Eritreas Konflikte werden in Deutschland ausgetragen
31. März 2025
Die deutschen Sicherheitsbehörden stufen die sogenannte Brigade N'Hamedu als terroristische Vereinigung. Sie glauben, dass Mitglieder der Gruppe Gewaltaktionen in Deutschland bei Eritrea-Festivals organisiert haben. 2022 und 2023 in der hessischen Gemeinde Gießen und 2023 in der baden-württembergischen Landeshauptstadt Stuttgart gab es bei solchen Festivals massive Gewaltausbrüche durch Exil-Eritreer, ebenso in den vergangenen Jahren in den Niederlanden und Schweden.
Die Polizei hatte am 26. März 2025 eine Großrazzia gegen mutmaßliche Mitglieder der Brigade N‘Hamedu in sechs Bundesländern durchgeführt. Auch in Dänemark gab es eine polizeiliche Durchsuchung.
Die Bundesanwaltschaft wirft 17 Beschuldigten die Gründung oder Mitgliedschaft in einer inländischen terroristischen Vereinigung vor. Bei der Brigade handele es sich "um eine international vernetzte Gruppierung, deren erklärtes Ziel es ist, die Regierung in Eritrea zu stürzen". "Einige Mitglieder" betrachteten auch "Gewalt gegen deutsche staatliche Institutionen und Repräsentanten der Staatsgewalt" als "legitimes Mittel". Gemeint sind Polizisten, die die Veranstaltungen schützen.
Ein Land mit starken Fluchtgründen
Was ist der Hintergrund der Konfrontation zwischen verschiedenen eritreischen Exilgruppen? Eritrea am Horn von Afrika spaltete sich 1993 nach einem drei Jahrzehnte dauernden Krieg von Äthiopien ab und wurde unabhängig. Seitdem wird es von Präsident Isaias Afewerki autoritär als Einparteienstaat regiert. Bei Pressefreiheit, Menschenrechten und der wirtschaftlichen Entwicklung liegt es im internationalen Vergleich regelmäßig weit hinten.
Eritreer können zu einem zeitlich unbefristeten "Nationaldienst" herangezogen werden, nicht nur beim Militär, auch in der Landwirtschaft oder auf dem Bau. Der Nationaldienst gilt neben der politischen Unterdrückung als Hauptgrund für die Flucht aus Eritrea - etwa die Hälfte der Eritreer lebt verstreut in der ganzen Welt. Eine der größten Gruppen ist in Deutschland mit mehr als 80.000 Menschen.
In dem Aufsatz "Der lange Arm des Regimes - Eritrea und seine Diaspora" der Bundeszentrale für Politische Bildung schreibt die Autorin Nicole Hirt vom Zugriff der Regierung in Asmara auf Exil-Eritreer. Unabhängig davon, ob sie inzwischen eine andere Staatsbürgerschaft haben oder nicht, müssten sie eine sogenannte Diasporasteuer von zwei Prozent ihres Einkommens abführen. Nur bei Nachweis dieser Zahlung könnten sie zum Beispiel Pässe bekommen, Eigentum in Eritrea kaufen oder erben. Das Regime versuche über transnationale politische Strukturen und Agenten, "die Diaspora zu kontrollieren, einzuschüchtern und auf Linie zu bringen".
Wem dienen die Eritrea-Festivals?
Hier kommen die Eritrea-Festivals in westlichen Ländern ins Spiel. Offiziell sind sie Kulturveranstaltungen. Organisiert werden sie von der eritreischen Regierung und ihr nahestehende Exilgruppen in Deutschland. In Gießen etwa steht der regierungsnahe Zentralrat der Eritreer in Deutschland e.V. dahinter.
Ihr Charakter hat sich im Laufe der Zeit sehr gewandelt, schreibt der Eritrea-Experte Gerrit Kurtz von der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik der DW: "Früher waren sie eine Gelegenheit, an den Freiheitskampf zu erinnern. Die kulturell angelegten Festivals wurden zunehmend von Vertretern des Regimes übernommen, so dass dort jetzt häufig Offizielle der eritreischen Regierung oder ihnen nahestehenden Personen auftreten und Propaganda für das autoritäre Regime in Asmara verbreiten."
