1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Kunst

Künstler nehmen Stellung

Sabine Peschel13. Mai 2015

Die Ausstellung "China 8" weckt Irritationen und Neugier zugleich. Was sagen die Künstler selber zur Arbeit in China und ihrer Rolle im internationalen Kunstbetrieb? Eine Annäherung in vier Interviews.

Ausstellung China 8 - Zeitgenössische Kunst aus China an Rhein und Ruhr
Shi Jinsongs Installation im Lehmbruck Museum, Duisburg: "Thousand Garden", 2013Bild: Shi Jinsong/DW/Sabine Peschel

Shi Jinsong, geboren 1969, lebt und arbeitet in Wuhan und Peking.

Ich stelle im Lehmbruck Museum eine Arbeit aus, in der ich Material von abgerissenen Häusern und gefällten Bäumen verwende. Das Material habe ich aus China mitgebracht: Es handelt sich um mein früheres Atelier in Beijing, in Beigaocun. Der Baum auch, der ist dort gefällt worden. Hier habe ich damit eine neue Gartenlandschaft erschaffen.

Mein Kunstwerk ist nicht besonders schwer zu verstehen, es geht mir dabei um eine Haltung. Ich finde sehr oft, dass die Sachen nicht zu schwer verständlich sein sollten. Man sollte eine eigene Meinung zu all den Dingen, die sich ereignen, haben und eine eigene Art, damit umzugehen.

DW: Sie stellen jetzt mit so vielen chinesischen Künstlern gemeinsam aus. Wie gefällt Ihnen das?

Ich bin mit dem Aufbau meiner eigenen Arbeit hier gerade erst fertig geworden, insofern habe ich noch keinen richtigen Eindruck. Aber was ich finde, ist, dass unsere Arbeitsbedingungen exzellent sind, weit besser, als ich gedacht hatte. Ich mag Lehmbruck als Künstler und das Museum sehr, und ich freue mich, dort ausstellen zu können. Das gefällt mir ganz besonders gut.

DW: Haben Sie früher schon in Deutschland ausgestellt?

Ja, 2007 im Haus der Kulturen der Welt in Berlin, da habe ich an einer Gruppenausstellung teilgenommen.

Die Künstlerin Li Wei, geboren 1981, lebt und arbeitet in Peking.

Die Künstlerin und feministische Aktivistin Li WeiBild: DW/S. Peschel

Ich stelle in Mühlheim eine Installation aus, bei der ein Mann am Dachbalken hängt und herunterzufallen droht. Gleich wird er abstürzen, gleich stirbt er. Das ist natürlich kein lebendiger Mensch, aber eigentlich geht es doch um echte Menschen.

Zu dem Projekt gehören ursprünglich vier Personen, und die können dann jeden Menschen repräsentieren, auch jeweils unterschiedlicher gesellschaftliche Klassen. Welcher gesellschaftlichen Klasse man zugerechnet wird, hängt von der Wahrnehmung ab. Welche Kleidung man trägt, was das Gesicht ausstrahlt, danach wird entschieden, ob man zu den Erfolgreichen oder zu den Versagern gehört. Ob dein Status der eines Arbeiters ist oder der eines Bauern oder Businessman.

DW: Sie sind in Peking geboren und leben dort. Was halten Sie von den Veränderungen?

Peking hat sich zu sehr verändert. Obwohl ich immer in Peking gelebt habe, mag ich die Stadt inzwischen nicht mehr. Früher war es sehr ruhig, es gab viele alte Gebäude und eine funktionierende Umwelt. Jetzt ist die Belastung zu groß, Peking schafft das nicht mehr. Ich selber bin keine Lokalpatriotin oder habe Nationalstolz. Insofern berührt mich das nicht so sehr.

DW: Haben die enormen Veränderungen Ihrer Umwelt Einfluss auf Ihre Arbeiten?

Die Umgebung beeinflusst die Menschen immer. Die gesellschaftliche Position, ob du Künstler bist oder was immer sonst, das ist alles nicht so wichtig, wirklich wichtig sind die Menschen. Man ist in erster Linie Mensch. Wenn jemand gezwungen ist, in eine ungewohnte Umgebung zu wechseln und sich dabei auch seine zwischenmenschlichen Beziehungen sehr verändern, dann wird niemand damit glücklich werden können.

DW: Haben Sie schon einmal an einer Ausstellung in Deutschland teilgenommen?

In anderen europäischen Ländern habe ich schon öfter ausgestellt, in Deutschland ist es das erste Mal. Als die Macher mit mir Kontakt aufgenommen haben und mich zur Teilnahme einluden, wusste ich noch gar nicht, dass die Ausstellung "China 8" heißen würde. Ich selber mag einen solchen Titel überhaupt nicht.

DW: Was stört Sie daran?

Er bezieht sich auf die Region, ist auf China beschränkt. China… China… und so fort. Das entspricht gar nicht meinem Denken. Ich habe das erst, nachdem ich schon hier war, erfahren. Für mich kommt es darauf an, was für ein Mensch jemand ist, und was er tut. Nicht, woher er kommt. Sehr fähige und sehr üble Typen gibt es überall. Das ist doch ganz einfach.

