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Politik

Kinder von IS-Kämpfern zurück in Deutschland

19. August 2019

Vertreter Deutschlands haben in Nordost-Syrien vier von mutmaßlichen deutschen IS-Kämpfern stammende Waisenkinder entgegengenommen. Laut Bundesaußenminister Maas will Deutschland weitere Kinder übernehmen.

Syrien, verschleierte Frauen
Bild: Getty Images/D. Souleiman

Am irakisch-syrischen Grenzübergang Simalka im Nordosten Syriens haben kurdische Behördenvertreter vier Kinder von deutschen Kämpfern der Dschihadistenmiliz Islamischer Staat (IS) an eine Delegation aus Deutschland übergeben. Drei der vier Kinder hätten Mutter und Vater verloren, ein weiteres Kind habe keinen Vater mehr, sagte Fanar Kait, in der kurdischen Selbstverwaltung für auswärtige Angelegenheiten zuständig, bei einer Pressekonferenz am Grenzübergang. Weil das Kind schwer krank sei, habe die Mutter der Ausreise zugestimmt.

"Ich kann bestätigen, dass vier Kinder, die sich bislang in Nordsyrien in Gewahrsam befunden haben, Syrien verlassen konnten", erklärte ein Sprecher des Auswärtigen Amtes gegenüber der DW. "Die Kinder wurden an der irakisch-syrischen Grenze von Mitarbeitern des Generalkonsulats Erbil in Empfang genommen und werden an die Angehörigen übergeben. Von dort aus reisen Kinder und Angehörige nach unserer Kenntnis nach Deutschland aus."

Die kurdische Nachrichtenagentur "Rudaw" hatte zuvor berichtet, Deutschland werde rund 100 Kinder mutmaßlicher IS-Kämpfer aufnehmen. Am Montag bestätigte Außenminister Heiko Maas in Berlin, dass Deutschland weitere Rückführungen plant: "Wir werden uns dafür einsetzen, dass auch weitere Kinder Syrien verlassen können", so Maas. "Es handelt sich im Wesentlichen um Kleinkinder. Deren Unterbringung dort ist alles andere als optimal. Sie können auch nicht für die Taten ihrer Eltern verantwortlich gemacht werden, und deshalb wollen wir dort helfen."

Eine Mutter mit ihrem Kind im Gefangenenlager Al-Hol in Nordost-SyrienBild: Getty Images/D. Souleiman

Nordost-Syrien: Tausende mutmaßliche IS-Kämpfer in Haft

Nach Schätzungen des in Nordost-Syrien ansässigen "Rojava Information Center" (RIC) befinden sich derzeit rund 14.500 mutmaßliche ausländische IS-Kämpfer sowie deren Angehörige - meist Ehefrauen und Kinder - in der Region. Demnach handelt es sich um 1000 Kämpfer sowie 13.500 Frauen und Kinder. Die Gefangenen sind auf mehrere Lager aufgeteilt. Die meisten befinden sich im Lager Al-Hol.

Die meisten der mutmaßlichen, ausländischen IS-Kämpfer - zwischen 400 und 450 - sollen nach Angaben des RIC aus Frankreich stammen, gefolgt von denen aus Deutschland, deren Zahl auf mindestens 183 geschätzt wird. Danach folgen Kämpfer aus Schweden (rund 120), Australien (etwa 70), dem Vereinigten Königreich (ca. 56), Belgien (54) sowie Indonesien und Malaysia.

Seit dem Jahr 2015 verlor das so genannte "Kalifat" des IS kontinuierlich an Terrain. Zugleich wurden immer mehr IS-Kämpfer gefangen genommen. Die von der Internationalen Anti-IS-Koalition unterstützen "Demokratischen Kräfte Syriens" fordern von den Heimatländern der IS-Kämpfer seit langem, diese zurückzunehmen. Die Kurden, auf deren Gebiet die meisten IS-Kämpfer und ihre Angehörigen inhaftiert sind, verweisen auf die Kosten der Inhaftierung sowie die mangelhaften hygienischen Bedingungen in den Lagern, die für so viele Häftlinge nicht ausgelegt sind. Außerdem bestehe in den überfüllten Lagern die Gefahr weiterer Radikalisierung.

