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Politik

"Es gibt keine deutsch-türkische Krise"

Daniel Derya Bellut
8. März 2017

Von wegen Konfrontation: Der Streit zwischen Berlin und Ankara beschränkt sich auf Erdogan und dessen Regierungspartei AKP, meint der Abgeordnete Mithat Sancar von der Oppositionspartei HDP im DW-Gespräch.

Deutschland Bundesparteitag der Grünen Mithat Sancar HDP
Mithat Sancar ist ein türkischer Abgeordneter der pro-kurdischen Partei HDPBild: picture-alliance/dpa/B. Thissen

Deutsche Welle: Zwei deutsche Kommunen haben Wahlkampfauftritte von türkischen Ministern abgesagt. Ein Großteil der deutschen Öffentlichkeit befürwortet das. Was spricht eigentlich dagegen, dass Vertreter der AKP-Regierung in Deutschland für ihre Agenda werben?

Mithat Sancar: Wichtig ist, dass die Verbote keine Entscheidung der Bundesregierung waren, sondern der Kommunen. Es handelt sich also um eine Reaktion der deutschen demokratischen Öffentlichkeit, die gegen die antidemokratische Politik sowie menschenrechtswidrige Praktiken der türkischen Regierung ein Zeichen setzt.

Würde die angestrebte Verfassungsänderung mit Präsidialsystem die Türkei undemokratischer machen?

Die Türkei befindet sich seit einigen Monaten im Ausnahmezustand und wird mit Dekreten regiert. Da die Justiz in der Türkei nicht unabhängig ist, unterliegen diese Dekrete keinen Kontrollmechanismen. Die Verfassungsänderung würde dazu führen, dass dieser Ausnahmezustand zu einem Dauerzustand würde. Ein Präsidialsystem wird ein entscheidender Schritt  sein, um die Türkei zu einer Diktatur zu machen.

Nach den Absagen von Wahlkampfveranstaltungen sorgte Präsident Erdogan mit einem Nazi-Vergleich für Empörung. Verbirgt sich hinter solchen Vorwürfen eine Strategie? 

Solche Aussagen sind keine verbalen Entgleisungen, sondern wohl überlegt. Es handelt sich um eine Art "Verschärfungsstrategie". Er weiß genau, dass der Nationalismus in der Türkei weit verbreitet ist. Solch scharfe Rhetorik soll nationalistische Gefühle bei seiner Wählerschaft hervorrufen, sowohl in Deutschland als auch in der Türkei. Polarisierung und Verschärfung sind für Erdogan ein alt bewehrtes Mittel, um bei Wahlen auf Stimmenfang zu gehen.

Die Festnahme des Welt-Journalisten Deniz Yücel, der Fall Böhmermann oder die vom Bundestag beschlossene "Armenien-Resolution" haben bereits im Vorfeld das Verhältnis zwischen Berlin und Ankara belastet. Hat Erdogan mit dem Nazi-Vergleich nun die deutsch-türkischen Beziehungen überstrapaziert?

Es ist falsch, von einer deutsch-türkischen Krise zu sprechen. Es ist viel eher eine Krise zwischen der AKP-Regierung und Deutschland. Die meisten anderen Parteien in der Türkei weisen den Konfrontationskurs mit Berlin entschieden zurück. Abgesehen davon ist es ohnehin schwierig, mit Präsident Erdogan langfristig freundschaftliche Beziehungen aufrecht zu erhalten. Seine außenpolitischen Manöver sind sprunghaft und drehen sich oft um 180 Grad. Man muss nur an seine Russland-Politik denken. Innerhalb von wenigen Monaten hat er von seiner konfrontativen Haltung abgelassen, um plötzlich zu einer freundschaftlichen Beziehung mit Russland überzugehen. Er ist ein Pragmatiker, aber nicht im positiven Sinne.

Mithat Sancar ist Staats-und Verfassungsrechtler und Abgeordneter der Oppositionspartei HDP. Er hat in Deutschland studiert und ist Experte für deutsch-türkische Beziehungen. Bevor er Parlamentsmitglied in der Türkei wurde, schrieb er Kolumnen für verschiedene Zeitungen. Seit dem Putschversuch in der Türkei sitzen viele HDP-Politiker in der Türkei in Haft.

Das Interview führte Daniel Bellut

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