viele Bürgerkriegsflüchtlinge kamen zurück, um in Eritrea zu investieren. Überall in Asmara hörte man Baulärm." Auch die Regierung sei offen gewesen, sagt Wrong der DW. "Eritrea hatte den Ruf, weitgehend korruptionsfrei zu sein. Die Regierung war offen, man konnte in jedes Ministerin gehen und den Minister sprechen."

Lange währten die guten Zeiten nicht: Die Grenze zum Nachbarland Äthiopien ist noch nicht genau festgelegt, beide Länder streiten um einige Gebiete. 1998 bricht wieder Krieg aus. Er endet mit einer krachenden Niederlage für Eritrea. Die Kritik an Staatschef Afewerki wird lauter. "Afewerki hat dann in einer Nacht- und Nebelaktion seine Kritiker verhaften lassen, einschließlich einiger Kabinettsmitglieder und früherer Kampfgefährten", sagt Wrong, Autorin des Standardwerkes über Eritrea "I didn't do it for you - How the World Used and Abused a Small African Nation."

1998 brach wieder Krieg mit Äthiopien ausBild: picture-alliance/dpa/S. Forrest

Keine Wahlen, keine freie Presse

Eritrea wird endgültig ein autoritärer Staat, für Kritiker zum "Nordkorea Afrikas". Wahlen haben noch nie stattgefunden, auf dem Index der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen liegt Eritrea in diesem Jahr auf dem vorletzten Platz. Kritiker verschwinden hinter Gittern, selbst das Schicksal prominenter politischer Häftlinge ist unklar. Kritische Journalisten oder Menschenrechtler aus dem Ausland bekommen kaum Zugang. Selbst ausländische Diplomaten dürfen die Hauptstadt Asmara nur mit Genehmigung der Regierung verlassen.

"Die Menschenrechtslage ist ernst. Meine aktuelle Einschätzung ist, das sie sich noch verschlechtert", sagt Sheila Keetharuth, UN-Sonderberichterstatterin für Menschenrechte in Eritrea. Eine UN-Expertenkommission wirft der Regierung 2016 Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor: Versklavung, Vergewaltigungen und Folter. Im Fokus steht immer wieder der sogenannte "National Service". Alle Eritreer ab 18 müssen den Pflichtdienst leisten, der theoretisch unbegrenzt dauern kann. Flüchtlinge und Menschenrechtler sagen, der Dienst sei nichts anderes als jahrelange Zwangsarbeit in Staatsbetrieben. Gerade junge Menschen fliehen vor dem Dienst in Scharen ins Ausland.

Viele Länder versuchen derzeit, die Beziehungen zu dem abgeschotteten Regime in Asmara zu verstärken. Auch Deutschland: 2015 besuchte Entwicklungsminister Gerd Müller das Land, 2016 kam eine hochrangige Delegation nach Berlin. Vor allem die hohen Flüchtlingszahlen machen den Europäern Sorgen. UN-Sonderberichterstatterin Keetharuth aber mahnt zur Vorsicht: "In den letzten Jahren haben einige Staaten und internationale Akteure ihre Bemühungen verstärkt, die Beziehungen mit Eritrea zu normalisieren. Ich frage mich: Welche greifbaren Fortschritte im Bezug auf die Menschenrechtslage sind dabei erreicht worden? Ich kann da nicht viel erkennen", sagt sie der DW.

Viele Eritreer sind ins Ausland geflohenBild: picture-alliance/dpa/M. Reichel

Regierung weist Kritik zurück

Keetharuth ist der Regierung in Asmara ein Dorn im Auge, die Kritik der UN auch. "In diesem Land kann jeder seine Meinung über die Regierung sagen, ohne befürchten zu müssen, dass er verhaftet wird", sagte Informationsminister Yemane Ghebremeskel 2015 der Süddeutschen Zeitung. Der ungelöste Konflikt mit Äthiopien sei dafür verantwortlich, dass Eritrea keine Wahlen abhalten könnte. Flüchtlinge würden bewusst Schauergeschichten erzählen, um in Europa Asyl zu bekommen.

Unklar ist, ob sich an den Bedingungen in Eritrea bald etwas ändern könnte. Immer wieder gibt es Gerüchte, dass Präsident Afewerki schwer krank ist. "Eritrea wird vom Militär regiert, das Parlament oder die Justiz haben keine Macht. Falls Afewerki sterben oder die Macht abgeben sollte, würden wahrscheinlich einer seiner Generäle übernehmen", sagt Buchautorin Wrong. Aktivistin Estefanos ist optimistischer: "Wir Eritreer haben unsere Unabhängigkeit erkämpft. Die Eritreer werden weiter kämpfen. Die Menschen werden mutiger."

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