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PolitikEuropa

EU und Briten vereinbaren Brexit-Nachschlag

13. Dezember 2020

Wieder eine Frist verstrichen, wieder geht es weiter im Brexit-Zank zwischen der EU und Großbritannien. Chancen auf Einigung oder pure Verzweiflung? Bernd Riegert aus Brüssel.

Brüssel EU | Brexit | Ursula von der Leyen, Präsidentin der Europäischen Kommission
Von der Leyen: Es geht weiter. Keine neue Frist gesetzt. Bild: Olivier Hoslet/REUTERS

Trotz der Erschöpfung nach einem Jahr Verhandlungen und den vielen nicht beachteten Fristen seien sie und der britische Premierminister Boris Johnson übereingekommen, dass "es zu verantworten sei, noch einen weiteren Versuch zu wagen."

So beschrieb die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am Sonntagmittag das Ergebnis ihres neuerlichen Telefongesprächs mit Boris Johnson. Das "nützliche und konstruktive" Telefonat hatte ergeben, dass es sich lohnt, die Verhandlungen über ein Handelsabkommen zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich fortzusetzen.

In den vergangenen 48 Stunden hatten Michel Barnier für die EU und David Frost für Großbritannien in Brüssel Tag und Nacht durchverhandelt, um noch eine Annäherung in den letzten drei verbliebenen Streitpunkten hinzubekommen. Ob es bei den Themen gleiche Wettbewerbsbedingungen, Streitschlichtung und Fischerei substanzielle Fortschritte gab, teilte Ursula von der Leyen in ihrer kurzen Stellungnahme nicht mit.

Der britische Premierminister Boris Johnson sagte in einem Fernsehinterview, beide Seiten seien noch sehr weit auseinander. "Wir es weiter versuchen, das erwartet das Land von uns", sagte Johnson. Großbritannien werde den Verhandlungstisch nicht verlassen.

Das letzte persönliche Treffen zwischen Johnson (li.) und von der Leyen am Mittwoch brachte keinen FortschrittBild: Olivier Hoslet/AFP

Noch 18 Tage

Es bleiben noch 18 Tage für weitere Verhandlungen. Mit Ablauf des 31. Dezembers würden Großbritannien und Nordirland ohne Abkommen aus dem Binnenmarkt und allen bisherigen Übergangsregeln ausscheiden. Da sowohl das britische Parlament als auch das Europäische Parlament einem Abkommen noch zustimmen müssten, wird wegen der Sitzungspausen allerdings der 26. oder 28. Dezember als letzte Frist angesehen.

Den "harten" Brexit wollte die EU wegen der unabsehbaren wirtschaftlichen Folgen in der ohnehin schon herrschenden Corona-Rezession eigentlich vermeiden. In den letzten Tagen hatten sowohl die EU-Kommission als auch die britische Regierung den harten Ausstieg ohne Abkommen als die wahrscheinlichere Variante bezeichnet.

Tag und Nacht wird in der Brüsseler EU-Zentrale verhandelt. Wie es steht, ist unklar.Bild: John Thys/AFP

Der Präsident des Europäischen Rates, Charles Michel, erklärte in Brüssel, es müsse alles getan werden, um noch einen "Deal" zustande zu bringen. Auch der britische Premier Boris Johnson hatte angekündigt, er werde nichts unversucht lassen, um eine Einigung möglich zu machen.

Die EU und die britische Regierung verlangten aber jeweils von der Gegenseite, ihre Positionen aufzugeben. Die EU besteht auf gleichen Wettbewerbsbedingungen und Zugang zu britischen Fischgründen. Premier Johnson pocht auf die Souveränität des Küstenstaates Großbritannien, der wieder "Kontrolle über seinen Fisch" erlangen müsse.

Die 27 Mitgliedsstaaten der EU hatten sich beim Gipfeltreffen am Donnerstag noch einmal hinter das Verhandlungsmandat für den Chefunterhändler Michel Barnier gestellt. Von Premierminister Johnson erbetene Telefonate mit der deutschen Bundeskanzlerin und dem französischen Präsidenten lehnten beide ab. Stattdessen wurde Johnson am Mittwoch persönlich von EU-Kommissionspräsidenten von der Leyen empfangen. Sie bleibt auch weiter seine Ansprechpartnerin.

Heikles Thema Fisch: Nationaler Stolz ohne wirkliche wirtschaftliche BedeutungBild: Getty Images/B. Stansall

Attacken auf Merkel

In der britischen Presse wird Bundeskanzlerin Merkel erneut vorgehalten, sie sei "Frau Nein" und verhindere einen Deal mit den Briten. "Merkel will, dass Britannien über Glasscherben kriecht", soll eine Quelle in der Regierung verschiedenen Zeitung gesagt haben.

Die "Mail on Sunday" warf der Bundeskanzlerin vor, sie herrsche autoritär und schätzte die Briten völlig falsch ein, weil sie glaube, sie würden nachgeben. Angela Merkel hatte sich am Sonntag nach einer Videokonferenz mit den Bundesländern zur Pandemie zum Brexit-Marathon geäußert. Es müsse alles versucht werden, eine Lösung zu finden, sagte Merkel. "Jede Möglichkeit zu einem Ergebnis zu kommen, ist hoch willkommen."

Merkel will nichts unversucht lassen, um doch noch ein Abkommen zu zimmernBild: Bernd von Jutrczenka/dpa/picture alliance

Positiv wurde gewertet, dass die EU-Kommission und das Büro des Premierministers in London gleichlautende Stellungnahmen veröffentlicht hatten. Das britische Kabinett beschloss nach einer Sondersitzung am frühen Nachmittag, die Verhandlungen mit der EU fortzusetzen.

Der irische Außenminister Simon Coveney schrieb im Kurznachrichtendienst Twitter, es sei gutes Signal, dass es eine gemeinsame Stellungnahme gebe. Einen Deal zu finden, sei sicherlich sehr schwer, aber nicht unmöglich. "Wir müssen die Nerven behalten und den Unterhändlern die Zeit geben, sich langsam vorzuarbeiten", schrieb Coveney.

Auch ohne Abkommen sollen die Züge weiter durch den Kanal-Tunnel rollenBild: Getty Images/AFP/D. Charlet

"Wir sind bereit"

Die EU-Kommission legte vier Notfall-Vereinbarungen vor, die im Falle eines "No-deals" greifen sollen, um Schiffs-, Eisenbahn- und Flugverkehr in den nächsten sechs Monaten aufrecht zu erhalten. Außerdem sollten sich beide Seiten Zugang zu ihren Seegebieten gewähren.

Der britische Premierminister sagte in London, sein Land sei auf einen Ausgang ohne Vertrag und die Regeln der Welthandelsorganisation  vorbereitet. "Wir sind bereit", sagte Johnson. Nach britischen Medienberichten sollen britische Kriegsschiffe in Bereitschaft versetzt werden, um vom 01. Januar an, das Eindringen von europäischen Fischerbooten in britische Gewässer zu verhindern.

In den Hafenstädten Calais und Dover stauen sich bereits jetzt die Lkw. Die Unternehmen versuchen noch möglichst viele Waren austauschen, bevor im Januar möglicherweise Zölle, Abgaben und eine Menge Verwaltungsaufwand fällig werden.

Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union
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