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Politik

Christen im Irak sitzen auf gepackten Koffern

23. Dezember 2017

Die meisten Christen im Irak leben im kurdischen Norden. Der Streit zwischen Erbil und Bagdad hat sie verunsichert. Iraks Erzdiakon Emanuel Youkhana fordert im DW-Gespräch, Hilfe für den Irak an Bedingungen zu knüpfen.

Irak Christen kehren nach Qaraqosh zurück
Bild: Reuters/M. Djurica

DW: Wie viele Christen leben noch im Irak und in Irakisch-Kurdistan?

Emanuel Youkhana: Im gesamten Irak leben etwa 250.000 Christen. 80 bis 85 Prozent von ihnen leben in Irakisch-Kurdistan und in der angrenzenden Ebene von Niniveh, in der auch Mossul liegt. In den anderen Teilen des Iraks leben etwa 40.000 bis 50.00 Christen.

Christen sind die ursprüngliche Bevölkerung des Iraks. Sie leben dort seit 2000 Jahren als Christen und davor als Assyrer, lange bevor die Araber und der Islam in das Land kamen. Heute gelten wir als Minderheit. Aber für unser Selbstverständnis ist es wichtig, dass wir die einheimische Bevölkerung im Land sind.

Bevor die Feindseligkeiten zwischen Kurdistan und der Zentralregierung in Bagdad ausbrachen, war Irakisch-Kurdistan ein guter Ort zum leben, eine Insel der Hoffnung - nicht nur für die Christen, sondern auch für andere verfolgte Minderheiten: Mandäer, Jesiden, Juden. Nach dem Unabhängigkeitsreferendum und der harschen Reaktion der Zentralregierung - Militäreinsätze, Beenden des Dialogs - sind die Menschen aber sehr verunsichert. Jetzt gibt es mehr Fragen und weniger Antworten.

Macht sich Sorgen um die Zukunft der Christen im Irak: Erzdiakon Emanuel YoukhanaBild: DW/M. von Hein

Sitzen angesichts der unsicheren Lage viele der im Irak verbliebenen 250.000 Christen auf gepackten Koffern, bereit für die Flucht?

Unglücklicherweise muss ich sagen: Viele tun das. Vor allem in der Ebene von Niniveh. Bislang ist nicht klar, wer dort regieren wird, wie die politische Struktur aussehen wird - jetzt, nachdem das Gebiet vom sogenannten Islamischen Staat zurück erobert wurde und der Konflikt zwischen der irakischen Zentralregierung und der Kurdischen Autonomieregion ausgebrochen ist. Deshalb leben wir in einer Zeit der Verunsicherung. Wir erwarteten - und hoffen noch immer darauf - eine Botschaft der Liebe, Solidarität und des Vertrauens aus Bagdad: "Ihr habt genug unter dem IS gelitten. Jetzt sind eure Städte zurückerobert. Wir werden euch unterstützen, werden euch jede Art von Hilfe geben, um euer Leben wieder aufzubauen." Unglücklicherweise hat Bagdad das Gegenteil getan: Sie haben das Militär geschickt. Als friedliebende Gemeinde sind wir über die Situation schockiert.

Glauben Sie, dass der harte Ansatz der irakischen Zentralregierung vielleicht etwas mit dem Wahlkampf zu tun hat? Im kommenden Mai wird gewählt und vielleicht schielt Premierminister Haider Al-Abadi derzeit vor allem auf seine Wählerschaft - und die ist überwiegend schiitisch.

Das Timing ist ungünstig für uns. Losgelöst von den Argumenten und Gegenargumenten  zum Unabhängigkeitsreferendum in Kurdistan wurde für uns sehr schnell klar: Das Referendum wird als Vorwand benutzt, um die Situation in Kurdistan zu destabilisieren. Wir hatten erwartet, dass das kurdische Modell zum Umgang mit Minderheiten anderen Teilen des Iraks als Vorbild dienen würde, nicht umgekehrt. Und jetzt kommt der Wahlkampf in Schwung und jeder Politiker versucht, die Situation zu missbrauchen, um Vorteile für sich heraus zu holen. Ja, ich glaube, der Wahlkampf spielt eine bedeutende Rolle bei der Art und Weise, wie Präsident Al-Abadi mit der Situation umgeht.

Nach dem kurdischen Unabhängigkeitsreferendum vom 25. September hat irakisches Militär Kirkuk eingenommenBild: picture-alliance/AP/K. Mohammed

Was müsste denn getan werden, damit sich die Christen im Irak zu Hause fühlen?

Als friedfertige Minderheit werden wir uns dann zu Hause fühlen, wenn wir uns sicher fühlen und in Sicherheit leben. Deshalb rufen wir Erbil und Bagdad - vor allem Bagdad - dazu auf, auf die Stimme der Weisheit zu hören, sich an einen Tisch zu setzen, zu diskutieren und ihre Meinungsverschiedenheiten zu lösen. Das würde unser Vertrauen wieder herstellen.

Der zweite Punkt: Viele Christen leben in der Ebene von Niniveh, die aber gehört zu den sogenannten umstrittenen Gebieten zwischen Erbil und Bagdad. Wir wünschen uns, dass hier der Artikel 140 der irakischen Verfassung Anwendung findet, nach dem die Menschen in der umstrittenen Gebieten in einer Volksabstimmung selbst über ihre Zugehörigkeit entscheiden. Dann würden die Menschen wissen, wohin sie gehören; unter welchem konstitutionellen Dach, unter welchem verwaltungstechnischen Dach sie leben. Unter dem IS ist nicht nur die ganze Infrastruktur zerstört worden. Auch das Zusammenleben der Minderheiten wurde zerstört, gegenseitiges Vertrauen wurde zerstört. Wir brauchen schnell einen langfristig angelegten Plan, um materiell alles wieder aufzubauen und erneut zu dieser friedlichen Koexistenz für alle zu kommen. Dafür braucht es einen vielseitigen Ansatz: über die Medien, über die Revision von Gesetzen, die Verfassung, auch die Überarbeitung der Lehrpläne.  

Was wäre die wichtigste Maßnahme, die jetzt sofort ergriffen werden müsste?

Wir bräuchten ein klares Bekenntnis von Erbil und Bagdad, dass die Regionen, in denen die nationalen Minderheiten leben, die Christen, die Jesiden, nicht zum Ziel militärischer Operationen werden. Stattdessen sollte es eine gemeinsame Anstrengung von Erbil und Bagdad geben, diese Regionen wieder aufzubauen. 

Welche Hilfe könnte das Ausland, könnte Europa leisten?

Wichtig wäre eine Art Marshall-Plan im Kleinen, um die zerstörten Gebiete wieder aufzubauen. Wir Christen - und auch die Jesiden - machen uns große Sorgen, dass wir beim Wiederaufbau übergangen werden. Wir fürchten, dass aus politischen Gründen die Mittel für den Wiederaufbau vor allem in sunnitische Gebiete fließen und dass wir am Ende der Liste stehen.

Abgesehen davon: Brüssel, Berlin, die internationale Gemeinschaft sollte ihre Hilfe für die irakische oder die kurdische Regierung mit der Bedingung verknüpfen, dass die Rechte der Minderheiten geschützt werden.

 

Emanuel Youkhana ist assyrischer Erzdiakon und Leiter der Hilfsorganisation "Christian Aid Program North Iraq", CAPNI.

Die Fragen stellte Matthias von Hein.

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