In der Hauptstadt von Belarus sind wieder Zehntausende Menschen auf die Straße gegangen. Die Behörden hatten vor neuen Demonstrationen gewarnt. Aber viele ließen sich davon nicht einschüchtern.
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Zehntausende Menschen haben das vierte Wochenende in Folge in Belarus (Weißrussland) trotz beispielloser Drohungen der Behörden bei Massenprotesten den Rücktritt von Staatschef Alexander Lukaschenko gefordert. Die Polizei ging gegen friedliche Demonstranten vor. Uniformierte steckten vor allem Männer in Gefangenentransporter, wie auf Bildern und Videos zu sehen war. Allein in der Hauptstadt Minsk wurden bis zum Nachmittag laut Innenministerium 140 Menschen festgenommen. Medien berichteten auch in anderen Städten von vielen Festnahmen.
DW-Korrespondent Nick Connolly berichtete noch am Nachmittag aus Minsk: "Es herrscht eine seltsame Stille". "Hinter der leeren Straße sieht man ein Meer aus weiß-roten Fahnen und hört gelegentlich Schreie, 'schämt Euch'!"
Auch das Militär war wieder auf den Straßen, wie DW-Korrespondent Nick Connolly berichtete. Erstmals wurden Soldaten vor einer Woche bei den Demonstrationen eingesetzt.
Die Demokratiebewegung hatte trotz der Warnungen zum Protest aufgerufen. An seinem 66. Geburtstag an diesem Sonntag solle Präsident Alexander Lukaschenko sehen, dass das Volk gegen ihn und seine Zeit an der Macht nach 26 Jahren abgelaufen sei, hieß es. Die Sicherheitskräfte riegelten Lukaschenkos Wohnsitz ab, vor dem Wasserwerfer und Gefangenentransporter auffuhren.
Am vergangenen Sonntag hatten im Land Hunderttausende auf den Straßen protestiert. Die Polizei war nicht eingeschritten. Nach den Festnahmen, auch von Journalisten, und aufgelösten Protesten der vergangenen Tage wird aber erwartet, dass der Machtapparat eine neue Massendemonstration nicht zulässt.
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Lukaschenko wird Putin treffen
Unterdessen kündigte der Kreml an, dass sich angesichts des Machtkampfes in Belarus Lukaschenko und der russische Präsident Wladimir Putin in den kommenden Wochen in Moskau treffen werden. Ein genauer Zeitpunkt wurde nicht genannt. Die beiden Politiker hatten zuletzt mehrfach telefoniert, so auch an diesem Sonntag. Putin gratulierte demnach Lukaschenko zu seinem Geburtstag. Dabei bekräftigten beide Seiten nach Kreml-Angaben, das Bündnis der Nachbarn zu stärken und auszubauen.
Putin hatte Lukaschenko zuletzt demonstrativ den Rücken gestärkt und ihm zugesichert, im Falle einer Eskalation notfalls Sicherheitskräfte seines Innenministeriums ins Nachbarland zu schicken. In einem Interview des russischen Staatsfernsehens betonte er abermals, dass er keine Zweifel an Lukaschenkos Wahlsieg habe.
Die Präsidentenwahl vor genau drei Wochen war von massiven Fälschungsvorwürfen überschattet. Die Abstimmung steht international in der Kritik. Dennoch ließ sich der Staatschef mit 80,1 Prozent der Stimmen für eine sechste Amtszeit bestätigen.
Rückhalt in Gesellschaft schwindet
Immer mehr Personen des öffentlichen Lebens stellen sich gegen diese Abstimmung oder geben staatliche Orden oder Preise zurück. Nun haben mehr als 360 belarussische Sportler einen offenen Brief unterschrieben, indem sie Wahlfälschungen verurteilen und ein Ende der Polizeigewalt sowie eine Neuwahl fordern. Zu den Unterzeichnern gehören Medaillengewinner Olympischer Spiele und Mitglieder von Nationalteams.
Auch am Samstag gab es wieder landesweite Proteste. In Minsk zogen Tausende Frauen durch die Stadt. Die Sonderpolizei versuchte, den Marsch in Richtung Zentrum aufzuhalten und die Teilnehmer zu zerstreuen. Das Innenministerium sprach am Sonntag von 4000 Teilnehmern. Aktionen habe es an 42 Orten im Land gegeben. Daran hätten sich 8500 Menschen beteiligt. Auch Anhänger des Präsidenten versammelten sich. Dem Ministerium zufolge gab es insgesamt 29 Festnahmen, weniger als in den Tagen zuvor.
ust/haz (dpa, afp)
Revolution? Sag es mit Blumen!
Ob Rosen, Nelken oder Jasmin: Mit Blumen wird oft erfolgreich für Frieden und Freiheit gekämpft. Auch in Belarus gehen Menschen mit Blumen auf die Straße.
Bild: picture-alliance/dpa/TASS/N. Fedosenko
Mit Rosen für ein neues Belarus
Als Reaktion auf die brutale Niederschlagung der Demonstrationen nach der umstrittenen Wiederwahl des langjährigen Präsidenten Alexander Lukaschenko setzen Frauen in Belarus starke Friedenssymbole ein, um die Proteste weiterzuführen. Weiß gekleidet und mit Blumen in der Hand bildeten sie Ketten und marschierten durch die Straßen von Minsk, der Hauptstadt des Landes.
