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Politik

Erste Lokalwahlen in Nepal seit 20 Jahren

Hans Spross
27. Juni 2017

Auch über zehn Jahre nach dem Ende des blutigen Bürgerkriegs wird in Nepal oftmals über die Köpfe der Bürger hinweg regiert. Die erstmals wieder abgehaltenen Lokalwahlen sollen demokratischen Fortschritt bringen.

Schlange vor Wahllokal bei Kathmandu (Foto: Reuters/N. Chitrakar)
Bild: Reuters/N. Chitrakar

Sie gelten als wichtiger Schritt für die demokratische Entwicklung Nepals: Die ersten Lokalwahlen in dem Land am Himalaya seit 20 Jahren. Die erste Phase fand im Mai statt. Dabei wählten die Bewohner des bergigen Hochlands. Die zweite Phase soll diesen Mittwoch durchgeführt werden, und zwar in den Wahlbezirken im südlichen Flachland. Die Aufteilung der Wahlen in zwei Phasen wurde aus Furcht vor Unruhen beschlossen und verweist damit auf einen wesentlichen Stolperstein der politischen Entwicklung des Landes.

Knapp die Hälfte der Gesamtbevölkerung Nepals von 28 Millionen lebt in einem Tiefland-Streifen entlang der Grenze zu Indien, dem sogenannten Terai. Die Wahlen werden im Tiefland nicht unbedingt als Chance für mehr Partizipation gesehen, sondern als Baustein weiterer Diskriminierung. Denn die Lokalwahlen sind die erste Stufe eines politischen Prozesses mit Parlamentswahlen zum Jahresende, der mit der endgültigen Inkraftsetzung der umstrittenen und von Aktivisten des Tieflands abgelehnten Verfassung seinen Abschluss finden soll.

Traditionelles Leben im Terai im Süden NepalsBild: picture alliance/blickwinkel/S. Meyers

Die Benachteiligten des Tieflands

Obwohl die Bevölkerung im Terai aus über 120 Ethnien und Hindu-Kasten besteht, werden die Bewohner in der politischen Debatte zusammenfassend als Mahdesis bezeichnet. Seitdem Nepal Anfang der 90er Jahre - noch unter der Monarchie, die erst 2008 abgeschafft wurde -  den Übergang zu einem Mehrparteien-Regierungssystem begann, haben Madhesi-Aktivisten versucht, ihre Interessen stärker in der nationalen Politik einzubringen. Die traditionelle Diskriminierung der Bewohner des Terai hält aber bis heute an, wie Julia Strasheim vom Hamburger GIGA-Institut für Asien-Studien gegenüber der DW sagt: "Die politische und wirtschaftliche Macht in Nepal liegt schon lange bei einer Gruppe im Land. Das sind Hindus aus den hohen Kasten, vor allem Männer, aus dem zentralen Bergland. Die Madhesis fühlen sich zu recht benachteiligt, wenn es um gutbezahlte Jobs geht, etwa in der Verwaltung oder beim Militär. Sie sind auch eher Opfer von Menschenrechtsverletzungen durch die Polizei."

Eine Folge der verheerenden Erdbeben vom Frühjahr 2015 war die plötzliche Einigung auf eine neue Verfassung Bild: picture-alliance/dpa/N. Shrestha

Die Wut der Madhesis über die Zentralregierung entlud sich zuletzt im September 2015: Alle großen Parteien hatten sich überraschend - während das Land noch unter dem Schock des verheerenden Erdbebens vom Frühjahr stand - auf eine seit langem versprochene neue Verfassung geeinigt. Wochenlang blockierten aufgebrachte Tiefland-Bewohner die Grenze zu Indien, was zu Treibstoffmangel und wirtschaftlichen Einbußen im Lande führte. Bei gewaltsamen Zusammenstößen mit Sicherheitskräften kamen bis zu 50 Personen ums Leben. Julia Strasheim erläutert die Hintergründe: "Nach dem Ende des Bürgerkriegs in Nepal 2006 gab es sehr wichtige Fortschritte, auch weil die ehemaligen maoistischen Rebellengruppen sich stark für Minderheitenrechte eingesetzt hatten. Die Madhesis und andere Gruppen sehen durch die Verfassung von 2015 diese Fortschritte aber wieder rückgängig gemacht."

Umstrittene Provinzgrenzen und andere Beschwerden

Insbesondere die Grenzziehung in dem neuen föderalen System wird von den Madhesis abgelehnt. Denn die Grenzen der neuen sieben Provinzen zerstückeln die von den Bewohnern als ihr angestammtes Heimatland betrachteten Gebiete, so dass sie in fast jeder dieser Provinzen in der Minderheit sind, womit auch ihr politischer Einfluss reduziert wird. "Nach 2006 gab es zwar feste Quoten für Madhesis im Parlament, aber die sind später durch kleinteilige Formulierungen  in der Verfassung wieder aufgeweicht worden", sagt Julia Strasheim. Eines der Gesetze, gegen das die Tiefland-Bewohner besonders heftig protestieren, ist das neue Gesetz über die Staatsbürgerschaft. "Es benachteiligt Kinder aus Mischehen, die vor allem im Terai verbreitet sind, weil viele familiäre Bande nach Indien bestehen", wie Volker Pabst in einer Reportage für die NZZ schreibt.