Li Wei will mit ihren irritierenden Skulpturen bewusst machen, wie prekär Situationen werden könnenBild: Li Wei

DW: Ist Ihre Kunst international?

Man sollte der Kunst kein Etikett anheften. Kunst wird von Menschen gemacht. Was man herstellt und welches Material man dafür benutzt, das ist alles nicht so bedeutend, alle Materialien sind schließlich schon mal benutzt worden und werden auch in Zukunft weiterverwendet werden.

DW: Haben Sie in China eine Galerie, die Sie vertritt?

Nein, ich möchte nicht unbedingt mit chinesischen Galeristen zusammenarbeiten.

DW: Und mit ausländischen Galeristen?

Hm, ja, im Ausland gibt es eine Galerie, in Frankreich. Wir haben bei ein paar Projekten zusammengearbeitet, so kam das zustande. Ich möchte mir eigentlich eine Art wilden Naturzustand erhalten. Ein wenig abgesichertes Leben. Wenn die Kunst sich im geschützten Rahmen bewegt, dann unterscheidet sie sich nicht mehr von anderen Handelsmarken. Dann kann sie für kulturelle Zwecke benutzt werden, dann lässt sie sich anwenden. Sie ist dann nicht mehr sie selbst.

DW: Die chinesische Kunst ist seit Jahren sehr erfolgreich…

Es kommt darauf an, was man für Erfolg hält. Das kann bei jedem anders sein, und was nach Erfolg aussieht, muss individuell verschieden nicht als solcher empfunden werden.

DW: Der Erfolg auf dem internationalen Kunstmarkt – ist das ein Phänomen der Globalisierung? Ein gutes, oder doch ein nachteiliges?

Das interessiert mich nicht, ich schaue mir an, was jemand macht. Ich vertraue auf das, was ich sehe. Und Erfolg an sich ist weder gut noch schlecht.

DW: Sie gehören zur Generation der in den 80er-Jahren Geborenen. Gibt es zwischen Ihrer Generation und den Älteren, den künstlerischen Vorläufern der 80er- und 90er-Jahre eine Kluft?

Nein. Ich glaube nicht, dass die Reife eines Künstlers – und eines Menschen überhaupt – mit seinem Alter besonders viel zu tun hat.

Qiu Zhijie, geboren 1969, gehört zu den international bekanntesten Künstlern Chinas. Er wird von bedeutenden Galerien vertreten und ist im Kulturaustausch zwischen Deutschland und China sehr aktiv. 2013 war er Leiter der Shanghai Biennale und hielt an der Berliner Universität der Künste Workshops ab. Er lebt in Peking.

Der chinesische Künstler Qiu Zhijie mit einer Begleiterin vor dem Osthaus Museum in HagenBild: DW/S. Peschel

Diesmal bin ich im Kunstmuseum Gelsenkirchen vertreten, aber ich habe meine Arbeiten schon oft in Deutschland gezeigt, seit der ersten Ausstellung 1997 in Berlin, später bei der Transmediale und 2009 in einer Einzelausstellung im Berliner Haus der Kulturen der Welt. Ich arbeite in ganz verschiedenen Genres: Videos, Fotos, Malerei, Installationen. In Venedig habe ich gerade eine Installation gemacht, hier bemale ich eine Wand mit Tusche. Gestern Abend, nachdem ich von der Biennale kommend hier eintraf, habe ich 12 Stunden lang gemalt.

DW: Sie arbeiten mit chinesischen Zeichen und mit Tusche, das klingt sehr traditionell.

Irgendwie hat alles mit Tradition zu tun, aber meine Arbeiten sind eher modern als traditionell.

DW: Beziehen Sie sich in Ihren Arbeiten auf den rasanten Wechsel in China?

Der schlägt sich ganz unbedingt nieder. Die Veränderungen sind rasant, dadurch gibt es auch sehr viele Anreize. Die gesellschaftliche Energie ist ziemlich groß. Und es gibt viele Gelegenheiten, heute bietet dir der eine das an, morgen der andere jenes. Es gibt viele "Possibilities".

DW: Werden Sie von einer chinesischen Galerie vertreten?

In Europa werde ich von der italienischen "Galleria Continua" vertreten, und früher hatte ich mit Matthias Arndt auch einen Galeristen in Berlin. Der hat aber eine Australierin geheiratet und ist nach Singapur gewechselt. In Hongkong ist es die "Hanart TZ Gallery". Im Prinzip sind es diese drei.

DW: Was halten Sie von dieser großen, auf neun Häuser verteilten Gemeinschaftsausstellung?

