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Politik

Mehr als 70 Millionen auf der Flucht

19. Juni 2019

Die Zahl der Flüchtlinge ist einem UN-Bericht zufolge im vergangenen Jahr auf ein neues Rekordhoch gestiegen. Das UNHCR beklagt mangelnde Solidarität - und lobt Deutschland.

Aus Myanmar geflohene Rohingya in Bangladesch
Aus Myanmar geflohene Rohingya in BangladeschBild: Getty Images/AFP/E. Jones

Immer neue Krisen, keine Lösungen: Weltweit gibt es so viele Flüchtlinge und Vertriebene wie nie zuvor in der fast 70-jährigen Geschichte des UN-Flüchtlingshilfswerks (UNHCR). Ende vergangenen Jahres lebten 70,8 Millionen Menschen fern ihrer Heimat, die vor Gewalt, Konflikten, Verfolgung oder Menschenrechtsverletzungen geflohen waren, wie die Organisation in Genf berichtete. Ein Jahr zuvor schätzte das UNHCR die Gesamtzahl noch auf 68,5 Millionen Menschen. 

Die Daten "unterstreichen, dass die Zahl der vor Krieg, Konflikten und Verfolgung fliehenden Menschen langfristig steigt", erklärte der UN-Hochkommissar für Flüchtlinge, Filippo Grandi. Er kritisierte eine "Krise der Solidarität". Die Welt sei zunehmend polarisiert: "Der Weltsicherheitsrat kann nicht einmal mehr gemeinsame Positionen finden, wenn es um humanitäre Fragen geht." Doch trotz einer oft vergifteten Sprache im Zusammenhang mit Flüchtlingen und Migranten gebe es auch "phantastische Beispiele von Großmut". "Auf diesen positiven Beispielen müssen wir aufbauen und unsere Solidarität für die vielen Tausenden, die jeden Tag vertrieben werden, verdoppeln", forderte Grandi.

Grandi: "Unfähigkeit, Konflikte zu lösen"

01:07

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In einem Interview der DW ergänzte Grandi, dass die Versorgungskapazitäten für Flüchtlinge "zum Beispiel in Europa für viel kleinere Zahlen konzipiert wurden. Als die Zahlen 2015 größer wurden, war Europa nicht bereit, und das war ein falsches Signal. Einige skrupellose Politiker haben erkannt, dass sie durch die Darstellung dieser Menschen als Bedrohung Konsens und Stimmen gewinnen würden", so Grandi weiter. Doch müsse immer wieder daran erinnert werden, dass diese Menschen vor Krieg, Konflikt, Gewalt und Diskriminierung geflohen seien. Es sei daher nicht nur falsch, sie zurückzudrängen, sondern auch nicht effizient, sagte der UN-Hochkommissar in dem DW-Interview weiter. Das Flüchtlingsproblem werde so nicht gelöst, sondern würde "sich einfach in einen anderen Teil der Welt bewegen".

Lob für Deutschland 

Großes Lob spendete Grandi in diesem Zusammenhang allerdings der Bundesrepublik: "Deutschland ist ein Modell, das andere Länder kopieren sollten", sagte er. "Das Land hat Geld in die Integration gesteckt, und es widerlegt, dass diese Krise nicht zu managen ist." Bundeskanzlerin Angela Merkel habe zwar vielleicht einen hohen Preis für ihre Politik gezahlt, meinte Grandi. "Aber die Geschichte wird darüber urteilen, und ihre Politik wird als positiv in die Geschichte eingehen." 

Die meisten bleiben im eigenen Land

Neben den Flüchtlingen gibt es weltweit Migranten, die bessere Arbeits- und Lebensbedingungen im Ausland suchen. Ihre Zahl schätzte das UN-Büro für Migration (IOM) 2017 auf 258 Millionen weltweit. 

Aus dem jährlichen Flüchtlingsbericht "Global Trends" des UNHCR, geht hervor, dass es sich bei 41,3 Millionen Flüchtlingen um Binnenvertriebene handelt. 25,9 Millionen Menschen sind demnach vor Krieg und Verfolgung aus ihrem Land geflohen, ein Plus von 500.000 im Vergleich zum Vorjahr.

Vier von fünf der Geflohenen kamen in Nachbarländern unter, nicht in Europa oder den USA, wie Grandi betonte. Die größte Bürde trügen nicht die westlichen Länder, in denen viele Politiker heute von einer Krise sprächen, die nicht mehr zu bewältigen sei. Reiche Länder haben nach UNHCR-Angaben zusammen 16 Prozent der Flüchtlinge aufgenommen. Ein Drittel der Flüchtlinge weltweit habe Zuflucht in den ärmsten Ländern gefunden. 

Flüchtlinge aus Venezuela an der kolumbianischen GrenzeBild: Getty Images/G. Legaria

Unter den fünf Ländern mit den meisten Flüchtlingen ist Deutschland nach der UNHCR-Statistik das einzige westliche Land. In Deutschland waren Ende vergangenen Jahres demnach 1,06 Millionen anerkannte Flüchtlinge sowie rund 370.000 Asylsuchende, über deren Fälle noch nicht entschieden war. Die Zahl der Antragsteller sank 2018 auf 161.900, ein Jahr zuvor waren es noch 198.300 gewesen, 2016 sogar 722.400. Die meisten Asylsuchenden kamen aus Syrien, dem Irak und dem Iran. Mehr Flüchtlinge als in Deutschland gab es nur in der Türkei (3,7 Millionen), in Pakistan, Uganda und dem Sudan. 

Fluchtwelle aus Venezuela

Die Zahl der neuen Asylanträge von Venezolanern ist nach UNHCR-Angaben auf 350.000 explodiert. Das sind mehr als drei mal so viele wie im Jahr davor. Venezolaner machten damit ein Fünftel aller neuen Anträge weltweit aus, und sie waren mit Abstand die größte Asylsuchergruppe, gefolgt von Afghanen und Syrern. 

Das Flüchtlingslager Al-Zataari für Syrer in Jordanien hat Zehntausende BewohnerBild: picture-alliance/dpa/J. Nasrallah

Die meisten neuen Asylanträge wurden wie im Vorjahr in den USA gestellt, gut 250.000. Auf dem zweiten Platz stand Peru wegen des Andrangs von Venezolanern, gefolgt von Deutschland, so das UNHCR.

Jedes Jahr vor dem Weltflüchtlingstag am 20. Juni verkündet das UNHCR die aktuellen Zahlen zu Flucht und Vertreibung. Seit Jahren wird ein dabei jeweils ein neuer Höchststand verzeichnet. Vor zehn Jahren, 2009, lag die Zahl der Geflohenen noch bei 43,3 Millionen Menschen. Viele von denen, die damals erfasst wurden, sind bis heute Teil der Statistik: Ein Fünftel der erfassten Flüchtlinge harrt seit mindestens 20 Jahren fern der Heimat aus, vier von fünf Flüchtlingen seit mindestens fünf Jahren. 

stu/jv (dpa, afp, epd)

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