Julia Strasheim: Bislang hat kein echter Dialog mit den Tiefland-Bewohnern stattgefunden Bild: GIGA Hamburg

Echte Dialogbereitschaft fehlt

Nepal ist immer noch eine Nation im Werden, ein Prozess, bei dem die vor allem an Machtspielen interessierten Politiker des Landes eine wenig konstruktive Rolle spielen. Das trifft auf die früheren Rebellen der Maoisten ebenso zu wie auf die nominell kommunistischen Parteien und die nepalesische Kongress-Partei. Nepal-Kennerin Julia Strasheim meint, dass es bei vielen der Konflikte gar nicht in erster Linie auf einzelne Formulierungen ankomme: "Es geht sehr stark um den Prozess, wie das Gesetz entsteht. Und da ist sehr viel schiefgelaufen. Madhesis und andere benachteiligte Gruppen wurden von vielen Diskussionen in der Verfassungsgebung ausgeschlossen, ihre Position wurde nicht respektiert, Politik und Medien haben ihre Proteste sehr abfällig kommentiert: Sie seien gar keine richtigen Nepalis, warum wollen sie denn mitreden?, wurde gefragt. Ihnen wurden Gesetze einfach vor die Nase gesetzt. Um den Konflikt zu lösen, ist also ein viel stärker auf Inklusion setzender Dialog nötig, der allen Volksgruppen zeigt: Wir respektieren euren Standpunkt."

Bislang ist keine Annäherung erkennbar, auch aus dem Tiefland ist die Ablehnung gegen die Politik von "denen da oben" stark verwurzelt. Wie schon früher gibt es im Flachland Boykottdrohungen gegen die Wahlen. Deshalb wurden sie in einem Wahlbezirk im Osten des Terai bei Janakpur sogar nochmals verschoben, in den September 2017.

Polizisten stehen Protestierenden im Süden Nepals gegenüber Bild: picture-alliance/AP Photo/Jiyalal Sah

Boykottaufrufe und geänderte Haltung Indiens

"Der Wahlprozess stellt die Parteien, die behaupten, die Interessen der Mahdesis zu vertreten, vor ein großes Dilemma", sagt Julia Strasheim. "Denn der erste Wahlgang im Mai wurde von denjenigen, die gewählt haben, als großer Erfolg gesehen, wovon ich mich damals vor Ort in der Nähe von Kathmandu überzeugen konnte. Das spiegelte sich auch in der Wahlbeteiligung wider, die über 70 Prozent betrug. Wenn die Madhesi-Parteien die Wahlen und den Verfassungsprozess weiter boykottieren und stören, könnten sie sich weiter marginalisieren, weil sie sich damit gegen die Stimmung im Rest des Landes stellen."

Nicht zuletzt sind es regionale außenpolitische Veränderungen, die den Madhesi-Aktivisten ihre Sache schwer machen: "Die Unterstützung Indiens scheint zu schwinden", meint Julia Strasheim. "Neu Delhi hat in den letzten Jahren diese Madhesi-Proteste sehr stark unterstützt, was im Herbst 2015 zu einer fünfmonatigen Blockade der Grenze führte. Indien hat aber jetzt die Unterstützung für die Lokalwahlen bekundet und gesagt: Wir sind dafür, dass dieser Prozess geordnet beendet wird."

Der 70jährige Sher Bahadur Deuba von der Kongress-Partei ist bereits zum vierten Mal in seiner langen Karriere Regierungschef in Nepal und der 25. in 27 JahrenBild: Picture alliance/Zumapress/S.Sharma

Der neue Ministerpräsident Sher Bahadur Deuba von der Kongress-Partei hat die Integration der Madhesis in den politischen Prozess zu seiner obersten Priorität erklärt. Er strebt dafür Änderungen der Verfassung an, um den Anliegen der Bevölkerungsgruppen im Tiefland entgegenzukommen. Damit wäre die Voraussetzung für einen planmäßigen Abschluss des Wahl-  und Verfassungsprozesses in Nepal bis zum kommenden Frühjahr gegeben. Die Frage ist, ob Deuba dafür eine möglichst breite Zustimmung der wichtigsten politischen Kräfte im Parlament erhält, oder ob doch wieder die altbekannten taktischen Spiele um Macht und Prestige die Oberhand gewinnen.

 

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