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Ersatz für eine ausgestorbene Tierart

Brigitte Osterath19. August 2013

Was tun, wenn eine Art unwiederbringlich verloren ist? Naturschützer haben einen wahnwitzigen Plan: Ähnliche Arten einführen, die den leeren Platz im Ökosystem füllen. Auf Mauritius scheint das zu funktionieren.

Eine Aldabra-Riesenschildkröte (Foto: Rainer Dückerhoff)
Umgesiedelt: Die Seychellen-RiesenschildkröteBild: Rainer Dückerhoff

Wenn Naturschützer eines fürchten, dann sind es eingeschleppte Arten: Tiere oder Pflanzen, die absichtlich oder versehentlich in ein fremdes Ökosystem gelangt sind. Wenn sie sich dann auch noch unkontrolliert vermehren und mit einheimischen Arten um Nahrung und Lebensraum konkurrieren, sind sie besonders verhasst. Oft sind die Besucher nur schwer wieder loszuwerden - wenn überhaupt.

In Australien breitete sich die Aga-Kröte aus Südamerika explosionsartig über das ganze Land aus, nachdem man sie eingeführt hatte, um schädlichen Insekten auf Zuckerrohrplantagen zu kontrollieren. In Neuseeland vermehren sich die Kusus, Beuteltiere aus Australien, ungehemmt und zerfressen Bäume und Sträucher. Einst wurden sie zur Fellgewinnung eingeführt, jetzt sind sie eine Plage. In Europa und den USA hat sich der asiatische Marienkäfer breitgemacht und verdrängt zunehmend die einheimischen Marienkäferarten.

Aber manchmal sind neue Arten auch willkommen. Beispielsweise auf einer Insel, südöstlich von Mauritius. Dort haben Naturschützer eine fremde Art jetzt sogar selbst eingeführt.

Willkommene Gäste

Auf der kleinen Insel Ile aux Aigrettes arbeiten die Naturschützer seit drei Jahrzehnten daran, Mauritius' ursprüngliches Ökosystem wiederherzustellen. Sie haben die meisten nicht-einheimischen Pflanzen und Tiere wie Ratten, Kaninchen und Ziegen, ausgemerzt und den mauritischen Wald wieder angepflanzt.

Die Insel Ile aux Aigrettes vor der Küste Mauritius ist ein NaturschutzgebietBild: Rainer Dückerhoff

Heute ist die Insel ein Zufluchtsort für alteingesessene Vögel, Reptilien und Pflanzen, die nur auf Mauritius und sonst nirgendwo auf der Welt vorkommen: Die Naturschützer haben sie auf Ile aux Aigrettes wieder angesiedelt.

Aber nicht alle Arten gehören auch tatsächlich hierher: Vikash Tatayah und sein Team von der Mauritian Wildlife Foundation (MWF) haben außerdem Aldabra-Riesenschildkröten von der über 1000 Kilometer entfernten Inselgruppe der Seychellen hergebracht.

Wer auf der 25 Hektar großen Naturschutzinsel spazieren geht, kann sie nicht verfehlen: 23 der über ein Meter großen Tiere bewegen sich gemächlich voran, paaren sich und legen Eier. Viele Babyschildkröten sind bereits geschlüpft. "Natürlich lautet unser Konzept normalerweise, fremde Arten aus Ökosystemen fern zu halten", erzählt Vikash Tatayah, "aber in diesem Fall sagen wir: Nein, bringt sie her!"

Fortpflanzungshelfer

Mauritius hat durch die Besiedlung des Menschen extrem gelitten: Zahlreiche Arten sind ausgestorben. Das berühmteste Beispiel ist der Dodo, der flugunfähige Vogel, der durch "Alice im Wunderland" berühmt wurde.

Auch die zwei Riesenschildkrötenarten, die es einst auf Mauritius gab, sind für immer verschwunden. Dass es sie nicht mehr gibt, hat negative Auswirkungen auf das Ökosystem: Denn die Riesenschildkröten halfen dabei, Pflanzensamen zu verbreiten und Unkraut in Schach zu halten.

