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Datenschutz vs. Forschung

Interview: Zulfikar Abbany / db2. Februar 2014

Wissenschaftler fürchten, Vorschläge zur Novellierung des EU-Datenschutzrahmens könnten wichtige Forschungen unmöglich machen. Die DW sprach mit Richard Frackowiak von der Forschervereinigung "Science Europe".

Bild: Frackowiak/ Science Europe

DW: In einem offenen Brief beklagen Sie und andere Unterzeichner, dass Ergänzungen zum Datenschutzrahmen, die vor kurzem vom Ausschuss Justiz und Inneres des Europäischen Parlaments verabschiedet wurden, die Nutzung persönlicher Gesundheitsdaten in der Wissenschaft zu einer "unmöglichen Praxis" machen. Warum brauchen Sie Zugang zu persönlichen Daten - was haben Sie in der Forschung davon?

Professor Richard Frackowiak: Es gibt viel medizinische Forschung mit Daten, die nicht persönlich sein müssen - dann sind sie anonymisiert. Das ist die überwiegende Mehrheit. Es gibt aber Situationen, in denen man personalisierte Daten braucht. Nehmen Sie zum Beispiel eine Krankheit wie HIV: Wir finden die Ursache der Erkrankung, und wir würden gern die Menschen wiederfinden, die die Krankheit haben, um sie zu behandeln: In solchen Fällen benutzt man anonymisierte Daten, aber man hat einen Schlüssel, mit dessen Hilfe man die verschlüsselten Daten wieder sichtbar machen kann. Manche Leute nennen das pseudo-anonymisiert. Das wird schon seit Jahren so gehandhabt. Geregelt wird das Ganze von Ethik-Komissionen, das heißt, man muss spezielle Verfahren anwenden, um an die Daten zu gelangen, und man muss das auch gut begründen können. Doch bei schlimmen oder seltenen Krankheiten kann es sein, dass man die Betroffenen möglichst schnell finden muss, um sie zu behandeln. In solchen Fällen muss man rasch und effizient an die persönlichen Daten kommen.

Wo liegt das Problem, im Einzelfall eine ausdrückliche Zustimmung zu bekommen?

Sie könnten mir heute für eine einen bestimmten Zweck Blut abnehmen, und das Blut im Kühlschrank aufbewahren, und in fünf Jahren gibt es ein neues, enorm wichtiges Forschungsprojekt, und das Blut sollte wieder Teil der Forschung sein…Würden Sie Geld ausgeben und mehr Blut sammeln gehen, wenn Sie es doch schon da haben?

Aber wenn Sie doch schon das Blut haben, warum nicht auch das Einverständnis bei der Quelle einholen?

Das tun wir. Es gibt die Möglichkeit, sich die Zustimmung für spezielle Projekte zu holen, aber es gibt auch die Option, dass Patienten ihre Zustimmung für jegliche Forschung in der Zukunft geben können. Deutschland hat gute Modelle. Das in der Krebsforschung sehr nützliche Hamburger Krebsregister musste schließen, nachdem Gesetze erlassen wurden, nach denen man für jedes Stück entnommenes Gewebe eine Genehmigung für ein spezifisches Projekt brauchte. Wenn man etwas anderes damit machen wollte, musste man die entsprechende Person aufspüren, obwohl derjenige vielleicht mittlerweile verstorben war oder nicht auffindbar. Die Regeln haben sich inzwischen geändert, die Leute geben für Forschung insgesamt ihre Genehmigung und lassen nur ihre Namen weg. Das muss natürlich von Ethik-Kommissionen abgesegnet werden.

Wem gehören entnommene Proben?Bild: picture-alliance/dpa

Selbst von einem wissenschaftlichen Standpunkt aus können Sie doch sicherlich nachvollziehen, dass gerade angesichts der momentanen öffentlichen Diskussionen der Datenschutzrahmen novelliert werden muss.

Das Leben ist wichtiger als die öffentliche Diskussion, da handelt es sich ja meist um uninformierte Meinungen. Wir haben ein funktionierendes System. Das hat auch die EU-Kommission festgestellt, und nur einige Punkte in ihren Vorschlag zur Regulierung geschrieben: zum Beispiel Ausnahmen für bestimmte Bereiche medizinischer Forschung. Nun haben sich Abgeordnete des Europäischen Parlaments eingeschaltet, da sie glauben, die persönlichen Daten könnten für andere Zwecke missbraucht werden. Ich fürchte, sie haben einfach nicht ihre Hausaufgaben gemacht. Hier geht es nicht um den Privatbereich, es geht um Menschenleben. Sie müssen auch berücksichtigen, dass jedes Stück Gewebe, das in einem verstaatlichten Gesundheitssystem entnommen wird, nicht nur dem Patienten gehört, sondern zum Teil auch der Gesellschaft, da jeder Steuern zahlt, damit dieses Gewebe überhaupt entnommen werden kann. Sie haben natürlich das Recht, es privat entnehmen zu lassen und auch selbst zu bezahlen. Wenn Sie in einem verstaatlichten Gesundheitssystem behandelt werden, gibt es Informationen nur für Sie persönlich, aber auch etwas, das jedem Mitglied der Gesellschaft gehört, das dafür zahlt.

Professor Richard Frackowiak ist Vorsitzender des Biomedizin-Ausschusses bei "Science Europe", einer Vereinigung der wichtigsten Forschungs- und Förderorganisationen auf dem Gebiet der Grundlagenforschung in Europa mit Sitz in Brüssel.