Erleichterung in Deutschland nach Ende der Assad-Herrschaft
8. Dezember 2024Bundeskanzler Olaf Scholz hat den Sturz des syrischen Staatschefs Baschar al-Assad begrüßt. Assad habe "sein eigenes Volk auf brutale Weise unterdrückt, unzählige Leben auf dem Gewissen und zahlreiche Menschen zur Flucht aus Syrien getrieben, viele kamen auch nach Deutschland", erklärte Scholz in Berlin. Das syrische Volk habe entsetzliches Leid erfahren. Jetzt komme es darauf an, dass in Syrien "schnell Recht und Ordnung wieder hergestellt werden". "Alle Religionsgemeinschaften, alle Minderheiten müssen jetzt und in Zukunft Schutz genießen", betonte der Kanzler.
Scholz hält eine politische Lösung des Konflikts in Syrien im Einklang mit der Resolution 2254 des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen weiter für möglich. Die 2015 verabschiedete Resolution sah die Ausarbeitung einer Verfassung sowie Wahlen unter Aufsicht der Vereinten Nationen vor.
Kämpfer unter Führung der islamistischen Gruppe Haiat Tahrir al-Scham (HTS) und mit ihr verbündete Milizen hatten in der Nacht zum Sonntag die Einnahme der Hauptstadt Damaskus und die Flucht von Baschir al-Assad verkündet. Bei ihrem schnellen Vormarsch hatten die Aufständischen binnen weniger Tage die Kontrolle über mehrere syrische Großstädte gewonnen.
Baerbock betont Minderheitenschutz
Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock sprach von einem "ersten großen Aufatmen" für Millionen Syrer. Zugleich betonte sie, das Land dürfe jetzt nicht in die Hände "anderer Radikaler fallen - egal in welchem Gewand". Die Konfliktparteien seien jetzt aufgerufen, ihrer Verantwortung für alle Syrerinnen und Syrer gerecht zu werden. "Dazu gehört der umfassende Schutz von ethnischen und religiösen Minderheiten wie Kurden, Alawiten oder Christen und ein inklusiver politischer Prozess, der einen Ausgleich zwischen den Gruppen schafft."
"Auch die internationale Gemeinschaft ist jetzt gefragt, damit Syrien aus dem Kreislauf von Krieg und Gewalt endlich herauskommt", unterstrich die Ministerin. Dazu gebe es derzeit intensive Abstimmungen etwa mit den Vereinten Nationen, Partnern in der EU sowie den regionalen Akteuren und Nachbarn Syriens wie der Türkei und Jordanien.
Was bedeutet Assads Sturz für die Flüchtlinge?
Das Bundesinnenministerium teilte mit, dass die Bundesregierung die sich rasch verändernde Lage genau verfolge. "Ob sich aus dieser Lage Fluchtbewegungen in der Region oder aus der Region hinaus ergeben, ist zurzeit noch nicht vorhersehbar", erklärte das Ministerium den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Welche Auswirkungen die Lage auf die Möglichkeiten von syrischen Flüchtlingen zur Rückkehr haben werde, sei ebenfalls nicht vorhersehbar.
Entwicklungsministerin Svenja Schulze sagte der "Rheinischen Post": "Heute ist ein Tag der vorsichtigen Hoffnung auf einen friedlichen Übergang, der allen Religionen und Ethnien gleiche Rechte sichert und der frei von Rachegedanken ist." Dabei müsse auch eine "territoriale Integrität" gewahrt werden, so die SPD-Politikerin. Das syrische Volk habe viel zu viel Leid ertragen müssen.
Nach dem Sturz des Assad-Regimes sieht die Europapolitikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann auch Russland geschwächt. Moskau halte sich aus dem Konflikt heraus, obwohl Syrien ein enger Verbündeter sei, sagte die FDP-Politikerin. "Das spricht dafür, dass Russland militärisch alles in der Ukraine einsetzt und nicht in der Lage ist, eine zweite Front aufzumachen."
Röttgen sieht Türkei als Gewinner
Auch die oppositionelle Union zeigte sich hierzulande erleichtert über das Ende der Herrschaft Assads. Der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen nannte dessen Sturz "eine große Befreiung für das Land und die Menschen". Er sagte dem Magazin "Der Spiegel" mit Blick auf den Bürgerkrieg in Syrien, der 2011 begonnen hatte: "Die Hölle von Assad ist nach 13 Jahren beendet."
Als Gewinner der Entwicklung sieht Röttgen die Türkei und deren Präsident Recep Tayyip Erdogan. Dieser habe ein immenses Interesse daran, "dass Syrien nicht zerfällt, um eine Rückführung der drei Millionen Syrer aus der Türkei zu erreichen". Ob auch syrische Flüchtlinge aus Deutschland zurückkehren könnten, sei derzeit zu früh zu sagen, sagte Röttgen. "Aber es gibt ein Momentum für Stabilität. Europa muss jetzt auf die Türkei zugehen und Kooperationen ausloten."
Der außenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Jürgen Hardt, hält eine neue große Flüchtlingswelle "zurzeit für unwahrscheinlich". Ausgeschlossen werden könne sie aber nicht, "wenn die scheinbar schon laufenden Gespräche zwischen den Gruppen scheitern sollten und der Bürgerkrieg weiter an Intensität zunimmt". Die Bundesregierung müsse jetzt "angesichts dieser neuen und dynamischen Lage auf eine rasche Abstimmung in der EU über das weitere Vorgehen drängen."
Zwischen Freude und Furcht
Mit einer Mischung aus Hoffnung und Angst haben in Deutschland lebende Syrerinnen und Syrer auf die Nachrichten aus der Heimat reagiert. Die meisten von ihnen sind nach 2011 als Flüchtlinge gekommen. Die Mehrheit der Flüchtlinge sind Regimegegner. Einige Syrer hatten ihr Land aber auch aus Angst vor islamistischen Rebellen und Terroristen verlassen beziehungsweise aus materieller Not infolge des Bürgerkrieges.
Im Berliner Stadtteil Neukölln versammelten sich einige Dutzend Menschen, um den Vormarsch der Rebellen zu feiern. Sorgen vor den Absichten der neuen Machthaber äußerten vor allem Angehörige religiöser Minderheiten. "Es ist ein Tag voller Hoffnung, der Hoffnung auf ein Land mit Demokratie ohne das Assad-Regime", sagt Tareq Alaows, Sprecher von Pro Asyl, der Deutschen Presse-Agentur.
Der Syrer fügte hinzu, es herrsche "große Angst vor dem Unbekannten". Die bewaffneten Gruppen in Syrien hätten den religiösen Minderheiten zwar Zusicherungen gemacht und mancherorts auch Vereinbarungen getroffen, etwa mit Drusen und Ismaeliten, um einen gewaltfreien Übergang zu garantieren, aber dies sei "mit Vorsicht zu genießen".
Khaled Davrisch, Repräsentant der von Kurden ins Leben gerufenen Selbstverwaltung in Nord- und Ostsyrien in Deutschland sagte: "Mit dem Ende des Regimes stehen wir vor der Verantwortung, die Fehler der Vergangenheit zu überwinden und gemeinsam ein Syrien zu formen, das Freiheit und Würde für alle garantiert." Die Selbstverwaltung strebe keine Abspaltung an, sondern wolle sich beteiligen "am Aufbau eines demokratischen und pluralistischen Syriens, das die Rechte aller Syrerinnen und Syrer ohne Diskriminierung garantiert".
kle/haz (dpa, afp, rtr, kna, epd)