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Theater

Es ist angerichtet: Das Theatertreffen 2019

Silke Bartlick
7. Mai 2019

Sie machen das Theatertreffen zu einem Fest und einem Forum des Austausches und der globalen Begegnung. Die bemerkenswertesten Inszenierungen deutschsprachiger Bühnen sind zum Theatertreffen nach Berlin geladen.

Berliner Festspiele l Theatertreffen 2019 l
Bild: Sebastian Hoppe

Raghda Mouawad ist richtig hungrig. Hungrig auf Theater. Großartige Inszenierungen möchte sie sehen. Und sie will wissen, was im deutschsprachigen Raum eine "bemerkenswerte" Produktion ausmacht.

In den nächsten zwei Wochen dürfte Raghdas Hunger gestillt werden, und Antworten auf ihre Frage sollte sie auch bekommen. Die junge libanesische Theatermacherin ist eine von 35 Nachwuchskünstlerinnen aus der ganzen Welt, die als Stipendiaten nach Berlin eingeladen wurden, um das diesjährige Theatertreffen zu begleiten und zu reflektieren.

Zudem gibt es reichlich Gelegenheit für den Austausch über Kunst- und Staatsgrenzen hinweg: es wird natürlich zusammen gefeiert und in  Workshops  mit namhaften ExpertInnen über Form, Inhalt und Ästhetik des Theaters von morgen debattiert.

Gestern, heute, morgen...

Und wie sieht das deutschsprachige Theater von heute aus? Die siebenköpfige Jury aus unabhängigen TheaterkritikerInnen, die für die Auswahl des Theatertreffens zuständig ist, hat es sich nicht leicht gemacht. Insgesamt 418 Inszenierungen in 65 deutschsprachigen Städten hat sie besucht, zwischen 94 und 121 Inszenierungen hat jedes einzelne Jurymitglied gesehen.

39 wurden für das Theatertreffen vorgeschlagen und diskutiert, zehn schließlich als "bemerkenswert" ausgewählt – nach einer achtstündigen Diskussion! Von denen wiederum sind nur neun in Berlin zu sehen.

Ersan Mondtags in Dortmund bereits abgespielte, laut Jury "düstere Weltmetapher" ‚Internat‘ kann aus technischen Gründen nicht gezeigt werden. Aber übrig bleibt trotzdem noch genug:  31 Stunden und 20 Minuten Hochleistungs-Theater mit einem zeitgenössischen Trend zur Vermischung der Künste.

"ERNIEDRIGTE UND BELEIDIGTE" nach dem Roman von Fjodor M. Dostojewski,Regie: Sebastian HartmannBild: Sebastian Hoppe

In Sebastian Hartmanns Dresdener Inszenierung "Erniedrigte und Beleidigte" entsteht sogar ein Kunstwerk: die DarstellerInnen doppeln die skizzenhafte Erzählung, indem sie ein geheimnisvolles Dschungel-Portrait malen. Lineare Erzählmuster fallen gerne mal weg, das reine Interpretationstheater sucht man vergeblich.

Stattdessen: die Ausfaltung der Welt mit Hilfe von technisch ausgereiften, multiperspektivischen Bühnenbildern ("Hotel Strindberg") oder verdichteten Erzählungen, in denen die DarstellerInnen mühelos in die Rollen von weit mehr Figuren schlüpfen ("Unendlicher Spaß"). 

Dazu Experimente mit dem eigenen Alltag und dem Publikum als Chor auf der Bühne ("Oratorium"), ein bisschen Barbarei ("Das große Heft"), ein musikalisches Nebelbild ("Girl from the Fog Maschine Factory")  und ein zehnstündiger Antikenmarathon ("Dionysos-Stadt") als legeres Fest für SpielerInnen und das Publikum.

Einsichten und Ansichten

In Südafrika, sagt der Choreograph, Lehrer und Theatermacher Kieron Jiena aus Johannesburg, erfinde sich das Theater gerade neu. Es werde sozialer, greife aktuelle politische Themen des Landes auf, mit mehr farbigen Darstellern und den Geschichten von Schwarzen. Dabei verändere sich auch die Ästhetik, sie werde deutlich westlicher.

TheatermacherInnen, die aus Europa nach Indien kommen, haben oft den Eindruck, dass die Theaterarbeit dort sehr in den Traditionen verwurzelt sei, sagt die Schauspielerin Rency Philip aus Bangalore, ebenfalls Teilnehmerin des Internationalen Forums 2019. Europäisches Theater hingegen wirke auf sie oft sehr futuristisch.

Miriam Coretta Schulte, in Deutschland geborene Performerin und Regisseurin, arbeitet aktuell in der Schweiz. Dort gäbe es ähnliche Probleme wie in Deutschland, sagt sie, "Repräsentationsprobleme. Es ist ein sehr weißes Theater, was nicht mehr die  Gesellschaft wiederspiegelt". Es gäbe Bemühungen, das zu verändern. Aber das dauere seine Zeit.

Hotel Strindberg“ Burgtheater Wien / Theater BaselRegie: Simon StoneBild: Sandra Then

Tatsächlich ist auch das diesjährige Theatertreffen 2019 eine reichlich weiße Veranstaltung mit der üblichen Rollenverteilung und den üblichen Geschlechterkonflikten. Nicht zuletzt dank der unerschrockenen, sehr internationalen Stipendiaten dürfte darüber lebhaft und kontrovers diskutiert werden.

Das weltweit renommierte Theatertreffen in Berlin wird ummäntelt von einem dichten Rahmen-Programm, zu dem neben diversen Publikumsgesprächen auch Diskussionen zu aktuellen Herausforderungen der Branche und des Metiers gehören.

Ansteckende Begeisterung

Deutschland hat mit rund 150 öffentlich getragenen und weiteren 150 freien Theatern ohne festes Ensemble die reichste Theaterlandschaft der Welt. Für das Auswärtige Amt in Berlin ein guter Grund, die deutsche Theaterlandschaft in die internationale Unesco-Liste des immateriellen Kulturerbes eintragen zu lassen. Ein entsprechender Antrag wurde im April 2018  eingereicht, die Entscheidung wird für Ende 2019 erwartet.

Klingt gut, Probleme gibt es für das Theater trotzdem - den eklatanten Fachkräftemangel in der Theatertechnik etwa. Oder die Frage, wie man wieder mehr junge Menschen fürs Theater begeistern kann.

Helfen könnte sicher die Begegnung mit den jungen internationalen Stipendiaten in Berlin. Denn deren Leidenschaft für das Theater, für neue Formen und aktuelle Inhalte, ist unbedingt ansteckend. "Ich will Geschichten hören", sagt Kieron Jina. "Darum gehen wir doch ins Theater. Um die Geschichten anderer Menschen zu hören!"