Bild: picture-alliance/dpa/V. Sharifulin
"Blumen sind besser als Patronen"
Auch in Polen gehen tausende Menschen auf die Straße - aus Solidarität mit den Demonstranten in Minsk. Im Nachbarland von Belarus fühlt man sich den Demonstranten und ihrem Wunsch nach Freiheit stark verbunden. Mit der sogenannten "Karta Polaka" erteilt Warschau seit 2008 vielen Belarussen eine Einreise- und Arbeitserlaubnis in Polen.
Bild: picture-alliance/Russian Look/C. Lisitsyn
Die Nelkenrevolution
Beinahe 50 Jahre herrschte in Portugal eine Militärdiktatur. Unter den Generalen Carmona und später Salazar herrschten Willkür, Folter und Pressezensur - bis 1974 Teile der Armee die damals älteste Diktatur Europas stürzten. Aus Freude über den fast unblutigen Aufstand steckten Lissaboner Bürger den Revolutionären rote Nelken an. Es folgte die sogenannte Dritte Demokratische Republik.
Bild: Herve Gloaguen/Gamma-Rapho/Getty Images
Die Jasminrevolution in Tunesien
Die zweite Revolution, die einem sofort einfallen könnte, wenn es um Blumennamen geht, ist die Jasminrevolution in Tunesien. Benannt ist sie nach der tunesischen Nationalblüte, dem Jasmin. Im Januar 2011 stürzten Demonstranten den autokratischen Herrscher Zine el-Abidine Ben Ali. Mehr als 20 Jahre hatte er das Land regiert - bis er vor den Protesten nach Saudi-Arabien floh.
Bild: AFP/Getty Images/F. Belaid
Der blühende "Arabische Frühling"
Der Volksaufstand der Tunesier machte den Anfang des "Arabischen Frühlings". Es folgten Ägypten, Libyen und viele weitere Staaten in Nordafrika und im Nahen Osten. Tunesien ist bis heute das Beispiel für eine geglückte Revolution. Auch wenn es in der Folge immer wieder zu Massenunruhen kam, gilt das Land als relativ stabil.
Bild: C. Furlong/Getty Images
Kein Frieden in Syrien
Ganz im Gegensatz zu Syrien, wo der von vielen Parteien geführte Bürgerkrieg immer noch andauert. Dieses Bild wurde im Mai 2013 aufgenommen. Das Foto zeigt einen kurdischen Rebellen in Aleppo. In seiner russischen AK-47 steckt auch eine Blume. Sieben Jahre später ist kein Ende des Konflikts abzusehen. Der Frieden scheint ferner denn je.
Bild: AFP/Getty Images
Jasmin in China
Ausgelöst durch die ersten Erfolge der Aufstände in der arabischen Welt, kam es auch in China 2011 zu Protesten. Die Teilnehmer nannten sie auch Jasminrevolution, obwohl die Blüten selten zu sehen waren. Auch mit Fresien war für die Regierung in Peking die Anspielung auf die Ereignisse in Tunesien leicht zu verstehen. Die Behörden reagierten prompt und zensierten im Internet das Wort "Jasmin".
Bild: picture-alliance/dpa/How Hwee Young
Rosenrevolution in Georgien
Weniger bekannt ist vielleicht, dass es auch in Georgien eine Blumenrevolte gab - und zwar die sogenannte "Rosenrevolution" im Jahr 2003. Sie führte zum Rücktritt von Präsident (und Ex-Außenminister der Sowjetunion) Eduard Schewardnadse. Die Demonstranten hatten ein Zitat des ersten georgischen Präsidenten wörtlich genommen: "Wir werden Rosen statt Kugeln auf unsere Feinde werfen."
Bild: picture-alliance/AP Photo/S. Aivazov
Tulpenrevolution in Kirgisien
Nach den Parlamentswahlen im Februar 2005 kam es in Kirgisien zum Massenaufstand, der zum Sturz von Präsident Akajew führte. Die Aufständischen traten unter dem Symbol der Opposition an, der Gebirgstulpe. Es blieb weiter unruhig, bis Kirgisien 2010 zur parlamentarischen Republik wurde. Menschenrechtsorganisationen beklagen jedoch nach wie vor Einschränkungen der Presse- und Meinungsfreiheit.
Bild: AFP/Getty Images/V. Drachev
Blumen in Thailand
Während der Proteste 2013 kam die thailändische Regierung auf die Idee, das übliche Ritual einmal umzudrehen und Polizisten Blumen an die Demonstranten verteilen zu lassen. Nach einem monatelangen Machtkampf zwischen den regierungstreuen Rothemden und oppositionellen Gelbhemden, kam es 2014 schließlich zum Militärputsch. Seitdem herrscht in Thailand offiziell das Kriegsrecht.
Bild: C. Archambault/AFP/Getty Images
Von Blumen und Farben
Neben den Blumenrevolutionen gibt es übrigens auch die "Farbrevolutionen". Dazu zählen neben der Orangenen Revolution in der Ukraine auch die Tulpen- oder Rosenrevolution. Dass Blumen eine politisch-kämpferische Kraft zugesprochen wird, reicht natürlich viel weiter zurück; man denke an die rote Rose der Sozialdemokratie oder die 68er, die mit Blumen im Haar gegen den Vietnamkrieg protestierten.