Verhandlungen über Rückkehr in Heimatstaaten

Zwar verhandelten Vertreter der Kurden und der Heimatländer der mutmaßlichen IS-Kämpfer wiederholt über eine Rücknahme, doch kam es kaum zu erfolgreichen Übergaben. "Im Westen schien die Öffentlichkeit nur geringe Lust auf solche Rückführungen zu haben", heißt es in einer Studie des "Rojava Information Center". Doch es gibt Ausnahmen: So haben die USA inzwischen die meisten ihrer als Kämpfer verhafteten Staatsbürger zurückgenommen. Auch Russland nahm zahlreiche Kämpfer zurück. Doch die meisten inhaftierten Kämpfer befinden sich immer noch in Nordost-Syrien.

Das Lager Al-Hol in Nordost-SyrienBild: Getty Images/AFP/D. Souleiman

Dieser Umstand brachte die Kurden in Bedrängnis. "Im Moment gibt es zwei Möglichkeiten", sagte Abdualkarim Omar, Ko-Direktor des Büros für internationale Angelegenheiten der Provinz Ost-Syrien, im April 2019. "Die eine wäre, dass die Länder ihre Bürger zurücknehmen. Aber derzeit tut dies kein Land auf der Welt. Die andere Möglichkeit ist, diese Menschen hier vor Gericht zu bringen und die Rehabilitierung durchzuführen. Auch diese Möglichkeit erfordert internationale Unterstützung. Das Problem ist viel größer als allgemein angenommen."

Diskussion um juristischen Umgang mit zurückgekehrten IS-Kämpfern

Deutschland hat nun nach einem entsprechenden Urteil des Berliner Verwaltungsgerichts vom Juli 2019 die ersten Kinder zurückgeholt. Noch offen ist, unter welchen Umständen auch mutmaßliche Kämpfer zurückgeholt werden können. Diskutiert wird der Plan, künftigen IS-Kämpfern unter gewissen Bedingungen die deutsche Staatsbürgerschaft zu entziehen.

Dafür allerdings müssten drei Bedingungen erfüllt sein: Erstens müsse die Person eine zweite Staatsangehörigkeit besitzen. Die Allgemeinen Menschenrechte der Vereinten Nationen verbieten es, Menschen einfach so staatenlos zu machen. Zweitens müsse die betreffende Person volljährig sein, Kinder sollen nicht ausgebürgert werden dürfen. Und drittens soll die Regel nicht rückwirkend gelten, sondern nur für die Zukunft.

Die Opfer: Jesidinnen mit mutmaßlich von IS-Kämpfern ermordeten AngehörigenBild: Getty Images/AFP/T. Kienzle

Der Rückführung von IS-Kämpfern in ihre jeweiligen Heimatländer stehen mehrere Schwierigkeiten entgegen - vor allem aber Sicherheitsbedenken der Herkunftsstaaten. Die meisten IS-Kämpfer gelten als Gefahr für die öffentliche Sicherheit. In einigen Ländern sind auch Teile der Öffentlichkeit gegen eine Rückführung. Der Verbleib im Ausland gilt vielen Bürgern als angemessene Strafe. Eine Rückkehr haben die IS-Kämpfer nicht verdient, so der Tenor.

Außerdem verfügen die Gerichte mancher Länder - so auch in Deutschland - nicht über genügend Juristen, um die Vielzahl der zu erwartenden Prozesse bewältigen zu können. Die Gerichte sehen sich zudem der Schwierigkeit gegenüber, stichhaltige Beweise für die im Ausland begangenen mutmaßlichen Verbrechen der Angeklagten in die Hand zu bekommen. So kämen diese im Zweifel straffrei davon.

Unsicherheit besteht in auch darüber, wie die Präsenz von Frauen in dem ehemaligen IS-Gebiet juristisch zu bewerten ist. An welchem Punkt, so die Kernfrage, beginnt die Unterstützung einer kriminellen Vereinigung?

Doch wie immer auch die Schwierigkeiten aussehen, um die aus Deutschland stammenden Angeklagten werden sich am Ende deutsche Gerichte kümmern müssen. "Letztlich", sagt der Kölner Strafrechtler Björn Schiffbauer, "haben wir hier eine Zuständigkeit."

Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika