Ernüchtert, aber nicht resigniert
25. September 2015In der Kernfrage, nämlich der Art und Weise, wie der künftige Regierungschef Hongkongs gewählt werden soll, hat sich nichts bewegt. Hongkong geht wie gewohnt seinen Finanz- und Handelsgeschäften nach. Und die drei Anführer der Studentenbewegung müssen sich demnächst wegen "Anstiftung zu ungesetzlicher Zusammenrottung" vor Gericht verantworten.
Ein Rückblick. Nach der Bekanntgabe des Pekinger Vorschlags vom August 2014 für eine "demokratischere" Wahl des Hongkonger Regierungschefs, der aber von den Aktivisten als Rückschritt gebrandmarkt wurde, gewann die Demokratiebewegung an Zulauf. Peking war bereit, eine allgemeine Wahl zuzulassen, wollte aber die Kandidaten vorab prüfen. Die Proteste wurden maßgeblich von Schülern, Studenten und der Gruppe "Occupy Central with Peace und Love" getragen.
Die Zeit der gelben Regenschirme
Vor genau einem Jahr dann begannen die Massenproteste und Straßenbesetzungen in Hongkongs Regierungsviertel Central. Der Polizeieinsatz mit Tränengas am 28. September war ein Auslöser dafür, dass sich die Protest- und Sit-in-Bewegung auch auf andere Stadtteile ausdehnte. Bisweilen waren bis zu 100.000 Menschen auf den Straßen, über 70 Tage lang herrschte in den Protestzentren Ausnahmezustand. Der Verkehr in der Finanz-, Tourismus- und Handelsmetropole kam teilweise zum Stillstand.
Vereinzelt kam es zu gewalttätigen Versuchen der Polizei und von "zivilen" Schlägern, die Barrikaden zu räumen. Aber erst als es klar wurde, dass die Regierung von Hongkong zu keinem Kompromiss bei den politischen Forderungen bereit sein würde, und als die öffentliche Meinung zu kippen begann und die Geduld mit der anhaltenden Behinderung des Alltagslebens verlor, räumten die Besetzer selber ihre Straßencamps.
Peking hat das letzte Wort
Hat sich der Aufwand gelohnt? Die politischen Verhältnisse sind zementiert wie eh und je. Die Wahl des nächsten Hongkonger Regierungschefs (Chief Executive) 2017 wird genauso wie bisher ablaufen, eine größere demokratische Mitsprache als bisher wird es dabei nicht geben.
Vor Kurzem machte Peking nochmals klar, dass es nicht bereit ist, die Kompetenzen des Chief Executive durch Justiz und Parlament beschneiden zu lassen. Pekings ständiger Vertreter in Hongkong, Zhang Xiaoming, hatte Mitte September 2015 erklärt, der Chief Executive habe eine "spezielle rechtliche Position inne, die den Organen von Verwaltung, Justiz und Gesetzgebung übergeordnet" sei und dass das Prinzip der Gewaltenteilung nicht zu Hongkong passe. Regierungschef Leung Chun-ying sagte etwas später zwar, Zhangs Äußerungen seien "missverstanden" worden, die Unabhängigkeit der Justiz Hongkongs stehe nicht in Frage. Aber trotzdem passt der Vorstoß Zhangs zur Linie Pekings, die Hongkonger ab und zu daran zu erinnern, wer letzten Endes das Sagen in ihrer "Sonderverwaltungsregion" hat.
Neue Bewegungen und Initiativen
Die Protagonisten der Protestbewegung wollen nicht von Resignation sprechen. So sagt Nathan Law, Studentensprecher der Universität von Hongkong, gegenüber der DW: "Ein Ergebnis der 'Regenschirm-Bewegung' ist immerhin, dass die Öffentlichkeit in Hongkong mehr Interesse an Politik zeigt. Viele Gruppen und Bewegungen sind seitdem entstanden. Wir alle wollen etwas Gutes für Hongkong tun."
Auch die bekannte Anti-Protest-Aktivistin Leticia Lee bestätigt, dass infolge der Protestbewegung neue politische Organisationen und sozialen Bewegungen aufgekommen seien. Aber Kern dieser "elegant verpackter" jungen Organisationen mit ihrer wohlklingenden PR sei nur Anti-Haltung: Gegen die Regierung, gegen das Hongkonger Grundgesetz und gegen das Prinzip "Ein Land, zwei Systeme".
Zwar räumt Law ein, dass die meisten Aktivisten zu ihrem früheren Leben zurückgekehrt seien. Trotzdem sei das demokratische Bewusstsein der Bürger geschärft worden, es werde mehr über die Zukunft der Demokratie nachgedacht.
Radikale Stimmen
Law spricht auch von einem größeren Verlangen nach Autonomie bis hin zur Unabhängigkeit, das in Hongkong spürbar sei. Das äußert sich bisweilen auch in solch radikalen Positionen wie die der Gruppe "Hongkong Indigenous", die für eine Hongkong-Identität in klarer Abgrenzung vom Festland China eintritt. Ihr Sprecher Ray Wong sagte der DW, dass es sich schon seit 2003 gezeigt habe, dass sogenannter ziviler Ungehorsam zum Scheitern verurteilt sei. Der Kampf für Demokratie dürfe aber nicht aufgegeben werden, die Zukunft Hongkongs werde "unter der chinesischen kommunistischen kolonialen Herrschaft" aufs Spiel gesetzt, so Wong. Gewalt gegen Gewalt wäre ein möglicher Ausweg.
Auf friedliche Methoden setzt dagegen der Hochschuldozent Chan Kin Man, einer der Gründer der Occupy-Central-Bewegung. Er hält Bewegung in der Medienlandschaft für wichtig, um die Ziele der Bewegung zu erreichen. Peking übt nach seiner Meinung immer mehr Einfluss auf Hongkong aus, einschließlich in den Bereichen Bildung und Medien. Einige neue Medienunternehmen hätten angesichts dessen versucht, sich unabhängig von traditionellen Konsortien zu machen und durch Crowdfunding an Kapital zu kommen. Das sei ein "erfreuliches Phänomen", so Chan Kin Man gegenüber der DW.
Andere Prioritäten des Normalbürgers
Und was denken die Hongkonger Bürger jenseits der dezidierten Pro- und Anti-Peking-Lager? Dazu hat eine Umfrage der Chinese Hongkong University, einer der drei großen Hochschulen der Stadt, folgendes ergeben: 60 Prozent sind dafür, dass sich die Regierung in den nächsten drei Jahren mehr um Wirtschaftsentwicklung und Lebensstandard als um politische Reformen kümmern soll. Trotzdem sprachen sich knapp 43 Prozent dafür aus, dass die jetzige Regierung einen neuen Anlauf im politischen Reformprozess machen sollte - was immer das konkret heißen mag.