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Politik

Erneut Angriff auf Rabbiner in Deutschland

31. Juli 2019

Schon wieder wird in Deutschland ein Rabbiner auf der Straße beleidigt und bespuckt. Die Europäische Rabbinerkonferenz sieht "das religiöse Miteinander in Deutschland" und die Religionsfreiheit bedroht.

Yehuda Teichtal orthodoxer Rabbiner
Bild: DW/C. Strack

"Das ist etwas Schreckliches, was niemand erleben sollte." Der Berliner Rabbiner Yehuda Teichtal ist kurzatmig, wenn er die Szene erzählt. Am vorigen Wochenende, berichtet er der Deutschen Welle, wurde er von zwei Männern auf Arabisch beschimpft und bespuckt. Der 47-Jährige kehrte in Begleitung von einem seiner Kinder von einem Synagogengottesdienst heim. "In dem Moment war mir einfach nur wichtig, mein Kind in Schutz zu nehmen", sagt er. Langsam wiederholt er den Satz.

Nach der Anzeige des Rabbiners nahm die Polizei Ermittlungen auf. Der Staatsschutz ermittelt. Die Täter wurden nach Angaben einer Polizeisprecherin noch nicht ermittelt.

In Auschwitz starben 63 Mitglieder seiner Familie

Nie in den letzten 75 Jahren waren in Deutschland so viele Rabbiner in Gemeinden tätig wie heute. Bild: picture-alliance/dpa

Teichtal ist das bekannteste Gesicht unter den jüdischen Geistlichen in Berlin. Er strahlt Lebensfreude und Frömmigkeit gleichermaßen aus. Ein orthodoxer Jude, der vorher im New Yorker Stadtteil Brooklyn lebte. Der 1972 geborene Teichtal kam 1996 mit seiner Familie nach Berlin.

Als er von der damaligen Entscheidung erzählt, ihn ins Land der Shoa zu schicken, spürt man rasch, was das für ihn bedeutete. "Mein Urgroßvater wurde in Auschwitz ermordet, insgesamt starben 63 Mitglieder der Teichtal-Familie. Aber mein Opa hat überlebt. Als es dann darum ging, dass ich nach Deutschland gehen sollte, sagte der: Das ist der richtige Ansatz. Gerade dort, wo es dunkel war, sollten wir positiv aufbauen."

Seit Jahren entzündet Rabbiner Teichtal im Dezember einen jüdischen Chanukka-Leuchter am Brandenburger Tor. Hier mit Bundespräsident Steinmeier 2018.Bild: Getty Images/A. Berry

Seit langem leitet Teichtal im Bezirk Wilmersdorf das Bildungszentrum der chassidischen Lubawitscher. Im Juni vorigen Jahres feierte er mit dem deutschen Außenminister Heiko Maas die Grundsteinlegung für einen lange geplanten "Jüdischen Campus". Seitdem kam immer wieder politische Prominenz vorbei.

Immer wieder Angriffe auf Rabbiner

Hamburgs Landesrabbiner Shlomo Bistritzky wurde im Juni attackiert. Und startete danach eine Aufklärungskampagne gegen Antisemitismus.Bild: picture-alliance/dpa/D. Bockwoldt

In diesem Jahr gab es in Deutschland bereits mehrere Angriffe auf jüdische Geistliche. Anfang April beklagte der Kölner Rabbiner  Yeciel Brukner massive verbale Angriffe in der Öffentlichkeit und kündigte an, nicht mehr mit Bus und Bahn zu fahren. Mitte Juni wurden in Hamburg auf Landesrabbiner Shlomo Bistritzky und ein Vorstandsmitglied seiner Gemeinde auf dem zentralen Hamburger Rathausmarkt angegriffen, beschimpft, bespuckt. Wie auch jetzt eine Attacke am hellichten Tag. Und in allen drei Vorfällen waren die Rabbiner an ihrer Kleidung klar als Juden zu erkennen. Auch  einfache Juden wurden attackiert. Zuletzt ein 25-jähriger Kippa-Träger am Wochenende am Potsdamer Bahnhof.

Die Europäische Rabbinerkonferenz (CER) zeigte sich schockiert über den erneuten Angriff auf einen Rabbiner in Deutschland. Er vertraue darauf, dass sich die Sicherheitsbehörden entschieden um Aufklärung des Falles bemühten, sagte CER-Generalsekretär, der Rabbiner Gady Gronich, der Deutschen Welle. Der Angriff in Gegenwart eines Kindes von Teichtal sei schäbig.  

"Bedrohung der Religionsfreiheit"

Viele Synagogen in Deutschland werden rund um die Uhr von der Polizei bewacht.Bild: picture-alliance/T. Rückeis

Gronich mahnte, dass die wiederholten Angriffe auf Rabbiner in Deutschland nicht nur eine Bedrohung und Herabwürdigung der einzelnen Geistlichen oder der jüdischen Gemeinschaft bedeuteten. "Diese Vorfälle bedrohen die Religionsfreiheit und das religiöse Miteinander in Deutschland und gefährden damit einen Wesenszug der deutschen Gesellschaft, die für ihre religiöse Pluralität bekannt ist", warnte er. Deshalb müsse es auch Aufgabe der gesamten Gesellschaft sein, sich dem Antisemitismus entgegenzustellen und Solidarität mit angegriffenen Rabbinern zu zeigen. Der CER-Generalsekretär verwies auch auf die in den vergangenen Jahren gewachsene Pluralität jüdischen Lebens in der deutschen Hauptstadt. Es sei wichtig, dass gläubige Juden sich in der Öffentlichkeit mit Kippa bewegen könnten, ohne Angst haben zu müssen. Dafür müsse der Staat sorgen.

Auch Teichtal hofft auf eine Reaktion der gesamten Gesellschaft. "Alle Menschen in Deutschland sollten die Zivilcourage haben, aufzustehen und zu sagen: Das wollen und werden wir nicht akzeptieren! Wir werden keine Akzeptanz für Inakzeptanz haben und keine Toleranz für Intoleranz."

Aber sein Auftreten in der Öffentlichkeit will er nicht ändern. Jetzt sei es wichtig, sagt Teichtal, dass "aus dem Negativen Positives entstehen kann". Ja, sagt er, viele Menschen seien in den vergangenen Jahren aus muslimisch geprägten Ländern nach Deutschland gekommen, die in ihrer Heimat nur Hass auf Juden gelernt hätten. Dem müsse der Staat mit mehr Bildung begegnen - und die Gesellschaft mit mehr Begegnung und Dialog.