Zu den Kritikern auf eritreischer Seite gehören etwa das Global Yiakl Eritrean Movement und United4Eritrea. Beide Gruppen werfen den Veranstaltern der Festivals in Deutschland vor, einseitig Partei für die Regierung zu ergreifen und Spenden für sie zu sammeln. Eine Anfrage der DW an United4Eritrea, ob sie Verbindungen zur Brigade N'Hamedu unterhält und deren Ziele unterstützt, wurde bisher nicht beantwortet.
Das Eritrean Research Institute for Policy and Strategy (ERIPS) hat aber die Polizeirazzien gegen Eritreer in Deutschland und die Einstufung einzelner Personen als Terrorverdächtige scharf kritisiert. In einer Stellungnahme des Instituts, das Eritreer auf der ganzen Welt zusammenbringt und für einen friedlichen, demokratischen Wandel in Eritrea eintritt, heißt es: "Wir verurteilen das jüngste ungerechte und unfaire Vorgehen der deutschen Behörden gegen eritreische Flüchtlinge in Deutschland auf das Schärfste." Die Eritrea-Festivals dienten "unter dem Deckmantel von Kulturfestivals als Propagandaplattformen zur Einschüchterung eritreischer Flüchtlinge". Nicht die Brigade N'Hamedu sei terroristisch, "die eritreische Regierung ist es, die Terror und Gewalt nach Deutschland trägt", so ERIPS.
Die Festival-Organisatoren, etwa der Zentralrat der Eritreer in Deutschland, haben solche Vorwürfe wiederholt zurückgewiesen und von einer kulturell geprägten Begegnung gesprochen.
Polizisten sollen nicht für fremde Konflikte ihren Kopf hinhalten
Die deutschen Behörden sind hier in einem Dilemma, meint Gerrit Kurtz von der Stiftung Wissenschaft und Politik: "Deutschland sollte sich nicht auf die Seite der eritreischen Regierung stellen, die oft versucht, auf Mitglieder der Diaspora Druck auszuüben oder sie zu überwachen. Gleichzeitig kann Deutschland natürlich gewalttätige Aktionen, in die Brigade N'Hamedu und andere Diasporaorganisationen verwickelt sind, auf seinem Boden nicht tolerieren."
Nach den jüngsten Polizeirazzien gegen N'Hamedu sagte Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl von der konservativen CDU, solche Konflikte dürften auf deutschem Boden nicht mit Gewalt ausgetragen werden. "Das ist eine klare Ansage und hierauf gibt es auch eine klare, entschlossene und konsequente Antwort des Rechtsstaats."
Ähnlich reagierte Hessens CDU-Innenminister Peter Beuth nach den Ausschreitungen 2023 in Gießen. Beuth machte aber damals vor allem die Regierung in Asmara verantwortlich. "Der eritreischen Regierung muss deutlich gemacht werden, dass eritreische Konflikte nicht auf deutschem Boden ausgetragen werden dürfen", sagte Beuth damals. „Unsere Polizistinnen und Polizisten sind nicht der Prellbock für Konflikte von Drittstaaten."
Der Eritrea-Experte Gerrit Kurtz rät: "Deutschland sollte grundsätzlich die Seite der gewaltfreien Opposition in der Diaspora einnehmen und demokratisch orientierte Akteure fördern, auch wenn die Bundesregierung weiterhin bilaterale Beziehungen zu Asmara unterhalten sollte." Da Deutschland derzeit keinen Botschafter in Eritrea habe, seien seine Einflussmöglichkeiten dort begrenzt. "Allerdings hat Eritrea durchaus Interesse, die Beziehungen mit Deutschland zu verbessern, was gewisse Einflussmöglichkeiten eröffnet. Das Vorgehen gegen die Brigade N'Hamedu in Deutschland wird die Stellung Deutschlands beim Regime in Asmara positiv beeinflussen, auch wenn das nicht das Ziel der - rechtsstaatlich mutmaßlich gebotenen - Razzien war."