Einige bedrohte Baumarten können sich nur dann ausreichend gut vermehren, wenn ihr Samen zuvor durch den Darm einer Riesenschildkröte gewandert ist: Wenn die Schildkröte den Samen verdaut, wird die Samenschale entfernt. Erblickt der Samen dann mit dem Kot wieder das Tageslicht, kann er leichter keimen. Dabei ist es egal, ob es die einheimische Schildkrötenart ist oder eine ähnliche Art von den Seychellen. "Diese eingeführte Schildkrötenart übernimmt genau die Funktion, die auch die einheimische Art übernommen hätte", sagt Tatayah.

Seychellen-Riesenschildkröten gibt es jetzt auch auf MauritiusBild: picture-alliance/dpa

Umstrittenes Konzept

Nicht nur auf Ile aux Aigrettes haben Naturschützer "Ersatzschildkröten" eingeführt, sondern auch auf anderen mauritischen Inseln und auf den Galapagos-Inseln. Viele Forscher unterstützen das Konzept. So schreiben Christine Griffiths und ihre Kollegen von der Universität Bristol im Fachmagazin "Conservation Biology": "Eingeführte Schildkröten halten nicht-einheimische Pflanzen sehr viel kosteneffektiver in Schach als das Unkrautjäten per Hand."

Einige Forscher warnen jedoch, dass ein solches Experiment auch leicht schiefgehen kann. Annika Waibel von der Universität Zürich und ihr Team haben beobachtet, dass eingeführte Riesenschildkröten es nicht nur einheimischen, sondern auch fremden, unerwünschten Pflanzenarten einfacher machen, zu keimen und sich zu verbreiten.

Auf Pinta Island in Galapagos haben Elizabeth Hunter und ihre Kollegen von der State University in New York beobachtet, dass eingeführte Riesenschildkröten ganz andere Gebiete auf der Insel bevorzugen als die einheimischen Arten. Sie fressen daher auch andere Pflanzen. Damit seien die eingeführten Arten kein äquivalenter Ersatz.

Uwe Fritz von der Senckenberg­-Gesellschaft für Naturforschung in Dresden stimmt zu, dass eingeführte Arten unerwünschte Nebenwirkungen haben können. Im Falle der Riesenschildkröte sei "das Risiko aber sicher beherrschbar", sagt er. "Es ist wohl kaum zu befürchten, dass es auf Mauritius eine Riesenschildkrötenplage geben wird." Dafür vermehrten sich die Riesen zu langsam. "Außerdem können sie im Notfall auch leicht wieder entfernt werden."

Mehr als Riesenschildkröten

Die Idee, ausgestorbene Arten durch andere zu ersetzen, endet nicht bei Riesenschildkröten. In Deutschland und Zentraleuropa beispielsweise nehmen Heckrinder den Platz des ausgestorbenen Auerochsen ein, dem Urvater aller Hausrindrassen.

Heckrinder sind dem Auerochsen ähnlich und sollen wie er den Strauchbewuchs in Schach haltenBild: CC BY-SA 3.0

Die Auerochsen lebten einst in Europa, Asien und Nordafrika, bis sie im 17. Jahrhundert verschwanden. Die deutschen Brüder Lutz und Heinz Heck - Direktoren der zoologischen Gärten in München beziehungsweise Berlin - machten sich im letzten Jahrhundert daran, den Auerochsen aus modernen Rinderrassen zurückzuzüchten.

Allerdings ist das nicht ganz gelungen: Heckrinder sind kleiner und massiger als der Auerochse. Aber sie übernehmen die gleiche Funktion, erklärt Uwe Fritz: "Wenn sie grasen, halten sie die Landschaften offen und hindern Büsche und Bäume daran, unkontrolliert zu wachsen." Kritiker sagen jedoch, dass das einheimische Wisent diese Funktion viel besser übernehmen könnte.

Auf Ile aux Aigrettes jedenfalls ist die Einführung der Riesenschildkröten ein Mega-Erfolg, berichtet Vikash Tatayah. Er denkt jetzt sogar darüber nach, noch weitere Arten einzuführen, etwa Rallen, flugunfähige Vögel von den Seychellen. Die mauritischen Rallen sind nämlich auch ausgestorben.

Allerdings lassen sich nicht alle Arten ersetzen. Für den Dodo, den berühmten flugunfähigen Vogel, der einst auf Mauritius lebte, kennen Naturschützer und Forscher bisher keinen passenden Vertreter. Sein Platz im Ökosystem von Mauritius bleibt vermutlich für immer unbesetzt.

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