Rekordanstieg bei Erzeugerpreisen
20. September 2021Die deutschen Hersteller haben ihre Preise im August so stark angehoben wie seit annähernd 47 Jahren nicht mehr. Die Erzeugerpreise für gewerbliche Produkte stiegen um 12,0 Prozent zum Vorjahresmonat, wie das Statistische Bundesamt am Montag mitteilte. Ein größeres Plus gab es zuletzt im Dezember 1974, als die Preise wegen der ersten Ölkrise sogar um 12,4 Prozent gestiegen waren. Ökonomen hatten lediglich mit 11,4 Prozent gerechnet, nachdem die Steigerungsrate im Juli noch 10,4 Prozent betragen hatte. Neben Energie verteuerten sich vor allem Vorprodukte wie Holz und Stahl.
Die Produzentenpreise gelten als Frühindikator für die Entwicklung der Verbraucherpreise. In der Statistik werden die Preise ab Fabrik geführt - also bevor die Produkte weiterverarbeitet werden oder in den Handel kommen. Die Inflationsrate liegt mit 3,9 Prozent aktuell bereits so hoch wie seit 1993 nicht mehr. "Folglich dürfte auch die Teuerungsrate auf der Verbraucherebene in den kommenden Monaten weiter zulegen", schlussfolgerte Commerzbank-Ökonom Ralph Solveen aus der kräftigen Teuerung auf Erzeugerebene. "In den kommenden Monaten dürfte diese zumindest eine vier, vielleicht sogar eine fünf vor dem Komma haben."
Energiekosten treiben Preisanstieg
Hauptverantwortlich für den Anstieg der Erzeugerpreise war im vergangenen Monat die Entwicklung bei Energie. Sie verteuerte sich um durchschnittlich 24,0 Prozent. Vorleistungsgüter wurden 17,1 Prozent teurer. Nadelschnittholz kostete dabei 124 Prozent mehr als ein Jahr zuvor. Für Verpackungsmittel aus Holz (+89,4 Prozent) und Betonstahl in Stäben (+87,2 Prozent) wurde ebenfalls erheblich mehr verlangt.
"Wir gehen davon aus, dass die aktuellen Versorgungsengpässe im Laufe des kommenden Jahres nach und nach überwunden werden und sich deshalb auch der Preisauftrieb bei den Vorprodukten merklich abschwächen wird", sagte Solveen. Eine nachhaltig deutlich stärkere Teuerung dürfte es erst geben, wenn auch die Löhne merklich anziehen. "Und hierfür gibt es bisher keine Anzeichen", sagte der Experte.
Dauerhaft hohe Inflation oder temporäres Phänomen?
Angesichts der deutlich gestiegenen Inflationsrate rückt jetzt die Nullzinspolitik der EZB im Bundestagswahlkampf verstärkt in den Fokus. Der Kanzlerkandidat der Union, Armin Laschet, zeigte sich "alarmiert", dass die Teuerung den Wert von Ersparnissen, Renten, Lebensversicherungen und Bausparverträgen "massiv" schmälere. Er sei sicher, dass die EZB ihrer Kernaufgabe, den Geldwert stabil zu halten, besonders nachkommen werde. Der CDU-Politiker Friedrich Merz wurde noch deutlicher: Er forderte von der unabhängigen Notenbank eine Abkehr vom ultra-lockeren Kurs, falls sich die höheren Preise festsetzen sollten.
EZB-Chefin Christine Lagarde will jedoch nicht am Nullzins rütteln. Sie erwartet, dass das mit der Pandemie aufgetauchte Inflationsgespenst verschwindet, wenn die Krise ausgestanden ist. Doch kurzfristig könnte noch mehr Inflationsdruck entstehen als bislang erwartet, warnte ihr Vize Luis de Guindos jüngst. Dies gelte für den Fall, dass durch Lieferkettenprobleme ausgelöste Materialengpässe etwa bei Mikrochips und Halbleitern anhielten. Die Inflation im Euro-Raum ist derzeit bereits so hoch wie seit rund zehn Jahren nicht mehr. Die Verbraucherpreise kletterten im August binnen Jahresfrist um 3,0 Prozent.
EZB-Direktorin Isabel Schnabel bekräftigte ebenfalls die Auffassung der Notenbank, dass die derzeit erhöhte Inflation als temporäres Phänomen zu betrachten sei. "Aller Voraussicht nach wird sich die Inflation im kommenden Jahr wieder spürbar abschwächen", hatte sie vergangene Woche gesagt. Zugleich stellte sie klar, dass die EZB handeln werde, sollten die Inflation rascher als erwartet zulegen.
DIW-Chef krisitisiert "Panikmache"
Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, hält die Sorgen angesichts steigender Inflationsraten für unbegründet. "Der Anstieg der Inflation im zweiten Halbjahr 2021 wird nicht von langer Dauer sein, sondern in den kommenden zwei Jahren wieder auf das gewünschte Niveau zurückgehen", hatte Fratzscher gegenüber der Augsburger Allgemeinen am vergangenen Freitag unterstrichen.
Die "Panikmache" um eine hohe Inflation sei "fehlgeleitet", sagte der DIW-Chef. "Die Kritiker warnen schon seit zehn Jahren vor einer hohen Inflation, die sich nicht materialisiert hat." Die jetzige Entwicklung hält Fratzscher für eine Folge der Corona-Krise. Dabei sei die erhöhte Inflation in diesem Jahr "eine willkommene Normalisierung nach einer viel zu schwachen Inflation im vergangenen Jahr", sagte der DIW-Chef.
Fratzscher lobte die von der Bundesregierung in der Pandemie aufgelegten staatlichen Hilfen. Deutschland habe die Pandemie stärker begrenzen können, als andere Länder. "Und dann hat der deutsche Staat mit seinen wirtschaftlichen Hilfsprogrammen - von den Überbrückungshilfen bis zur zwischenzeitlichen Senkung der Mehrwertsteuer - mehr getan hat als jedes andere Land der Welt", sagte der Ökonom. "Keine andere Regierung hat so großzügige Hilfen gewährt. Auch das Kurzarbeitergeld ist ein Riesenerfolg."
Die Inflationsrate misst die durchschnittliche Preissteigerung der Verbraucherpreise im Vergleich zum Vorjahr. Das Münchner Ifo-Institut rechnet 2021 mit drei Prozent Inflation. Wichtigster Grund für den vergleichsweise starken Anstieg der Verbraucherpreise sind auch nach Einschätzung der ifo-Experten die wegen der Corona-Pandemie niedrigeren Preise im Vorjahr.
tko/ hb (rtr, afp)