Der Kurator Herr Smerling hat schon vor über zwanzig Jahren Ausstellungen organisiert. Und wenn er nach so langer Zeit immer noch dabei bleibt, dann zeigt das seine Beharrlichkeit und sein großes Interesse. "China 8" ist sehr umfangreich, aber auch analytisch sehr genau. Es gelingt der Ausstellung, viele Details zu zeigen. Wenn sie zwanzig oder gar vierzig Künstler präsentieren, arbeiten Museen oder Galerien im Allgemeinen mit ziemlich groben Strichen. Wenn man die chinesische Kunst der letzten dreißig Jahre und die ganzen Veränderungen in dieser Zeit zeigen will, dann wird das normalerweise zwangsläufig etwas grobrasterig. Aber hier sind 120 Künstler und so viele Museen beteiligt, die dem einzelnen Künstler viel Raum zur Verfügung stellen können. Dabei spielen die Orte und ihre Bedingungen eine wichtige Rolle. Es geht nicht um "Understanding China", sondern darum, wirklich zu verstehen, warum ein Künstler so arbeitet, wie er es tut. Ich war sehr bewegt, als ich mir die Fotografie-Ausstellung im Museum Folkwang angesehen habe. Darunter sind einige sehr junge Fotokünstler, sogar einige, von denen ich noch nie gehört habe, vielleicht sogar jeder Vierte. Dass die Kuratoren die hierher gebracht haben, das ist eine herausragende Leistung. Sie haben nicht einfach nur die ausgewählt, die aktuell en vogue sind, die hätte ich alle gekannt.

He Zhaonan, geboren 1984, arbeitet unter dem Künstlernamen South Ho Siu Nam als Fotokünstler in Hongkong

Der Künstler South Ho Siu NamBild: DW/Sabine Peschel

Für mich ist das der erste Besuch in Deutschland, und auch die erste Ausstellung hier. Ich zeige meine Fotografien im Museum Folkwang in Essen, schwarz-weiß Fotografien, auf denen ich das Hauptgebäude der Hongkonger Regierung aufgenommen habe. Dabei habe ich den offenen Raum im Zentrum des Regierungsgebäudes geschwärzt.

DW: Warum haben Sie ausgerechnet den Regierungssitz als Motiv ausgewählt?

Sie wissen sicherlich, dass es in Hongkong im vergangenen Jahr eine sehr große Bewegung gab, die sogenannte Regenschirmbewegung. Die Regierung präsentiert sich mit ihrem Gebäude wie ein weit offenes Tor, durch das man frei hindurchgehen könnte. Dieser offene Raum soll die Freiheit symbolisieren. Aber ich finde, in Hongkong ist die Freiheit in den letzten Jahren immer geringer geworden.

DW: Haben Sie selber auch an der Bewegung teilgenommen?

Ja, ich habe mich engagiert, wir alle.

DW: Jetzt nehmen sie gemeinsam mit Künstlern aus der Volksrepublik an der Ausstellung "China 8" teil. Deutschen Besuchern ist vielleicht nicht unbedingt bewusst, dass Hongkong noch immer einen eigenen Status hat.

Für Ausländer mag es mittlerweile so wirken, als seien Hongkong und China so ziemlich eins. Aber ich finde, dass es kulturell doch immer noch deutliche Unterschiede gibt. Hongkong ist immer noch vergleichsweise frei, und es ist ja bekannt, dass man in China nicht frei über politische Themen sprechen kann. Man darf die chinesische Regierung nicht direkt kritisieren. In Hongkong ist die Freiheit zwar noch immer größer als auf dem Festland, aber es gibt nicht viele Künstler, die bereit wären, politische Themen offen anzusprechen.

DW: Sehen Sie einen Unterschied zwischen den Arbeiten von Künstlern aus Honkong und aus China?

Hongkong ist klein, und viele Künstler, auch viele Fotografen, setzen sich nur mit ihrer unmittelbaren Umgebung auseinander. Wenn man die Fotokunst der volksrepublikanischen Künstler im Museum Folkwang betrachtet, dann fällt auf, dass sie thematisch einen viel weiteren Blickwinkel haben.

Ho Siu Nams (He Zhaonan) Fotos im Museum Folkwang EssenBild: He Zhaonan

DW: Wie ist es zu Ihrer Teilnahme an "China 8" gekommen?

Das lief über die kleine Galerie, mit der ich in Hongkong zusammenarbeite. Meine Arbeiten wurden nicht für übertrieben politisch gehalten, da war man ganz frei – so lange ich mich nicht zu explizit politisch äußern würde.

DW: Können Sie in Hongkong von Ihrer Fotokunst leben?

Allein vom Verkauf meiner künstlerischen Fotografien nicht, aber ich brauche nicht viel, und wenn das Geld nicht ausreicht, dann fotografiere ich für Galerien, Bücher oder Zeitschriften. Eines meiner Projekte für eine Galerie war die Dokumentation der Bewegung, in ganz ruhigen Bildern, über einen langen Zeitraum hinweg. Ich fotografierte die ruhigen Räume.

DW: Haben Sie Ihre Bilder auch schon außerhalb Hongkongs ausgestellt?

Ja, in Japan und Taiwan und in kleinen Ausstellungen an vielen Orten der Welt, auch in China. Für Peking habe ich allerdings weniger politische Motive ausgewählt.

DW: Und haben Sie in Peking auch fotografiert?

Nur wenig. Ich fotografiere lieber in mir sehr vertrauten Umgebungen, denn wenn ich einen Ort nicht gut kenne, dann kann ich ihn nicht richtig erspüren – und dann wird die Arbeit nicht gut.

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen