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NSU-Skandal

Rachel Baig26. November 2012

Neue Vorwürfe gegen deutsche Sicherheitsbehörden bei den Ermittlungen zur Mordserie der Terrorgruppe NSU: Sie sollen 2004 Hinweise auf einen rechtsextremistischen Hintergrund ignoriert haben.

ARCHIV - Ein Polizist sichert in Köln die Spuren einer Explosion in einer Wohnstraße (Archivfoto vom 09.06.2004). Der Vorsitzende des Neonazi-Untersuchungsausschusses, Sebastian Edathy (SPD), trifft sich am Freitag (31.08.2012) mit Opfern der beiden Kölner Bombenanschläge der Jahre 2001 und 2004. Bei dem Gespräch im Kölner Polizeipräsidium will er aus erster Hand über den Fortgang der Untersuchungen im Bundestag berichten. Außerdem will er sich ein Bild über die Stimmung bei den Betroffenen machen. Foto: Federico Gambarini dpa/lnw +++(c) dpa - Bildfunk+++
ARCHIV NSU Bombenanschlag KölnBild: picture alliance / dpa

Als am 9. Juni 2004 vor einem Friseur-Salon in der Kölner Keupstraße eine Nagelbombe explodierte, wurden 22 Menschen zum Teil schwer verletzt. Rund um den Tatort leben überwiegend türkischstämmige Anwohner. Seit dem Auffliegen des "Nationalsozialistischen Untergrunds" (NSU) im November 2011 ist klar, dass höchstwahrscheinlich die rechtsextremistische Terrorgruppe für den Anschlag verantwortlich ist. Seitdem müssen sich auch die Behörden im Bundesland Nordrhein-Westfalen fragen lassen, warum sieben Jahre lang kein Täter gefunden werden konnte.

Bereits kurz nach der Explosion trafen 2004 Beamte des Landeskriminalamts (LKA) ein. Sie meldeten dem Lagezentrum des Innenministeriums, dass es sich bei der Tat um "terroristische Gewaltkriminalität" handele. Fritz Behrens (SPD), der zu diesem Zeitpunkt Innenminister in Nordrhein-Westfalen war, wurde wenig später ebenfalls über den Anschlag informiert.

"Kein terroristischer Hintergrund"

Der Westdeutsche Rundfunk (WDR) erhebt nun schwere Vorwürfe gegen Behrens. Das Innenministerium soll nach Informationen des WDR das LKA aufgefordert haben, die Wörter "terroristischer Anschlag" aus dem Bericht zu streichen. Nur innerhalb einer halben Stunde nach Eintreffen der LKA-Beamten hätten die Behörden einen terroristischen Hintergrund ausgeschlossen. Die Ermittler vermuteten die Täter fortan im kriminellen Milieu.

Beate Zschäpe, Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos auf einem FahndungsfotoBild: picture-alliance/dpa

Das NRW-Innenministerium verweist heute darauf, dass die Polizei damals mehr als 3000 Spuren verfolgt habe. Die Kölner Polizei und das NRW-Innenministerium entschieden aber nach Informationen des WDR, "diese Spuren nicht mit Nachdruck zu verfolgen und Erkenntnisse über einen fremdenfeindlichen Hintergrund der Öffentlichkeit systematisch zu verschweigen". Das berichtet das WDR-Politmagazin "Westpol" unter Berufung auf vertrauliche Unterlagen der Ermittlungsbehörden.

Kölner Polizei widerspricht Vorwürfen

Experten von Landes- und Bundeskriminalamt hatten schon kurz nach dem Anschlag auf ein mögliches ausländerfeindliches Motiv hingewiesen. "Das Landeskriminalamt hat eine Fallanalyse erstellt, worin explizit ein fremdenfeindlicher Anschlag nicht ausgeschlossen wurde. Die Täter, die dort beschrieben werden, werden als deutsche Täter beschrieben, die möglicherweise schon vorher in Erscheinung getreten sind", sagt Boris Baumholt, Redakteur beim WDR.

Die Abgeordneten in einer Sitzung des NSU-UntersuchungsauschussBild: picture-alliance/dpa

In einem Dossier des Bundesverfassungsschutzes, das an die Sicherheitsbehörden in NRW ging, seien zudem Parallelen zu Sprengstoffanschlägen in London 1999 aufgeführt. Diese wurden auch von Rechtsextremisten verübt. Diese Hinweise hätten nach Erkenntnissen des WDR nur wenig Eingang in die Ermittlungsarbeit der Behörden gefunden. Die Kölner Polizei widerspricht diesen Vorwürfen. Polizeisprecher Wolfgang Baldes sagte im Interview mit der DW, dass nach dem Anschlag die Suche auch in Richtung Fremdenfeindlichkeit gegangen sei. Tatsächlich erklärte Oberstaatsanwalt Rainer Wolf auf einer Pressekonferenz nach dem Anschlag, dass eine ausländerfeindliche Tat nicht ausgeschlossen werde. Allerdings hielt er eine organisierte Terrorgruppe für wenig wahrscheinlich.

NSU-Ausschuss befragt Ex-Innenminister

"Wir haben den Briefverkehr zwischen der Polizei und dem Innenministerium Nordrhein-Westfalen. Die Erkenntnisse eines fremdenfeindlichen Motivs sollten bei einem Pressetermin nicht thematisiert werden. Da fragen wir uns natürlich, warum", sagt WDR-Redakteur Baumholt. Eine Erklärung dafür gab es bisher nicht.

Fritz Behrens (SPD), der frühere Innenminister Nordrhein-WestfalensBild: picture-alliance/dpa

Auch nicht von Fritz Behrens. Und das, obwohl sich dieser in der vergangenen Woche den Fragen des NSU-Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestages stellte und die politische Verantwortung für Fehler übernahm. Er sprach von "fatalen Unterschätzungen mit verheerenden Folgen". Der inzwischen pensionierte Sozialdemokrat erklärte, dass er aus den damaligen Erkenntnissen die falschen Schlussfolgerungen gezogen habe. "Ich kann mich dafür nur entschuldigen", sagte er an die Adresse der Opfer und ihrer Angehörigen.

Die Terrorzelle NSU soll in den Jahren 2000 bis 2007 zehn Menschen ermordet haben, darunter neun Migranten und eine Polizistin, sowie einen weiteren Anschlag in Köln im Jahr 2001 verübt haben. Die mutmaßlichen Haupttäter, Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos, erschossen sich am 4. November vergangenen Jahres in einem Wohnmobil in der Nähe von Eisenach. Die Überlebende des Trios, Beate Zschäpe, sitzt zurzeit in Köln in Haft. Der Prozess gegen sie soll demnächst beginnen.

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